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Fakten zur Aufführung 

DIE WÜRDE DER DEUTSCHEN WAFFENSCHRÄNKE IST UNANTASTBAR
(Roman Grafe)
26. April 2012
(Einmalige Aufführung)

Theater Erfurt


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"Es macht einfach Spaß!"

Am zehnten Jahrestag des Erfurter Schulmassakers mit 16 Toten und drei Jahre nach dem Amoklauf in Winnenden erinnert der Abend mit Texten und Liedern an die Mordserien und reflektiert Ursachen und Folgen. Unter dem Titel Die Würde der deutschen Waffenschränke ist unantastbar präsentiert Roman Grafe gemeinsam mit Schauspielern und den Liedermachern Gerhard Schöne und Stephan Krawczyk Texte und Lieder, die er nach eigenen Recherchen und Interviews erstellt hat. Shanghai Drenger von Radio Lotte, Weimar, moderiert den Abend. Zu diesem Programm unter der Regie von Grafe lädt das Theater Erfurt in Zusammenarbeit mit der Initiative „Keine Mordwaffen als Sportwaffen!“ ein, die unmittelbar nach den Winnender Geschehnissen gegründet wurde und die unter anderem das Verbot von tödlichen Waffen für den Schießsport fordert.

Die am Titel orientierte  Erwartung, einen scharfen, intellektuell spitzen, vielleicht gar satirischen politischen Abend in Rahmen der 10-jährigen Erinnerungen an den Amoklauf in Erfurt zu erleben, erweist sich als falsch. Bei Die Würde der deutschen Waffenschränke ist unantastbar geht es um einen dokumentarischen und politischen Abend, zu dem Roman Grafe, Autor und Regisseur des Abends  und sein Netzwerk “Sportmordwaffen“ eingeladen haben, und zu dem sich in der Studiobühne des Erfurter Theater etwa 40 Personen treffen,  viele kennen sich.

Eingerahmt wird der Abend von zwei Videopräsentationen, in denen knapp gekleidete Modells in und aus allen Lagen mit Waffen aller Art um sich ballern, so zum Spaß. Dann tragen Schauspieler Texte vor, die als Tagebuchnotizen, Gespräche oder Selbstreflexionen gestaltet sind, faktenreich, voller Emotionen, bedrückend. Es geht um die Frage: „Warum konnte S. schiessen, woher kamen die Waffen?“  Wer hat zu verantworten, dass er an diese Waffen heran kam?

Hierzu werden in der Moderation und den Texten zahlreiche Fakten aus Deutschland und anderen Ländern ausgebreitet, Parallelfälle wie in Winnenden, den USA und Schottland hinzugezogen, die Einschätzungen von Fachleuten, zum Beispiel dem Vorsitzenden des Bundes deutscher Kriminalbeamter aus dem Jahr 2009 eingeholt, Politiker kommen zu Wort, und zwischendurch immer wieder berührende,  ergreifende, ja erschütternde Erinnerungen von unmittelbar Betroffenen, von Mitschülern, Lehrern und Eltern in leisen Lesungen vorgetragen – mehr als  beeindruckend, beängstigend, schweigsam machend, besonders eindrucksvoll Rahel Weiss als Schülerin und Petra Hartung in der Rolle einer Mutter. Dazwischen dann - und dagegen - Vertreter der Sportwaffenliebhaber, Sprecher des deutschen Schützenbundes, andere Lobbyisten und hilflose Politiker, von denen mehrere besser geschwiegen hätten. Die hier präsentierten Fakten und Meinungen sind weitgehend bekannt, ihre Gegenüberstellung unterstreicht die Hilflosigkeit gegenüber den tatsächlich Betroffenen.

Wenn dann noch ein Schützenfunktionär die einfachste aller Erklärungen bemüht und auszusprechen wagt, ist das Maß der gesellschaftlichen Ratlosigkeit endgültig dokumentiert und nicht mehr zu überbieten. "Es macht einfach Spaß!",  das scharfe Schießen mit so genannten Sportwaffen, meint Helmut Glaser, Schützenfunktionär am 22. Juli .2011 im Südwestrundfunk nach dem Attentat im norwegischen Utoya. 

 Angesichts dieses kalt höhnenden Zynismus des Sportschützen bleiben einem alle weiteren, meist bekannten persönlichen, psychologischen, juristischen, religiösen, ordnungspolitischen und politisch-pragmatischen Argumente um die Diskussion von Sportwaffen und deren Missbrauch als Mordwaffen im Halse stecken. Sie alle sind am 26. April 2012  auf der Studiobühne präsent, als der Opfer der Amokläufe  von Erfurt 2002 und Winnenden 2009 in einer kühlen Atmosphäre gedacht wird.

Tagsüber haben am Gutenberg-Gymnasium in Erfurt und an anderen Plätzen offizielle Gedenkfeiern stattgefunden. Schule, Politik, die Stadt und die Medien sind reichlich vertreten, über 200 Angehörige und Freunde erinnern sich und ganz Erfurt dieses Tages, der die neuere Geschichte der Stadt in ein „vorher – nachher“ teilt. Die Presse nimmt bundesweit daran Anteil. Im Theater ist man weitgehend unter sich. Die meisten der Besucher sind in irgendeiner Form mit der Initiative  Keine Mordwaffen als Sportwaffen“ verbunden.

Die Diskussionen zwischen Schützenbrüdern und den Gegnern von privatem Waffenbesitz haben längst solche Anlässe hinter sich gelassen und sind zu einem ideologischen Krieg gewuchert, in dem kein Argument zu weit hergeholt, zu platt oder perfide ist, um die gegnerische Position zu unterhöhlen.  Eine umfassende, wenngleich geschickt umgedrehte Übersicht aller wohlfeilen Argumente liefert anlässlich des Amoklaufes in Winnenden und des dort gegründeten „Akionsbündnis Winnenden“ der Beitrag von Beate Meier-Kühne für das Redaktionsteam der Online-Zeitschrift JagdWaffenNetz,  die in Südafrika in deutscher Sprache erscheint. Dieses Fachblatt von und für Jagdwaffenfans arbeitet erfahren und geschickt auf dem Felde der Vorwärtsverteidigung und der Diffamierung des Gegners, wenn es in einer ausführlichen Stellungnahme fragt: ".. warum hören wir nichts vom 'Aktionsbündnis zur Alltagsgewalt'?" Das Blatt behauptet ohne Fakten, dassLegalwaffen keine kriminalitätsrelevante Rolle spielten“ und konfrontiert das Aktionsbündnis mit der Feststellung, es hätte seinen „moralischen Kredit verspielt“. Die bekennende Gegenseite, von Sportwaffenfans angegriffen, ist da nicht wählerisch und zimperlich und fährt ihrerseits Kolonnen von Fakten und Gegenargumenten auf.

Insgesamt bleibt der Abend trotz der vorgetragenen lauten Argumente beider Seiten in einer ruhigen, ja stillen Atmosphäre und entspricht damit Anlass und Ziel der Veranstaltung. Mit den Mitteln der Sprache gelingt den Mitwirkenden ein stiller,  ergreifender Erinnerungsabend ebenso wie die Präsentation  einer klaren politischen und moralischen Position gegen jeden privaten Waffenbesitz. Die zahlreichen vorgestellten Argumente und Dokumentationen reichen von Negativbeispielen aus dem Fundus von zweieinhalb Millionen Schützenmitgliedern bis zur Abqualifikation der Veränderung des Waffenrechts als “Simulation“. Die Diskussion geht weiter, oder doch: der Kampf?

Horst Dichanz