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Fakten zur Aufführung 

TOSCA
(Giacomo Puccini)
18. Mai 2013
(Premiere)

Opera Zuid, Parktheater Eindhoven


Points of Honor                      

Musik

Gesang

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Schrille Floria Tosca

Eine Tosca ist auch in den Niederlanden etwas Besonderes. Deshalb hat die Opera Zuid auf ein bewährtes Team bei ihrer neuen Inszenierung gesetzt. Nicola Glück und Pia Oertel besorgen Regie, Kostüm und Bühnenbild, Stefan Veselka steht am Pult für qualitativ hochwertige Musik. Dementsprechend bleiben am Premierenabend im Parktheater Eindhoven kaum noch Plätze frei.

Während sich der Saal allmählich füllt und die Musiker ihre Instrumente stimmen, öffnet sich der Vorhang und gibt den Blick auf die Bühne frei. Wer die Arbeiten Oertels kennt, weiß, dass es in die Höhe geht. Und die Bühnenbildnerin enttäuscht nicht. Eine hohe Wand aus transparenten Kunststoffflächen steht im Mittelpunkt der Handlung in den ersten beiden Akten. Die Wand steht auf der Drehbühne und wechselt zwischen dem Platz vor der Kirche Sant’Andrea della Valle und den Räumen von Polizeichef Baron Scarpia im Palazzo Farnese. Im dritten Akt ist die Wand beiseite geräumt, und es bleibt ein Platz der Verwüstung: Eine freie Fläche mit einem Schreibtisch und Stuhl, auf der verschiedene Requisiten der ersten beiden Akte in Zerstörung zu sehen sind, bildet die Basis für Verrat und Wiederverrat einschließlich behördlicher Formalitäten, Erschießungskommando und Todesszene. Wir sind im Gefängnis der Engelsburg. Damit sich die Tosca schließlich von den Zinnen der Engelsburg stürzen kann, leuchten Teile der Rückwand glutrot. Eine technische Ungenauigkeit verhindert, dass der Eindruck entsteht, Tosca falle unter das fallende Beil einer Guillotine. So darf nur der Kenner der Oper vermuten, was da zum Schluss passiert. Für das Licht zeichnet Arjen Bijtelaar verantwortlich, und, abgesehen von kleineren Pannen, gelingt es ihm, die Ideen von Glück und Oertel umzusetzen. Zahlreiche spotlights sorgen dafür, dass nicht nur die Bühne angemessen ausgeleuchtet ist, sondern ein besonderer Eindruck von Öffentlichkeit entsteht, den die „Angelegenheit Tosca“ verdient hat. Bei den Kostümen halten es Oertel und Glück eher bieder und sorgen damit für gute Erkennbarkeit der Figuren. Die Tosca wird unglücklicherweise in ein laubfroschgrünes Gewand gekleidet – die Regisseurin erkennt darin nach eigener Aussage eher das Grün einer Gottesanbeterin, und damit wäre es stimmig – das sich zwar von den bei anderen Aufführungen üblichen blutroten Kleidern abhebt, aber in der Gesamtwirkung eher zum Fiasko gerät. Abgesehen davon, dass das Kostüm vorne und hinten nicht sitzt, erweckt es eher den Eindruck einer Bekleidung für eine Zwillingsschwangerschaft als der einer stilsicheren Opernsängerin.

Eine halbwegs akzeptable Opernsängerin gibt es an diesem Abend nur eine. Die Attavanti hat im dritten Akt ihren großen Auftritt, und Marjolein Bonnema schafft es, ihn über die Bühne zu bringen. Hat sie das Spiel bislang wortlos begleitet, muss sie im Aufzug des Vorhangs zum dritten Akt eine Vergewaltigung über sich ergehen lassen und ihren Part im Liegen singen. Das gelingt meistenteils, hinterlässt aber einen guten Eindruck. Gnadenlos enttäuschend ist Capucine Chiaudiani als Tosca. Und daran ist nicht ihr Kostüm schuld. Ihre schauspielerischen Qualitäten gehen gegen null. Ihre Biografie verrät, dass es nicht ihre erste Tosca ist. Deshalb ist der Umstand, dass sie erst eine Woche vor der Premiere die Rolle bekommen hat, nachdem Unstimmigkeiten mit der Theaterleitung dafür gesorgt haben, dass sich die Intendanz kurzentschlossen von Rossana Potenza trennte, was wohl eher an der Intendanz als an Potenza lag, kaum Entschuldigung für die Leistung oder vielmehr die fehlende Leistung der Chiaudani. Was man nicht für möglich hält: Capucine Chiaudiani ist eine glatte Fehlbesetzung für die Rolle. Mit brachialer Gewalt drängt sie an die Rampe, der einfache und doppelte Dekolleté-Griff ist ihr erschöpfendes Stilmittel. Muss sie die innige Umarmung mit Caravadossi ertragen, versackt die Stimme. Schrill geht ihr Sopran in die Höhe und verschreckt nicht nur das Publikum, sondern auch Caravadossi, zu dem sie passt wie eine Hundebürste zum Katzenfell. So recht verübeln möchte man ihr allerdings, dass sie das Publikum um den Genuss der Arie Vissi d’Arte bringt, die sie kaum erkennbar interpretiert. Dass sie während der Erschießung Caravadossis die Wand am Bühnenrand streichelt und kaum noch verständlich ist – dem Übertitel sei Dank, dass man überhaupt noch etwas versteht – und schließlich verspätet in den selbst gewählten Freitod springt, gibt der Rolle den Garaus. Adriano Graziani verkörpert den Maler Mario Caravadossi, mit Erkältung angekündigt. Wirklich fehlt ihm in den ersten beiden Akten jeglicher Glanz in der Stimme, was er durch seine Bühnenpräsenz ausgleicht. E lucevan le stelle adelt den Caravadossi – wenn ihm das Orchester keinen Streich spielt. Hier ist die Arie erst im Ausklang erkennbar. Graziani überzeugt im dritten Akt und ist damit der Star des Abends. Daniel Henriks bemüht sich um den Baron Scarpia. Sein Gesang ist ordentlich, aber Selbstgefälligkeit und fehlende schauspielerische Finesse verhindern Bösartigkeit und Hinterlist eines Mächtigen, die die Rolle des Polizeichefs eigentlich so attraktiv machen. Dass Elmar Gilbertsson als Spoletta und Rubén Piantinga als Sciarrone ihre Aufgaben ordentlich erledigen, kann die Leistung der Solisten nicht retten.

Der Chor ist von Tjitte de Vries ordentlich einstudiert und ruft seine Leistung passend ab. Das wäre auch beim Het Brabant Orkest wünschenswert gewesen. Stefan Veselka dirigiert wunderbar und ist einer der Höhepunkte des Abends. Ruhig, transparent, aber immer hochkonzentriert möchte er das Orchester leiten. Schade, dass ihm das Orchester, das in Auflösung begriffen ist, nicht mehr so konzentriert folgen mag. Da wird ganz offensichtlich nicht mehr zum Pult geschaut. Nicht nur bei E lucevan le stelle werden die falsch gespielten Stellen offenbar, da aber umso offensichtlicher.

Regisseurin Glück gelingt es, mit einer stringenten Inszenierung, die auf konsequente Umsetzung statt auf Überraschungen, Effekthascherei und „originelle Ideen“ setzt, die Aufführung trotz aller technischer Schwierigkeiten und musikalischer Pannen zu einem runden Abend zu machen. Und das belohnt das Publikum. Stehende Ovationen unmittelbar nach dem missglückten letzten Sprung der Tosca zeigen die Begeisterung für den Gesamteindruck – und so können sich Glück und Oertel trotz aller Mängel einmal mehr feiern lassen.

Michael S. Zerban







Fotos: Morten de Boer