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Fakten zur Aufführung 

DON GIOVANNI
(Wolfgang Amadeus Mozart)
22. Juni 2012
(Premiere)

Deutsche Oper am Rhein, Duisburg


Points of Honor                      

Musik

Gesang

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Vor der Premiere

Karoline Gruber konnte Anfang letzten Jahres mit Platée in Düsseldorf begeistern. Jetzt erzählt sie über die Vorbereitungen zu Don Giovanni in Duisburg (5'50).


 

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Der andere Aspekt

Don Giovanni als der notorisch erfolgreiche Schürzenjäger, der selbst im Tod noch nicht versteht, welche Bedeutung Moral hat. Diese Geschichte ist über Jahrhunderte erzählt worden, und es richtig zu erzählen, ist schwer genug. Karoline Gruber setzt noch einen drauf. Sie will nicht nur Mozarts Geschichte neu inszenieren, sondern auch den Blickwinkel ändern. Schließlich dürfte inzwischen hinlänglich klar sein, welche Interessen Don Giovanni verfolgt, wenn er den Frauen nachstellt. Aber, so fragt Gruber, warum lassen sich eigentlich die Frauen verführen? Es wird doch keine gezwungen, den Avancen eines Lüstlings nachzugeben, ja, eigentlich ist es gerade in der heutigen Zeit nahezu lebensfremd – es sei denn, es gibt konkrete Vorstellungen, welche Hoffnungen sich mit einem solchen Mann verbinden. Sei es, dass ein Status quo aufrechterhalten, eine gesellschaftliche Stellung verbessert oder eine Leidenschaft ausgelebt werden kann. Solche Antworten lassen sich auch bei dem Librettisten da Ponte schon finden. Vielleicht kann man sie sozialkritisch herausheben und in den Vordergrund schieben. Gruber gelingt das allenfalls ansatzweise, wenn sie die Szene im verschlossenen Zimmer zwischen Don Giovanni und Donna Anna von Statisten so nachspielen lässt, als verführte Anna Giovanni. Was Karoline Gruber gelingt, ist eine atmosphärisch dichte Aufführung, die viele Fragen offen lässt.

Das Bühnenbild von Roy Spahn dürfte zunächst vor allem denjenigen gefallen, die die Rocky Horror Show vor ihrem geistigen Auge haben. Brad und Janet alias Masetto und Zerlina betreten völlig durchnässt eine Schlosshalle, an deren Rückwand das Böcklin-Bild Odysseus und Kalypso von 1883, ein künftig immer wiederkehrendes Motiv, das die Sehnsucht der Frau nach dem Mann (sic!) verkörpert, großflächig „aufgehängt“ ist. Hinter dem Bild wird alsbald eine weitere Wand sichtbar, in die Türen mit bedeutenden Jahreszahlen eingelassen sind. Warum das alles in schiefen Ebenen stattfindet, mag wohl eher der Künstler als der Theaterregisseur beantworten. Als im zweiten Akt plötzlich die Wände völlig durcheinander geraten erscheinen, ist das reizvoll und vielversprechend. Leider wird die Idee von der Auflösung des Raums analog zur psychologischen Auflösung der Personen zugunsten von Vorhängen mit dem Böcklin-Motiv aufgegeben. Da hätte es bessere Ideen gegeben. Ähnlich verhält es sich mit den Kostümen von Mechthild Seipel. Wo zunächst noch Differenzierungen erkennbar sind, verlieren sich die gegen Ende in ein einheitliches Weiß; bis auf Giovanni, der in seiner schwarzen Bekleidung  fast durchgehend durchhält. Mit halbtransparentem Seidenhemd und schwarzhaariger Perücke wirkt er allerdings eher wie ein Lude aus Duisburg-Hochfeld, als der jugendliche Verführer aus gutem Hause.

Mit dem Betreten des Friedhofs wird es denn absurd. Das Grabmonument wird auf ein kleines Holzkreuz reduziert, das Bankett wird durch Herumwirbeln auf der Bühne ersetzt und der Komtur kommt in einem Fantasie-Kardinalskostüm und üblen Gesichts- und Brustverletzungen daher. Gestorben war er zuvor durch einen Messerstich in den Rücken. Um den Schluss zu verstehen, muss man seinen Don Giovanni schon ganz gut kennen. Da gerät die Höllenfahrt zum Sturz Don Giovannis vor die Bühne. Nach einer Weile klettert er wieder hoch und wandelt durch die Reihen der Überlebenden. Dass er da bereits ein Geist ist – wie gesagt: Vorteil für Libretto-Kenner. Vielleicht aber sind an diesem Abend tatsächlich gerade die im Vorteil, die Mozarts Werk nicht kennen und somit nicht die „Prager Fassung“ zum Vergleich heranziehen, die Gruber zu Grunde gelegt haben will. Denn die erleben ein Stück mit viel Bewegung, schönen Dialogen und etlichen Regieeinfällen in einer düsteren Atmosphäre. Franz Xaver Schaffer nämlich taucht die Bühne ins Halbdunkel und erhellt sie lediglich durch einige Spot-Effekte.

Mehr als ein paar Effekte bieten die Akteure auf der Bühne. Allen voran Olesya Golovneva, die als Donna Anna für wahre Entzückung sorgt. Glasklar formuliert sie noch in der Höhe, scheinbar, ohne ihre Grenzen überhaupt erreichen zu müssen. Nichts hat sie von ihrer Natürlichkeit eingebüßt. Feengleich ihre Erscheinung auf der Bühne. Formidable! Alma Sadé singt die Zerlina, als sei sie für sie geschrieben worden. Ihre Stimme wirkt im besten Sinne ein wenig gereifter, konturenreicher, was der Zerlina natürlich zu Gute kommt. Nataliya Kovalova konzentriert sich ganz auf das Spiel in freizügiger Korsettage. Laimonas Pautienius überzeugt in jeder Hinsicht als Don Giovanni. Was die Regie von ihm teilweise an sportlichen Zusatzleistungen verlangt, geht mit einer sauber gesungenen Rolle nicht mehr in Einklang. Wenn er die Golovneva durch die Luft wirbelt und dabei weitersingt, ist das schon eindrucksvoll. Ansonsten begeistert er durch ausdrucksstarkes, mimisches Spiel und differenzierten Gesang. Großartig auch, wie Adam Palka den Leporello gibt. Sein sicher noch nicht voll ausgereifter Bass bleibt klar und verständlich, und so verleiht er dem Diener nicht nur sängerisch die nötige Tiefe, Verzweiflung und Ernsthaftigkeit. Tenor Corby Welch, als Don Ottavio zunächst ein wenig unscheinbar, was durchaus an der Rolle liegen mag, begeistert das Publikum mit seiner Arie. Die Rolle des Masetto wird bei Gruber sehr viel stärker in den Vordergrund gerückt. Da fehlt es Torben Jürgens noch ein wenig an Bühnenpräsenz. Was aber der gesanglichen Qualität seines jugendlichen Bass-Baritons nichts nimmt. Roman Polisadov kann durch seinen zweiten Auftritt als Commendatore gesanglich beeindrucken.

Ein Teil des Chors der Deutschen Oper am Rhein singt präzise in der Einstudierung von Gerhard Michalski, ist aber eigentlich mehr mit spielerischen Aufgaben betraut, die er auch überzeugend löst.

In gewohnter Güte spielen die Duisburger Philharmoniker auf, zusätzlich motiviert durch überwiegend kleine, aber akkurate Vorgaben von Friedemann Layer, souveränem Altmeister des Dirigierens, der niemanden außer Acht lässt und so dem Stück die Brillanz verleiht, die es verdient.

Das Publikum goutiert die sängerischen Leistungen mit Arienapplaus, verfolgt halbwegs konzentriert das Geschehen auf der Bühne und ist vor allem zahlreich erschienen. Das ist bemerkenswert, weil zur gleichen Zeit in der Fußball-Europameisterschaft die deutsche Nationalmannschaft aufspielt. Der Schlussbeifall ist herzlich, vereinzelt sind bravi zu hören, hier und da auch stehende Ovationen zu verzeichnen. Nachdem schon beim Verlassen des Hauses kolportiert wird, dass die deutsche Nationalmannschaft überragend gewonnen hat, kann der Abend versöhnlich enden.

Michael S. Zerban

Fotos: Hans Jörg Michel