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Fakten zur Aufführung 

DAS RHEINGOLD
(Richard Wagner)
5. Juli 2013
(Premiere am 2. Juli 2013)

Projekt Rheingold auf dem Rhein, Duisburger Hafen


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Wagner-Traum, volle Fahrt voraus

Wagner hatte bei der Komposition seines berühmten Vorspiels zum Rheingold den Ur-Ton im Sinn, den er in Es-Dur schrieb. Es ist sicher kein Zufall, dass an diesem Abend der Ton des Horns im Verbund mit den Kontrabässen eine Assoziation zu Motorengebrumm und Schiffshorn auslösen. Schließlich befindet man sich an Bord der MVS Oriana, Europas längstem überdachten Frachtschiff, das an diesem Abend keine normale Ladung trägt, sondern schlichtweg einen wahr gewordenen Traum.

Als eine Gruppe von Studenten der Universität Utrecht vor zwei Jahren beginnt, das 190. Jubiläum des Utrechtsch Studenten Concert – kurz USConcert – für 2013 zu planen, träumen sie von einer Aufführung von Wagners Rheingold am Originalschauplatz, am Rhein selber. Sieben Studenten pausieren sogar für ein Jahr in ihrem Studium, um sich nun in Vollzeit-Arbeit dem Projekt widmen zu können. Mit Hilfe von hunderten freiwilligen Kräften und mit einem breiten Sponsoring wird das Projekt der Studenten Wirklichkeit. 40 Helfer packen allein beim ersten Arbeitstag an Bord an, um den Frachtraum für die Aufführungen umzubauen. Pannen gibt es im Vorfeld natürlich auch: So werden knapp 250 Karten für die 500 Plätze in einer Vorverkaufsstelle glatt vergessen, was zum Glück noch gerade rechtzeitig auffällt. Am Aufführungsabend gibt es nur wenige freie Plätze. Technische Unterstützung kommt von Profis: Erstmals in der Geschichte unterstützen die drei großen Opernhäuser der Niederlande – De Nederlandse Opera, De Nationale Reisopera und die Opera Zuid – ein unabhängiges Projekt.

Die Verwirklichung des Traums setzt für die gebeutelte Kultur ein überwältigendes Signal. Doch damit ist es nicht allein getan: Die Oper selbst muss auf der Bühne bestehen, um nicht nur als Achtungserfolg belächelt zu werden. Um es kurz zu sagen: Die Aufführung des Rheingolds übertrifft die Erwartungen um Längen. Natürlich liegt der Geruch eines Klassik-Events von dem Augenblick an in der Luft, wenn man den Liegeplatz der Oriana auf der Mercatorinsel erreicht, nahe der Mündung der Ruhr in den Rhein. Wenn sich unter den Gästen die klassische Elite befindet, so fällt sie im entspannten Gewusel kaum auf. Die jungen Musiker des Orchesters fläzen sich im Gras herum und spielen sich warm. Die Einweiser geben sich professionell nett und schicken versehentlich manchen Besucher in die falsche Richtung. Übergänge von Land an Bord werden noch nachgebessert. Wenn man über die schmalen Metalltreppen in den hergerichteten Frachtraum hinabsteigt, erinnert das schon an Wotans Abstieg nach Nibelheim. Eventcharakter hat der Abend nur bei der Pause in der Oper, die ja eigentlich nicht vorgesehen ist. Doch der Verkauf von Getränken und Souvenirs wie T-Shirts, Making of DVDs ist wichtig für das Geschäft.

Auf den ersten Blick beeindruckend ist das Bühnenbild von Eric Goossens, das sich geschickt mit den Wänden des Frachtraums verbindet. Die Vertiefung in der erhöhten Spielfläche füllt sich zum Vorspiel mit Wasser für den Rhein. Dahinter sitzt aufsteigend das Orchester. Durch einen Mittelgang zwischen den Musikern verläuft eine vielfältig genutzte Bahntrasse in den Hintergrund, auf der eine Lore in Nibelheim fährt und die auch die Brücke nach Wallhall darstellt. Aber es gibt noch eine Vielzahl von nicht einsehbaren Auftrittsmöglichkeiten, die eine wichtige Grundlage für die kurzweilige Regie von Wim Trompert darstellen. Der erzählt den Vorabend sehr schlüssig angelegt zwischen Fabel und Satire und beeindruckt mit einer sehr starken Personenführung, wo die Sänger zwar für das Publikum singen, aber sie stets miteinander agieren. Sehr deutlich sind die verschiedenen Typen der rivalisierenden Gruppierungen ausgearbeitet. Das beginnt mit den Rheintöchtern, die ihre goldenen Schiffchen bewachen. Eindringling Alberich, der mit Taucherbrille und Schwimmflossen auftritt, verpassen sie eine Abreibung, die sich gewaschen hat. Hinter dem neckischen Singsang der Nixen verbergen sich deutlich böse Sirenen. Alberichs Liebesverzicht bereitet dem Nibelung sichtbare seelische Schmerzen. Wotan wird mit Schwimmreifen und Sprungbrett ans vorhandene Wasser hinabgefahren, während Fricka Autogrammkarten unterschreibt. Die Riesen verderben ihm und seinem Götterclan das gelangweilte Chillen am Pool. Das Spiel im und am Wasser, das von Loge und den Riesen passenderweise gemieden wird, wird abgebrochen, bevor sich der Effekt abnutzt. Im dritten Bild schürfen die Zwerge das Gold, untermalt mit schönen Feuereffekten. Das vierte Bild konzentriert sich ganz auf die Personen. Stark entwickelt Trompert hier den Charakter Wotans weiter, der seine Machtgier mit unkontrollierten Gewaltausbrüchen ausdrückt. Uri und Dan Rapaport bringen eine genial wie einfache Lichtregie ein. Mirjam Paters Kostüme sind natürlich wassertauglich, vereinen hautenge Bademode und verhüllende Mäntel. Genial ist das Kostüm der Erda, das sie in dehnbaren Streifen an die Erdspalte bindet und aus dem sie sich langsam herausschält, um dann die Attraktivität der Urgöttin zu demonstrieren.

Cécile van de Sant macht auch vokal mit ihrem strömenden Alt diesen Moment zu einem einmaligen Showstopper. Sie setzt einem engagierten, stets typgerecht besetzten Ensemble die Krone auf. Anthony Heidweiller geizt keinen Moment mit einer durchschlagskräftigen Stimme, singt selbst dann noch auf dem Körper, wenn er kurz vorher noch unter Wasser gedrückt wurde. Sein Alberich ist am Anfang fast noch zu sympathisch, erinnert dann tragikomisch an Gollum aus dem Herrn der Ringe und stößt seinen todbringenden Fluch mit dämonischer Intensität hervor. Das hat Format für große Bühnen. Nanco de Vries packt den auch stimmlich recht herablassend wirkenden Wotan sehr gut, teilt sich die Partie aber nicht klug ein und wirkt zum Ende hin etwas müde. Marcel Reijans ist ein glaubhafter Loge, ist aber sehr ungenau im Text. Wirklich schönen Gesang hört man an diesem Abend sehr oft: Wilke te Brummelstroete bietet ihn als hervorragende Fricka, die quirligen Rheintöchter – Simone van Lieshout, Ellen van Beek und Elizabeth Veilleux – pflegen ihn solistisch und als Terzett, Mark Omvlee wertet mit ihm den kurzen Part des Mime auf. Großen Eindruck hinterlässt auch Pierre Mak als verliebter Fasolt, der mit Bart Driessen einen bedrohlichen Fafner an seiner Seite hat. Martina Prins und Pascal Pittie sind sehr gute Besetzungen für Freia und Froh, während Peter Arink den Donner zwar schön kräftig, aber leider auch eindimensional laut singt.

Das USConcert, das überwiegend aus Hobby-Musikern aller Fachrichtungen an der Universität Utrecht besteht, stellt sich mit dem Rheingold einer großen Herausforderung – und das überwiegend mit Erfolg. Ihre nach hinten gerückte Position schluckt einige Unsicherheiten. Problematisch ist das punktgenaue Begleiten der Sänger in den spritzigen Dialogen. Da fehlt es den Musikern einfach an Routine. Aber da, wo das Orchester mit langen symphonischen Bögen punkten kann, tauchen die Instrumente in einen wundervollen Fluss ein und gestalten orchestrale Höhepunkte – allen voran die Erda-Szene, in der Sängerin und Instrumente die düstere Zukunft der Götter prophezeien. Ein Fels in der Brandung ist Dirigent Bas Pollard, der weit vom Orchester entfernt auf einem Metallsteg links am Rand die Aufführung leitet. Klare Tempostrukturen gibt er vor, geht keine unnötigen Risiken ein, bleibt aber stets mit dem Geist der Oper verbunden. Dass er seit mehr als fünfzehn Jahren der Dirigent des Orchesters ist, merkt man genau. Nie wirkt er hektisch, wenn es mal auseinander läuft, sondern behält seinen ruhigen Schlag bei – wohl wissend, dass man sich auf der nächsten Eins wieder treffen wird.

Der Applaus nach der Vorstellung ist kurz, aber sehr heftig. Die Lautstärke der enthusiastischen Bravo-Rufe sind nicht nur den mitgereisten Fans der Studenten zuzuschreiben. Ein deutlich längerer Applaus wäre sicher angebracht gewesen, doch die MVS Oriana hat eine unangenehme Verwandtschaft zum Bayreuther Festspielhaus. Gefühlt doppelt so schwül und warm ist es darin, und Sitzkissen sind für die Plastikstühle auch keine schlechte Idee. Dass man in einem Schiff sitzt, vergisst man zwischendurch fast völlig, nachdem am Anfang noch die Fluchtwege aus dem Frachtraum durchgesagt wurden. Ein ungewohnter Beginn für eine nicht ganz alltägliche Opernaufführung. In Duisburg, dessen sind sich wohl alle bewusst, hat ein Traum Gestalt angenommen, der beispielhaft ist für Wagners oft bemühtes Zitat Kinder, schafft Neues! Die Oriana fährt nun stromabwärts zu weiteren Aufführungsorten in den Niederlanden, ab August transportiert sie dann wieder nicht mehr so wertvolle, musikalische Ware.

Christoph Broermann

Fotos 1-3: Opernnetz
Fotos 4-7: Projekt Rheingold auf dem Rhein