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Fakten zur Aufführung 

LUTHER! REBELL WIDER WILLEN
(Erich A. Radke)
27. Juni 2013
(Uraufführung am 15. Juni 2013)

Landestheater Eisenach


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Luther ohne Leidenschaft

Wer zu einer historischen Figur, einem historischen Ereignis ein Musiktheater schaffen will, hat eigentlich zwei Möglichkeiten: Entweder orientiert er sich an historischen Fakten, dann ist der kreative Spielraum eingeengt, oder man erfindet in künstlerischer Freiheit neue Figuren oder Ereignisse, dann ist nur eine grobe Orientierung an den Fakten nötig. Erich A. Radke und Tatjana Rese haben einen Kompromiss versucht, der prompt daneben geht. Weder entwickelt sich aus den gestückelten biographischen und theologischen Daten und einigen Randereignissen eine in einem Musical spielbare Handlung, noch bringen die rockig-poppigen Klänge der Songs einen anderen Blick auf die Figur Luther und die kirchenpolitischen Ereignisse um 1500 in Europa. Keiner von beiden nimmt sich die Freiheit, mit der Andrew L. Webber 1971 den Musicalrenner Jesus Christ Superstar komponiert hat. So reiht Tatjana Rese biographische Episoden eher beliebig aneinander und schafft vor allem in der ersten Hälfte einen bunten Flickenteppich ohne Struktur und Muster. Der Titelheld Luther gibt diesen Episoden nur einen dünnen roten Faden. Das spiegelt sich auch in der Entwicklung einiger Figuren des Stückes wider.

Matthias Jahrmärker, als Bariton stimmlich durchaus überzeugend, gelingt es in knapp drei Stunden nicht, einen von religiöser Leidenschaft getriebenen Luther zu präsentieren. Dieser Luther bleibt olivbraun blass. Mit Ausnahme des provokant in Rot auftretenden Teufels von Stefan Poslovski bleiben auch die meisten anderen Figuren recht profillos. Tomasz Dziecielski überzeugt darstellerisch wie stimmlich und wird bald zum Liebling des Publikums, das seine reißerisch gespielte Rolle ebenso mag wie seine musical-adäquaten Songs, auf denen er sich gern ein wenig „ausruht“. Dziecielski bringt Pfeffer in die ruhige Alltagsatmosphäre, wenn er zunächst den hilfsbereiten, aber später als entscheidenden Verräter tätigen Schriftgießer mit Engagement und scharfer Tenorstimme spielt. Jannike Schubert gibt Katharina von Bora sowie weiteren Figuren eine klangvolle Songstimme, mit kräftigem Bass ragt zudem Michael Brieske als Vater von Luther hervor.

Die Singstimmen werden durch zahlreiche Sprechrollen ergänzt, die von Kaiser Karl V über den Bischof von Köln bis zu Bürgern in Worms reichen. Die Besetzung einiger kirchlicher Würdenträgerrollen mit Frauen mag an die Päpstin erinnern, originell ist sie kaum.

Die Bühne richtet Christian Rinke zeitgemäß ein, Thomas Wolter unterstützt die Dekoration mit effektvollen Videoprojektionen, in denen bekannte Cranach-Motive auftauchen. Den legendären Wurf Luthers nach dem – hier rot provozierenden – Teufel begleitet Wolter mit einem ebenfalls in knalligem Rot zerschellenden Tintenfass an der Videowand.

Die Balletttruppe des Landestheaters bietet ein buntes Spektrum von Bauerntänzen bis zu Teufelreigen, die meist wahllos eingestreut wirken, am überzeugendsten noch der „Totentanz“ nach der Pause.

Das Orchester, das Carlos Chamorro Moreno leitet, braucht einige Zeit, um in Spiellaune zu kommen. Die Vorlage des Komponisten Radke wirkt behäbig und wenig inspirierend, die Schlagzeugpartien geradezu einfallslos. Erst in der zweiten Hälfte des Abends kommt ein wenig drive in die Aufführung, besonders dann, wenn Orchester und Publikum von den Musical-erfahrenen Auftritten Tomasz Dziecielskis mitgerissen werden. So kommt dann zum Schluss doch noch ein wenig locker-muntere Musical-Stimmung auf, wenn er den verrockten Kirchenklassiker Ein feste Burg mitreißend anstimmt. Da mag doch der eine oder andere erstaunt hinhören, wie widerstandsfähig und gültig dieses „Kampflied der Reformation“ daher kommt. Solche Authentizität, so ein Schwung hätte vielen anderen Szenen gut getan.

Eher konventionell als originell, mehr Musical-Alltagskost als mitreißender Sound - das Eisenacher Publikum ist gleichwohl begeistert. Anwachsender Beifall, zahlreiche Vorhänge danken Darstellern, Sängern und Orchester für eine Aufführung, in der trotz eines mageren Stückes die meisten Zuschauer einen unterhaltsamen Abend erleben. Ob das Theater Eisenach gut beraten ist, diesen Musicalversuch als Beitrag zur Lutherdekade bis 2017 auf dem Spielplan zu halten, steht auf einem anderen Blatt.    

Horst Dichanz

Fotos: Christian Brachwitz