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Fakten zur Aufführung 

DIE FRAUEN DER TOTEN
(Alois Bröder)
2. Februar 2013
(Uraufführung)

Theater Erfurt


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

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Nach der Premiere

Regisseurin Gabriele Rech, Komponist Alois Bröder und ihr Team sind zufrieden. Die intensive Vorbereitung einer Uraufführung hat sich gelohnt. Jetzt wird gefeiert (4'53).


 

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Sturm der Emotionen

Das Stück spielt in einem puritanischen Milieu im 19. Jahrhundert in Neuengland. Zwei Frauen erfahren kurz nach der Trauerzeremonie durch jeweils einen Boten, ihre Männer sollen noch am Leben sein. Doch keine der Frauen traut sich, der anderen das eigene Glück mitzuteilen.

So einfach dieser Plot zunächst scheint, so verschlungen präsentieren sich dem Zuschauer die beiden Versionen der einen Geschichte. In der ersten Version hangelt sich Komponist Alois Bröder vor allem an der Original-Version des Textes von Nathaniel Hawthorne entlang und lässt auf Englisch singen. In einer zweiten Version führt Bröder den vorgegebenen Faden weiter. Die Musikmotive für die beiden Frauen verweben sich.

Die Frauen offenbaren Hoffnungen, Sehnsüchte und Ängste. Sie tauschen die Schlafzimmer. Die Brüder rufen überkreuz nach den Frauen. Erkennbar wird die Verwobenheit für die Zuschauer auch durch den Wechsel von Englisch zu Deutsch und den Wechsel der Chorsänger: die Männer müssen den Frauen weichen. Bröder benennt darum die zwei Versionen einmal als „träumerische Realität“ und als  „realistischen Traum“ .

Norman Heinrich öffnet mit seinem Bühnenbild einen Guckkasten in die Psyche zweier Frauen. Die Gemeinschaft der Schwägerinnen ist auch räumlich verwickelt, denn die Brüder und ihre Frauen leben im selben Haus. Ein kinderloser Doppelhaushalt mit gemeinsamer Küche und Wohnzimmer unten und separierten Schlafzimmern oben, damit gestaltet Bühnenbildner Norman Heinrich die Bühne zum überdimensionalen Puppenhaus, das den Zuschauer hinein nimmt in die Geschehnisse.

Reduziertheit herrscht auch bei den Kostümen. Die Kostüme von Gabriele Heimann verweisen auf die Entstehungszeit der Erzählung und ihren puritanischen Stil. In der hochpräzisen und von atmosphärischen Lichtwechseln verstärkten Regie von Gabriele Rech werden die unruhigen Nächte der beiden Witwen zu einem beklemmenden Einblick in das Schicksal der beiden Frauen Mary und Margaret, die  nur mit ihren Männern eine Chance auf ein erfülltes Leben haben können. Die aber allein von der Trauer überwältigt werden.

Tatsächlich kann man von der ersten zur zweiten Version eine enorme dramatische Steigerung erleben. Rech führt ihr Personal mit sicherer Hand. Jede Geste hat eine eigene Bedeutung. Überzeugend gesanglich und schauspierisch umgesetzt wird das von den Solisten - vor allem Marisca Mulder als Mary und Mireille Lebel als Margaret.

Marisca Mulder als Mary singt und spielt virtuos alle Facetten dieses sensiblen Charakters. Sie ist fromm und hängt an der Bibel, sie schreit nicht wie Margaret ihren Schmerz gleich hinaus und erlebt deshalb den Zustand zwischen Traum und Wirklichkeit sehr intensiv. Sie verkörpert diese menschliche Ebene, die viele Menschen vom Erwachen aus bösen Träumen her kennen.

Mit der Rolle als Mary taucht sie übrigens tief in die eigene Vergangenheit ein, denn ihre Vorfahren  kommen aus dem kleinen Fischerdorf Paesens-Moddergat. Dort gibt es ein Fischermuseum und einen Friedhof, wo nur Seeleute begraben sind. Vielleicht sind es diese persönlichen Erfahrungen, die ihrer Stimme die Überzeugungskraft verleihen.  Mal ist sie versonnen melodisch, ein anderes Mal eindrucksvoll begehrlich nach Glück strebend.

„Suchend“ hat Alois Bröder über die Partitur geschrieben, kaum wahrnehmbar schleicht sich der Ton „e“ im dreifachen Pianissimo der 1. Violinen ein, dann folgt eine Harfe, die Marys Gesang begleitet. Eine siebenstufige Leiter mit dem Umfang einer Oktave, die Marisca Mulder da zu bewältigen hat. Und sie meistert diese Herausforderung brillant, traumwandlerisch ihrer Rolle angemessen. Sie verkörpert auch stimmlich das Prinzip Hoffnung.

Margaret dagegen ist ein lebhaftes und reizbares Temperament, und sie wird von Mireille Lebel enorm lebensecht gespielt. Nach der Begegnung mit dem Nachbar Parker, gesungen von Florian Götz, wird sie zu sängerischen Höchstleistungen herausgefordert. Die hohe Lage der Flöten unterstreichen das von ihr gesungene Hoffnungsmotiv, das in seiner Fragilität vergehen muss. Mireille Lebel atmet geradezu diese Kurzlebigkeit ihrer Gefühlsaufwallungen. Sie ist stimmlich das Gegenstück zu Mary.

Marwan Shamiyeh als Margarets Mann und in der Rolle des Stephen  singt lange melodiöse Szenen auf Englisch mit Mary und damit einen anderen Charakter als auf Deutsch in der zweiten Version der Oper. Für ihn als Tenor hat der Komponist alles in bester Lage geschrieben, dort, wo seine Stimme am besten läuft, und Marwan Shamiyeh zeigt sich in Bestform.

Die Musik der Oper vermittelt auch Lebensnähe. Sie ist schauspielerisch inszeniert, und Entwicklungen sind nicht vorhersehbar.  Besonders fasziniert das Publikum die Liebesszene im zweiten Teil. Die verkörpert Marwan Shamiyeh vielleicht so glaubhaft, weil er und Marisca Mulder auch im richtigen Leben  ein Paar sind.

Der Chor bildet in dieser Oper den roten Faden, ist Erzähler und Akteur im Wechsel. Dass der Chor dies auch akustisch so gut darstellt, verdankt er der akribischen Anleitung durch Andreas Kettelhut. In der zweiten Version tritt der Chor als Trauergemeinde auf, doch auch die Trauerzeremonie wird zur Eröffnung eines neuen Horizontes. Die ambivalente Einheit von statischem Auftreten des Chores und der gesanglicher Varianz: das hat Andreas Kettelhut mit  seinem Chor zu einer großen stimmlichen Leistung erarbeitet. Die Chor-Trauergäste: Manuel Meyer als Pfarrer, Reinhardt Becker, Ralph Heiligtag, Tobias Schäfer und Jan Rouwen Hendriks überzeugen durch düsteren Auftritt und bilden das puritanische Milieu ab, das den Hoffnungen und Sehnsüchten der Frauen gegenüber steht.

Johannes Pell, dem Dirigenten, gelingt es, das Orchester präzis durch diese Wellenstürme zu führen. Scheinbar ohne Mühe gelingt es ihm, Orchester, Chor und Sänger zu einer musikalischen Einheit zu formen. Dabei hat ihm der Komponist viele Aufträge erteilt. Gleich zu Beginn sind die musikalischen Ingredenzien scharfe, knappe, harmonisch offene Akzente wie Schlagwerk und Klavier, tiefe Streicher, Hörner, Trompeten und Posaunen. Eindrucksvoll und einfühlsam genau leitet Pell das Orchester am Schluss: nach dem sukzessiven Verklingen des Tuttis dem Klavier zu in einem chromatischen Quartgang das Ende zu besiegeln. Eingehüllt ist das Ganze in ein langes Abwärts-Glissandi von Harfe, Celli und Kontrabässen. Dieser „Passus duriusculus“ steht als Topos für Schmerz und Niedergang. Und Pell meistert mit dem Orchester diese Passage so gut, das dem Zuschauer auch für einen Moment der Atem stockt.

Regisseurin Gabriele Rech hat mit hoher Professionalität die reduzierte Geschichte detailreich und spannungssteigernd ausgeformt. Das Stück von Hawthorne, einem der Begründer der amerikanischen Nationalliteratur, offenbart unter ihrer Ägide immer neue Einsichten. So viel Stimmigkeit ist auch im Erfurter Theater nicht immer, die Umsetzung dieser neuen Oper zeigt sich enorm kongruent. Vom Publikum gibt es deshalb anhaltenden und respektvollen Applaus.  

Thomas Janda, Larissa Gawritschenko

Fotos: Lutz Edelhoff