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Fakten zur Aufführung 

SHOCKHEADED PETER
(Phelim McDermott/Julian Crouch/Martyn Jacques)
12. Mai 2011
(Premiere: 16. Oktober 2010)

Schauspiel Essen


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Bitterbös

Es ist Hoffmanns belehrender Struwwelpeter – aber es ist als „Junk Oper“ von McDermott und Crouch mit der phantasievoll-morbiden Musik Martyn Jacques’ von den legendären Tiger Lillies eine bitterböse Abrechnung mit der gnadenlosen Domestizierung von Kindern.
Das Essener Grillo-Theater mobilisiert alle möglichen Ressourcen der Theaterkunst:

- eine in schwarz-weiß gehaltene Bühne mit geheimnisvoll öffnenden und schließenden Türen und Versenkungen
- und einem orakelhaften „Zauberkasten“ (Günter Hellweg)
- irritierend-unterstützende Videos (Marc Dietschreit, Nadine Heinze, Frank P. Huhn)
- assoziierende Lichteffekte (René Dreher)
- stimulierende Klang-Variationen (Reinhard Dix, Mark Rabe)
- ästhimierende Puppen von Radovan Matijek
- Step-Choreografie von Bernd Paffrath
- und spektakulär sinnstiftende, karikierende Kostüme von Annette Mahlendorf!

Reinhardt Friese inszeniert ein Spiel namenlosen Entsetzens, ein Theater der gezielten Grausamkeiten – im Sinn „märchenhafter Brutalität“ - und immer theatral-kalkuliert „bedeutungsvoll“!
Rezo Tschchikwischwili ist der steuernde und ironisierend-kommentierende Theaterdirektor par excellence - wild gestikulierend, persuasiv schwadronierend.
Hinreißend Tobias Wessler als „Sänger“, der die Hoffmann-Texte mit einer ungemein wandlungsfähigen Stimme im Stile eines ausgefuchsten Altisten mit der intensiven Attitüde eines Moritatensängers präsentiert, und dem das Kunststück gelingt, distanzierende Ironie gesanglich umzusetzen!
Jan Pröhl, Imke Trommler, Sebastian Tessenow und Laura Kiehne prägen lustvoll-persiflierend die bekannten Hoffmann-Figuren Kaspar, Konrad, Philipp, Friederich...: sie alle werden ob ihrer Vergehen vom Tod ereilt; doch – anders als beim wilheminischen Hoffmann – ist die „Moral“: guckt auf den Dreck vor eurer eigenen Tür!
Musikalisch virtuos begleitet wird dieses fulminante Geschehen von The Bearded Ladies: Jörg Kinzius an vielfältigem Schlagzeug, Christoph Kammer mit spektakulärer Bass-Balalaika und Tuba, Willi Haselbek am Klavier und mit Akkordeon: Eine großartige Combo mit viel Sinn für theatrale Optik – variabel in der Interpretation eklektischer Klänge, von klassischen Zitaten über ungarische Klänge und verfremdeten Weill-Andeutungen bis zu Webber-Anspielungen. Mitreißend, wie diese Musiker die Jacques-Komposition ohne Abgleiten in undifferenzierte Pop-Wolken umsetzen: instrumental virtuos, wechselnd zwischen kommentierendem Mit-Leiden und aufmüpfigen Protest.
Das zumeist jugendliche Publikum reagiert gespannt, bei einigen Älteren ist das Nesteln nach Rheila-Perlen nicht zu überhören.
Applaus nach 90 Minuten non-stop-action: jubelnd!

Franz R. Stuke









Fotos: Birgit Hupfeld