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Fakten zur Aufführung 

JULIUS CAESAR
(Georg Friedrich Händel)
20. Januar 2013
(Premiere am 3. November 2012)

Theater Erfurt


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List und Tücke auf der Weltbühne

Nun hat sich auch Erfurt zu den Theatern gesellt, die die lange Zeit kaum gespielte Händeloper Julius Caesar ausgemottet und abgestaubt haben, und die Zuschauer sind völlig überrascht. Welche Dynamik, welche Kraft in diesem fast 200 Jahre alten Werk musikalisch und dramatisch steckt, ist bemerkenswert. Um das wieder sicht- und hörbar zu machen, bedarf es eines sachkundigen und mutigen Zugriffs, der die historische Oper in eine neue Zeit und in neue Kontexte setzt und gleichwohl Händels Musik wie den dramatischen Stoff nicht verbiegt. Beides ist dem Regisseur Stephen Lawless und dem musikalischen Leiter Samuel Bächli besten gelungen. Händels Vorlage liefert ihnen alle Zutaten für ein menschliches Drama um Macht, Geltungssucht, Liebe, Verrat, Eifersucht und die immer wiederkehrende Triebfeder Rache.

Als sich der Vorhang hebt, sehen sich die Besucher in einen rot-plüschigen Kinosaal mit wolkigem Vorhang versetzt, der sich dann öffnet: Pressekonferenz bei einer durch ein großes blau-weisses Logo angedeuteten UNO-Konferenz, den einfachen Tisch zieren die bekannten blau-weissen Fähnchen, Soldaten treten als Blauhelme auf - keine Frage, es geht wieder einmal um Krieg und Frieden. Aber um welchen eigentlich, um den im antiken Ägypten, den in den Schlachten um Nordafrika, um den Nahen Osten…? Schnell ist dem Betrachter klar: Diese Kriegsschauplätze sind so austauschbar wie viele der Friedensverhandlungen und ihre Ergebnisse auch und die Schlachten selbst erst recht. Ob die Menschen mit Schwertern, Lanzen, Hellebarden oder gar einer Atombombe aufeinander los gehen, macht kaum einen Unterschied. Und die Verwundeten und Toten - sie sind die furchtbaren, immer gleichen Abbilder dieser Kriege, jeden Krieges. All das braucht nicht erzählt, gesungen oder gespielt zu werden; die Regie wählt ein einfaches, überraschendes und bestens geeignetes Mittel, diesen Hintergrund als den immer gleichen Schauplatz zu zeichnen: auf der Filmleinwand laufen schwarz-weisse Filmszenen ab, die kein Detail dieser Kriege auslassen, von der riesigen Kanone, den endlosen Reihen Gefangener bis zu Details zerschossener Häuser und Körper… Die Opernhandlung wendet sich intimer den menschlichen Hintergründen zu, und die gibt es reichlich. Sie sind der Boden, aus dem Kriege empor schießen.

Den Raum vor der Leinwand verwandelt Gideon Davey mit einigen Versatzstücken und zwei oder drei Sandhaufen, die er ohne zu zögern zwischen die Kinositze platziert, quasi von selbst mal in den Sandspielkasten des Plotemäus mit seinem Panzerspielzeug, dann in den Vorgarten des Königspalastes, aber auch in den All-inclusive-Strand der Cleopatra oder schließlich in einen abgedunkelten Meditationsraum, im dem eine erschütterte Cleopatra eine bewegende, langsam ersterbende Arie singt - ergreifend. Für Cleopatras Schlafzimmer, Kontaktraum oder Umkleidezimmer reicht ihm ein in die Szene schiebbares rotes Separée. In ihm vergnügen sich Cleopatra, Caesar, Ptolemäus oder Nirenus auf ihre je spezifische Weise, in einer von Lynne Hockney entworfenen geschickten Bewegungsregie.

Caesars Truppen schlagen die Ägypter unter Pompejus. Achillas, Vormund des erst dreizehnjährigen ägyptischen Thronfolgers Ptolomeus XII., schäumt vor Wut, sinnt auf Rache und läßt Pompejus vor den Augen seiner Gattin Cornelia enthaupten, um die Schmach zu tilgen. Caesar schwört, den römischen Feldherren zu rächen, den ägyptische Mörder niedergestreckt haben. Die um ihr Thronerbe betrogene Cleopatra und Cornelia mit Sohn Sextus werden schnell zu seinen Verbündeten.

Für den Zuhörer wirklich überraschend ist, wie kongenial und passend Händels barocke Musik in diesem modernen Szenario eines Krieg-und-Frieden-Epos klingt. Ob es zarte Holzbläsertöne sind, wenn in der Ouvertüre die ersten Bombenflieger über die Leinwand rasen, Blech und Schlagwerk den Kriegslärm näher tragen oder weiche Streicherpassagen Cleopatras einsame Reflexionen begleiten oder als fröhlich-barocke Tanzmusik durch den Palast fliegen, nirgends wirkt diese Musik angestaubt. Sie ist integraler Teil eines bis zum Schluss haltenden Spannungsbogens. Ein hervorragend eingestimmtes und feinfühliges Philharmonisches Orchester unter Samuel Bächli hat wesentlichen Anteil daran, dass der musikalische Faden zur Handlung nie verloren geht.

Mit facettenreichen Arien, Duetten oder Terzetten zeichnen die Solisten überzeugend die menschlichen Hintergründe der Figuren. Es fällt schwer, hier einzelne Stimmen hervorzuheben. Kein Zweifel, dass Benno Schachtners Caesar und Denis Lakeys Ptolemäus schon aufgrund ihrer ungewöhnlichen Counter-Tenorstimmen herausragen. Stéphanie Müthers Cornelia und Daniela Gerstenmeyers Cleopatra stehen ihnen mit leuchtenden Sopranstimmen kaum nach. Mireille Lebel gibt einen jungen, naiv-stürmischen Sixtus mit fast hartem Sopran, von dem seine Mutter „Härte“ erwartet. Robert Wörle als Nirenus, Vertrauter der Cleopatra und schlitzohriger „Diplomat“ hinter den Kulissen, präsentiert mit Humor und Spielwitz seine doppeldeutige Rolle. Mit einem bemerkenswerten Violinsolo gewinnt Roland Rohde die besondere Aufmerksamkeit der Zuhörer.

Lawless und Bächli haben das ursprünglich von Händel als Heldenoper konzipierte Bühnenstück ins 20. Jahrhundert geholt und seine ehemaligen „Helden“ gründlich entzaubert. Dass dabei gleichwohl wunderschöne musikalische Augenblicke und Eindrücke erhalten bleiben, ist der Qualität und Emotionalität der Händelschen Musik zu danken. Ihre ganze Einfachheit und Emotionalität entfalten Daniela Gerstenmeyer und das Orchester in einer ergreifenden Schlussarie.

Das Publikum ist überrascht von einer überzeugend modernen Regie und einer eher leichtfüßigen Musik, die auf spannende Weise die Widersprüchlichkeiten der Kriegerfigur Julius Caesar hörbar macht. Es bedankt sich mit minutenlangem, begeisterten Beifall. - Aus seinen Siegesträumen landet Cäsar unsanft auf der Bühne, im Cockpit eines Kampffliegers durchbricht er die Leinwand, auf der er gerade noch flog. Bruchlandung im Diesseits. Da fragt nicht nur er: „Aber wohin gehen wir?“

Horst Dichanz

Fotos: Lutz Edelhoff