Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

EUGEN ONEGIN
(Peter Tschaikowsky)
14. Februar 2013
(Premiere)

Theater Erfurt


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort



 

zurück       Leserbrief

Onegins einsame Tragödie

Es soll das Opernereignis des Jahres in Erfurt werden, die Neuinszenierung von Peter Tschaikowskis Klassiker Eugen Onegin. Mit einer großangelegten Werbekampagne wird die Premiere beworben, und zwei Namen stehen dabei im Vordergrund. Der junge Bariton Kartal Karagedik in der Titelpartie, der in diesem Jahr seinen 30. Geburtstag feiert, wurde schon mit seinem Debüt als Simon Boccanegra vor einem knappen Jahr in Erfurt umjubelt. Und die mittlerweile 72-jährige Sopranistin Karan Armstrong als Larina, die in den 1980-er Jahren vor allem in Berlin Triumphe feierte. Zwei Namen, zwei Generationen, ein Ziel: Eugen Onegin in Erfurt zu einem triumphalen Erfolg zu führen. Um diesen Erfolg zu sichern, hat man mit dem Würzburger Intendanten Hermann Schneider einen erfahrenen Regisseur verpflichtet und mit dem Dirigenten Peter Feranec einen ausgesprochenen Experten für russische Musik engagiert. Die Rahmenbedingungen können also kaum besser sein, entsprechend hoch die Erwartungshaltung, und genauso groß die Enttäuschung, dass die Umsetzung dieser großen musikalischen Tragödie in vielen Teilen nicht gelingt.

Auf der Basis eines der großen Werke der russischen Literatur, des gleichnamigen Versromans von Alexander Puschkin mit autobiographischen Bezügen, komponierte Peter I. Tschaikowsky ein musikalisches Drama von großer Intimität und Emotionalität, das zu seiner erfolgreichsten Oper wurde und 1879 in Moskau uraufgeführt wurde. Der große tschechische Komponist Antonin Dvorak schreibt nach der Uraufführung an Tschaikowski: „Es ist eine wundervolle Schöpfung, voll warmer Empfindung und Poesie und in allen Einzelheiten gekonnt, kurzum, diese Musik ist bestrickend und dringt so tief in unser Herz ein, dass man sie nie wieder vergessen kann.“ Es ist die Geschichte einer unerfüllten Liebe, aber auch einer zerstörten Freundschaft und gleichzeitig ein Gesellschaftsdrama um Werte wie Ehre, Stolz und Loyalität. Ein melancholisches Werk und charakteristisch für die russische Seele.

Von den beiden Töchtern der verwitweten Gutsbesitzerin Larina ist die lebhafte Olga allen Freuden des Lebens zugetan, während die stille, verschlossene Tatjana sich lieber in Bücher vertieft. Olgas Verlobter, der melancholische Poet Lenski, erscheint in Begleitung seines Freundes und Gutsnachbarn Eugen Onegin, einem weltgewandten Großstadtmenschen und Freigeist. Für Tatjana erscheint dieser Onegin wie ein Held aus ihren Büchern, und sie verliebt sich sofort in ihn. Tatjana ist nach dem Besuch Onegins zu aufgewühlt, um schlafen zu können. Sie schreibt einen Brief an Onegin, der ihre Gefühlswelt offenbart. Am nächsten Morgen bittet sie ihre Kinderfrau Filipjewna, Onegin den Brief zukommen zu lassen. Onegin sucht Tatjana auf, nimmt ihr alle Hoffnungen und demütigt die junge Frau in herablassender Art und Weise: Er misstraue der Dauer von Gefühlen, nur wie ein Bruder könne er sie lieben, für die Ehe sei er ungeeignet. Tatjana ist tief enttäuscht und verletzt.  

Monate später erscheinen Lenski und Onegin bei der Feier von Tatjanas Namenstag. Onegin äußert sich verächtlich über den Tratsch der Ballgesellschaft. Er bereut es, Lenski den Gefallen erwiesen zu haben, das Fest zu besuchen. Um den Freund zu kränken, flirtet und tanzt er mit Olga, die solche Avancen augenscheinlich genießt. Der Franzose Triquet trifft ein und singt zu Tatjanas Ehren ein Couplet. Lenskis Eifersucht bezüglich Olga steigert sich bis zum Eklat: Er kündigt Onegin die Freundschaft auf und fordert ihn zum Duell. Aufgebracht verlassen Lenski und Onegin das Haus. Im Morgengrauen wartet Lenski mit seinem Sekundanten Saretzki auf den Gegner. Lenski nimmt in Gedanken Abschied vom Leben und von Olga. Verspätet erscheint Onegin mit seinem Diener Guillot. Im Duell erschießt Onegin seinen Freund. 

Einige Jahre sind vergangen. Tatjana ist mittlerweile mit dem Fürsten Gremin verheiratet, lebt in St. Petersburg und verkehrt in den höchsten gesellschaftlichen Kreisen. Nach rastlosen Reisen zurückgekehrt, kommt Onegin auf das Fest des Fürsten und erkennt Tatjana. Vor Onegin lobt Gremin seine junge Frau und spricht vor ihm darüber, wie sehr er sie liebt. Onegin überkommt ein Aufruhr der Gefühle, und er spürt, wie er Tatjana begehrt. Nach einer kurzen Begrüßung zieht sich Tatjana zurück.  Onegin hat Tatjana in einem Brief um ein Treffen gebeten. Tatjana empfängt Onegin am nächsten Morgen. Sein überraschendes Erscheinen auf dem Ball hat auch sie in Unruhe versetzt. Onegin beteuert ihr gegenüber seine Liebe und bittet sie, mit ihm fortzugehen. Ein zweites Mal gesteht Tatjana ihm ihre unverminderte Liebe ein, bekennt sich aber eindeutig zu ihrem Ehemann Gremin. Onegin bleibt allein und voller Verzweiflung zurück.

Hermann Schneider inszeniert das Werk als „Tragödie eines Überflüssigen“, so seine Charakterisierung des Eugen Onegin. Doch es sind mehrere Tragödien, die in diesem Werk verflochten sind, aber nur im Ansatz als Charakterstudien herausgearbeitet werden. Da ist die Tragödie der Tatjana, ihre heiße unschuldige Liebe in jungen Jahren, der Brief, im Fieberwahn geschrieben, und schließlich das Eingestehen der alten Liebe und Bekenntnis zu ihrem Mann. Diese Charakterstudie gelingt nur ansatzweise. Da ist kein Fieberwahn in der Briefszene, und die aufflammende Liebe zu Onegin ist nur schwer nachvollziehbar. Dann gibt es die Tragödie des Lenski. Ein melancholischer Poet, vielleicht etwas depressiv, voller Komplexe und dem Lebemann Onegin unterlegen. Auch dieser Charakter wird nur kurz angeleuchtet. Die Freundschaft zwischen ihm und Onegin ist überhaupt nicht erkennbar, und auch die unglückliche Beziehung zu seiner Olga dümpelt vor sich hin. Dass er sich dann im Duell voller Verzweiflung bewusst von Onegin erschießen lässt, das versteht nur der Zuschauer, der sich etwas intensiver mit dem Werk beschäftigt. Es bleibt also die einsame Tragödie Onegins, an diesem Abend sogar im doppelten Sinne. Onegin ist ein einsamer Wolf, der erst nach dem Tode seines Freundes Lenski wach wird und versucht, die Vergangenheit zu korrigieren, doch da ist es zu spät. Das Spiel beginnt als Retrospektive, Schlussbild und Anfangsbild sind identisch. Immer wieder schweift Onegin aus der Erinnerung in die Gegenwart zurück. Ein durchaus interessanter Ansatz, aber dramaturgisch nicht konsequent umgesetzt. Und so plätschert die Handlung dahin, von einer stringenten Personenregie ist wenig zu spüren. Bernd Franke besorgt das Bühnenbild für diese Inszenierung. Ein einfacher Bühnenraum mit einem absenkbaren Dach, das eher an ein japanisches Teehaus erinnert und ein ideales Bühnenbild für eine Madama Butterfly wäre, doch hier die Tragödie auf ein Kammerspiel reduziert. Ein gelbes Podest, im dritten Akt mit rotem Stoff überzogen, ein Sofa, ein Schreibtisch für Tatjanas Briefszene und im Vordergrund eine kahle Birke als Synonym für die russische Weite und Einsamkeit, das ist alles. Mit wechselnden Lichteffekten von Tosten Bante soll so etwas wie Stimmung oder Emotion erzeugt werden. Die Kostüme von Götz Lanzelot Fischer sind opulent, passen durchaus in die Zeit der Handlung, lediglich Henriette Gödde als Olga ist mit ihrem Kostüm derart unvorteilhaft gekleidet, dass man schon Mitleid mit ihr haben muss. Die Choreographie von Sten Mitteis wirkt eher hölzern. Summa summarum eine langweilige, uninspirierte Darbietung ohne dramatische oder emotionale Höhepunkte.

Auch sängerisch kann die Darbietung den Abend nicht retten. Zwar ist Kartal Karagedik  für die Rolle des Onegins, sicher eine der unsympathischsten Titelrollen der Opernliteratur, sängerisch und darstellerisch eine Idealbesetzung. Sein großkotziges arrogantes Auftreten gegenüber dem jungen naiven Mädchen vom Lande, Tatjana, deren Qualitäten er gar nicht erkennen kann, kommt sehr echt rüber. Was für eine herablassende Art, wenn er ihre schwärmerische Liebe eiskalt ablehnt. Welch gelangweiltes Auftreten, mit ihrer Schwester Olga anzubandeln, weil er gerade nichts Besseres zu tun hat. Das Duell mit seinem alten Freund Lenski allerdings geht ihm nahe, und trotzdem erschießt er ihn. Karagediks Bariton ist markant, ausdrucksstark und voller Charakter mit einem dunkel metallisch schimmernden Kern. Die Schlussszene gestaltet er mit großer Leidenschaft, die Verzweiflung ist spürbar, insbesondere, wenn er die Briefszene musikalisch rezitiert. Doch nicht nur in der Handlung, auch sängerisch bleibt er an diesem Abend alleine.

Ilia Papandreou als Tatjana wird vor der Aufführung von Intendant Guy Montavon schon fast theatralisch als indisponiert angekündigt. Sie habe Husten. Zwar gehöre der Husten zu den großen Frauengestalten in Opern wie La Traviata oder La Bohème, aber eben nicht zur Tatjana. Nun wartet natürlich das Publikum, das Ilia Papandreou dieser Ansage auch nachkommt. Als sie tatsächlich einmal kurz zwischen zwei Szenen hustet, geht schon fast ein Raunen durchs Publikum. Hier wird eine Indisposition schon inszeniert. Und dann muss man die Frage stellen, warum dann nicht die Doppelbesetzung, Marisca Mulder, zu ihrem Auftritt kommt. Allerdings gestaltet Ilia Papandreou die Partie durchaus solide, doch die dramatischen Facetten mit ausdrucksvollen Höhen und warmem Timbre in den tiefen und lyrischen Passagen gelingen ihr nicht wie gewohnt. Insbesondere in der Briefszene, der Schlüsselszene des Werkes und ihre große Arie im ersten Aufzug, kann sie die Dramatik und die großen Gefühle einer sich im Fieberwahn befindlichen jungen Frau nicht zum Ausdruck bringen. Der Wandel zur reifen Frau gelingt ihr dann aber ansprechend, und so wird die Schlussszene mit Karagedik zum musikalischen Höhepunkt. Im gesunden Zustand wäre es sicher eine andere Tatjana geworden, die Ilia Papandreou dargestellt hätte.

Richard Carluccis gibt darstellerisch die Rolle des melancholischen Poeten Lenski zwar mit großem Engagement, wohingegen er sängerisch an diesem Abend in keinster Weise überzeugen kann. Seine Höhen sind unsauber und klingen angestrengt, es ist schon fast eine Qual, ihm zuzuhören. Das das Publikum nach seiner großen Arie vor dem Duell sogar Bravo ruft, ist für den fachkundigen Zuschauer überhaupt nicht mehr nachvollziehbar. Henriette Gödde als Olga verfügt noch nicht über einen ausgereiften, warmen Mezzosopran, einige Passagen klingen einfach zu schrill. Auch spielerisch kann sie nicht überzeugen. Koketterie sieht anders aus. Hingegen Katharina Walz als Filipjewna hat dieses warme, profunde Timbre in der Stimme und verleiht der Rolle dadurch diesen schon fast mütterlichen Charakter. Karan Armstrong hat immer noch eine ordentliche Bühnenpräsenz, doch stimmlich hat sie ihren Zenit altersbedingt natürlich lange überschritten und ist der kleinen, aber schwierigen Rolle der Larina gesanglich nicht mehr gewachsen. Ganz schlimm ist das Frauenquartett in der ersten Szene, aus der Armstrong mit schrillem Sopran herausragt. Sie hat sich und der Oper Erfurt mit diesem Auftritt sicher keinen Gefallen getan. Vazgen Ghazaryan gibt den Fürst Gremin mit durchdringendem, gewaltigem Bass, erscheint aber vom Ausdruck noch zu jung für diese Charakterrolle. Christoph Dyck singt das anspruchsvolle Couplet des Triquet mit solidem lyrischen Tenor, und Gregor Loebel gibt den Saretzki mit wuchtig markantem Bass.

Der Chor, einstudiert von Andreas Ketelhut, passt sich dem sängerisch inhomogenen Niveau an und strahlt nicht die Dominanz aus, die man allgemein in diesen Chorszenen erwartet.

Peter Feranec führt das Philharmonische Orchester Erfurt zwar mit präzisem Schlag, großem Engagement und sicherem Gespür für die Herausforderungen, die dieses Werk an Musiker, Sänger und Dirigenten stellt. Dennoch bleibt der melancholische Klang, die russische Seele in der Musik, in weiten Strecken nur rudimentär, so auch bei den großen Tanzszenen, und die emotionale Berührung bleibt aus. Auch fällt auf, dass die russische Sprache nicht mit dem notwendigen Fluss gesungen wird, das klingt sowohl bei den Sängern als auch beim Chor zu technisch, zu phonetisch.

Das Premierenpublikum nimmt das Werk mit freundlichem Applaus auf. Es gibt berechtigte Jubelrufe für Kartal Karagedik, aber auch die anderen Protagonisten werden bejubelt, da fehlt es doch deutlich an Differenzierung. Das Regieteam erhält weder Buhs noch Bravos, nur warmen Applaus. Kein Skandal, kein Aufreger, eher wie ein seichter Fernsehabend am Sonntag im ZDF. Und das ist die größte Enttäuschung nach all den vollmundigen Ankündigungen.

Andreas H. Hölscher

 

Fotos: Lutz Edelhoff