Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

LA CENERENTOLA
(Gioacchino Rossini)
25. Januar 2014
(Premiere am 21. Dezember 2013)

Theater Erfurt


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort



 

zurück       Leserbrief

Gourmetmenü à la Rossini

Gioachino Rossini gilt als der Feinschmecker, der Gourmet unter den Komponisten seiner Zeit, die Tournedos alla Rossini, eine Zubereitungsart von  Rinderfiletsteaks  mit einer Scheibe  Gänseleber, sind nach ihm benannt. Und so wie diese Delikatesse ist auch seine Vertonung des Märchenstoffs von Aschenputtel, La Cenerentola, eine musikalische Kostbarkeit und neben dem Barbier von Sevilla sein populärstes Werk. Ein wahrlich gefundenes Fressen für jeden Regisseur, der dieses Werk auf die Bühne bringen darf. In Erfurt serviert Lynne Hockney mit ihrem Opernregiedebüt ein spritziges, witziges Menü mit allerlei raffinierten Zutaten, das so richtig mundet und Lust auf mehr musikalisch-kulinarische Genüsse macht.

Der Stoff, aus dem die Märchen sind, ist hinlänglich bekannt. Doch bei Rossinis Vertonung ist es nicht die böse Stiefmutter, die das arme Aschenputtel triezt, sondern der dumme, selbstgefällige Stiefvater Don Magnifico. Dieser lebt mit seinen Töchtern Clorinda, Tisbe und seiner ungeliebten Stieftochter Angelina, genannt Cenerentola. Da erscheint Prinz Ramiro, der auf Brautsuche ist, als Diener verkleidet im Hause Magnificos. Vorher hat er Rolle und Kleidung mit seinem Diener Dandini getauscht, der sich wiederum als Fürst ausgibt und die Familie auf sein Schloss einlädt. Aschenputtel muss natürlich zu Hause bleiben. Während die beiden Schwestern Clorinda und Tisbe um die Gunst des vermeintlichen Prinzen buhlen, erscheint das Aschenputtel als festlich gekleidete schöne Unbekannte. Sie schenkt ihre Gunst dem angeblichen Diener, verlangt aber von ihm, sie in ihrem Haus zu suchen und zu finden. Als Erkennungszeichen gibt sie ihm einen Armreif. Don Magnifico erfährt, dass Clorinda und Tisbe um den Falschen geworben haben und seine Anstellung als Kellermeister in Gefahr gerät. In der Nacht tauchen dann Dandini und Ramiro in Don Magnificos Haus auf, jetzt aber ohne Rollentausch. Don Ramiro erkennt in dem Aschenputtel die schöne Unbekannte, der Armreif passt, und er hält um ihre Hand an. Am Schluss verzeiht Angelina ihrer Familie allen Unbill, den sie ertragen muss. Diese Geschichte von Aschenputtel in der Version des französischen Dichters Charles Perrault wurde mit der Musik Rossinis zur erfolgreichsten italienischen Märchenoper.

Lynne Hockney, ausgebildete Choreographin, beweist viel Gefühl für die Musik und zaubert eine gar unromantische Komödie auf die Bühne, mehr sozialkritisches Bühnenspiel im Rokoko-Gewande als klassisches Märchen. Ihr Aschenputtel ist eine selbstbewusste und zielstrebige junge Frau, die ihre Chance nutzt, dem elenden Dasein als schmutziges Aschenputtel zu entfliehen. Es ist ihr edles Gemüt, das am Ende über triviale Machenschaften siegt. Doch auch ihr Prinz Ramiro ist ein Edelmann, der um seiner selbst geliebt werden will, nicht wegen Titel oder Reichtum. Hockney inszeniert dieses Werk als „Metamelodramma“, der Oper über die Oper. Leitfaden ist der Ausspruch Alidoros, des weisen Lehrers Ramiros: „Il mondo è un gran teatro – Siam tutti commedianti“ – Die Welt ist ein großes Theater – Wir sind alle Komödianten. Im Stile von Mozarts Der Schauspieldirektor malt Hockney ein Bild von der Welt als Bühne. Dabei wird sie kongenial von Benoit Dugardyn und Giovanna Fiorentini unterstützt. Dugardyn beginnt sein Bühnenbild mit dem Haus von Don Magnifico, das einem heruntergekommenen Theater mit Seitenlogen ähnelt. Doch dann verwandelt sich das Bild in einen bunten, märchenhaften Palast mit herrlichen barocken Kulissen, die vom Schnürboden herabgelassen werden. Scheinwelt, Illusion, Märchenzauber, all das strahlen die Kulissen aus, und man fühlt sich plötzlich in das Jahr 1817 zurückversetzt, dem Jahr der Uraufführung. Dugardyn hat ein Händchen für Detailverliebtheit und Originalität. Die damaligen Mittel und Möglichkeiten werden wiederbelebt, sogar ein Ballon à la Montgolfier wird präsentiert. Und bei so einer barocken Komödie dürfen Naturereignisse wie Erdbeben, Regen, Donner und Blitz nicht fehlen, dazu werden Windmaschine und Donnerblech von den Lakaien aus dem Orchester auf die Bühne gebracht, und das alles wird passend illuminiert. Neben diesem liebevollen Bühnenbild gefallen die zeitlich passenden Kostüme von Giovanna Fiorentini, die farbenprächtig, opulent und etwas verrückt die Illusion des großen Barocktheaters vermitteln.

Die Protagonisten haben sichtbar Freude an dem Stück und spielen mit herzerfrischendem komödiantischen Gestus. Mireille Lebel als Angelina gelingt spielerisch der Wandel vom schmutzigen Aschenputtel zur großen gütigen Dame. Mit ihrem schlanken Sopran bewältigt sie auch die schwierigen Koloraturen und Parlando-Stellen mit scheinbar müheloser Leichtigkeit. Uwe Stickert als Don Ramiro überzeugt mit klarem und kräftigem Spinto-Tenor in der Rolle des Don Ramiro. Florian Götz als Dandini lässt mit seinem schmeichelnden Bariton die Herzen der Damen höher schlagen, während Vazgen Ghazryan mit markantem Bass als weiser Alidoro der Strippenzieher hinter den barocken Kulissen ist. Gregor Loebel gibt mit dröhnendem Bass die Karikatur des Prinzipalen Don Magnifico. Sopranistin Julia Neumann als Clorinda und Mezzo Sandra Fechner als Tisbe geben herrlich komisch die beiden einfältigen und eitlen Töchter Magnificos und runden ein überzeugendes Sängerensemble ab.

Samuel Bächli und das Philharmonische Orchester Erfurt sorgen bei diesem Opernmenü für die wohlschmeckenden Beilagen. Es wird leicht musiziert, die Wechsel zwischen Rezitativen, Arien und Orchestermusik erfolgen ohne Brüche mit farbenreichen typischen Rossini-Bögen. Nur manchmal, in den filigranen Parlando-Stellen, erklingt das Orchester etwas zu laut, etwas zu forciert, was der Begleitung der Sänger nicht gut tut. Doch gemeinsam mit dem gut aufgelegten und von Andreas Ketelhut formidabel einstudierten Herrenchor gelingt das Werk zu einem genussvollen Menü, die Schlussszene ist dann das Sahnehäubchen zum Dessert.

Das Publikum ist am Schluss begeistert, nachdem es während der Aufführung mehr durch intensives Tuscheln, genüssliches Auswickeln von Bonbons und bronchialem Mitteilungsbedürfnis auf sich aufmerksam gemacht hat. Da fühlten sich einige mehr im Kinosaal als in der Oper, aber vielleicht gehört das ja zur komödiantischen Illusion? Mit dieser Inszenierung hat Erfurt eine familientaugliche kurzweilige Komödie auf die Bühne gebracht, die neue Freunde der Gattung Oper gewinnen wird. Und um beim Feinschmecker Rossini zu bleiben: Es hat gemundet!

Andreas H. Hölscher

 

Fotos: Lutz Edelhoff