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Fakten zur Aufführung 

b.18
(Martin Schläpfer)
17. Januar 2014
(Premiere)

Ballett am Rhein Düsseldorf Duisburg, Theater Duisburg


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Musik

Tanz

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Drei Karat in Duisburg

Es ist ein probates Mittel im Tanz: Mehrteilige Abende, in denen jedes Stück eine andere choreographische Handschrift trägt. Das Dargebotene deckt im besten Falle einen breiten Publikumsgeschmack ab oder zumindest eines der Stücke findet beim Zuschauer Gefallen. Die Tänzer profitieren von den verschiedenen Zusammenarbeiten mit Choreographen und können so mehrere Seiten ihres Könnens präsentieren. So auch in Duisburg, wo mit b.18 gleich drei Stücke um die Gunst der Zuschauer buhlen und dabei tatkräftig von den Duisburgern Philharmonikern unterstützt werden.

Eröffnet wird der Abend mit Episodes von George Balanchine. Das Stück stammt von 1959 und war ursprünglich ein zweiteiliger Abend. Für den ersten Teil des Abends zeichnete damals Martha Graham, die Grande Dame des Modern Dance, verantwortlich, den zweiten Teil gestaltete Balanchine. Jeder Choreograph übernahm dafür einen Solisten aus der Company des anderen, jeder nutzte die Orchesterkompositionen Anton Weberns. Graham choreographierte ein Handlungsballett, Balanchine hingegen nahm die musikalische Struktur der Zwölftonkomposition als Grundlage. Die Zusammenarbeit hielt nicht lange, und so wurde die Choreographie Balanchines als eigenständiges Werk tradiert. Einzig das Solo für den Graham-Tänzer Paul Taylor wurde nicht beibehalten. In b.18 ist das anders: Das so genannte „Taylor-Solo“ hat der ehemalige New-York-City-Ballet-Tänzer Peter Frame mit dem Tänzer Jackson Carroll des Balletts am Rhein rekonstruiert. Frame lernte das Solo noch von Paul Taylor und kann so sein Wissen an die nächste Generation weitergeben. Aber auch die Einstudierung der anderen Parts von Episodes lag in prominenter Hand: Die ehemalige Balanchine-Tänzerin Patricia Neary widmet sich bereits seit vielen Jahren der Vermittlung und des Repertoireerhalts der Stücke Balanchines und hat in Duisburg ganze Arbeit geleistet. Die weiblichen Ensemblemitglieder sind in schlichten schwarzen Trikots, weißen Strumpfhosen, hochgesteckten Haaren und Spitzenschuhen ausgestattet. Die Herren tragen ähnlich unspektakuläre schwarze Leggins und weiße Shirts. Die Bühne ist leer, heller Tanzteppich, im Hintergrund herrscht meist unaufdringlich blaues Licht. Das Ensemble ist gut ausgeleuchtet, verantwortlich für den ganzen Abend ist Franz-Xaver Schaffner. Das Bewegungsmaterial ist eng an die musikalische Vorlage geknüpft. Und so wird das klassische Bewegungsmaterial fein zergliedert und in seine Bruchstücke aufgelöst. Die Tänzerinnen stellen einen Fuß aus und verschieben ihre Hüften in eine Off-Balance-Pose. Die spannungsgeladene Opposition zum klassisch gestreckten Tänzerfuß ist der im 90-Grad-Winkel angezogene Fuß. Das ist eine Ausweitung der Formensprache im klassischen Tanz, die in Episodes immer wieder verhandelt wird.  Dieses Prinzip weiterführend, wechseln sich parallele Arm- und Beinpositionen mit ausgedrehten Positionen ab. Es gibt keine fließenden, weit ausgreifenden Bewegungen, sondern nüchterne Bewegungsanalyse auf Molekularebene. Diese technische Auseinandersetzung mit den Orchesterkompositionen Weberns mag sich nicht gleich jedem Zuschauer erschließen, belohnt aber den interessierten Beobachter. Hier ist ein Klassiker der amerikanischen Balletttradition mitzuerleben, der in seiner spröden Art für sich einnehmen kann. Dessen Stellenwert in der Tanzgeschichte und die formale Auseinandersetzung mit der musikalischen Vorlage böten eine fruchtbare Grundlage zur weiteren Vertiefung.

Das zweite Stück des Abends, Sinfonien, stammt von Martin Schläpfer, wurde 2009 in Mainz uraufgeführt und mit dem Theaterpreis Der Faust ausgezeichnet. Vier Paare und ein einzelner Tänzer übernehmen hier die Bühne. Die Herren tragen dicke, knöchellange, schwarz-rote Faltenröcke und freie Oberkörper. Die Damen tragen Kleider irgendwo zwischen Dirndl, Trachtenkleid und Petticoat. Die Haare sind zu Zöpfen à la Julia Timoschenko über dem Kopf verflochten. Ein Hauch von Alpenidyll kommt auf. Verantwortlich für diese aufwändigen, bunten Kostüme ist Catherine Voeffray. Die Bühne ist dunkel eingeleuchtet, an allen drei Wänden hängen helle Stoffketten vertikal herab. Die Bühne von Thomas Ziegler bildet einen wunderbaren Gegenpol zu den Kostümen. Schläpfer sieht in diesem Stück „ein Versuch, eine andersartige Balance in einer unbemühten Einfachheit und Entschleunigung zu finden“. Dieser Versuch ist in der Tat gelungen. Die Paare scheinen die Zeit anzuhalten, und die Bewegungen haben teilweise meditativen Charakter. Zum Schluss werden hölzerne Wassereimer auf die Bühne gestellt und alle Tänzer stecken theatralisch ihre Füße hinein. Bis auf einen, der kopfüber im Eimer verschwindet. Wenn alle Tänzer da so aufgereiht sitzen mit ihrem schauspielerischen Talent, dann ist es verwunderlich, warum das Stück so unerwartet rasch zu Ende ist.

Die Uraufführung von Sorrowful Songs von Nils Christe steht am Ende des Abends. Die Reihenfolge der drei Stücke ist gut gesetzt, baut ihre formale Tanzsprache doch aufeinander auf. In Sorrowful Songs ist der wieder dunkel gehaltene Bühnenraum durch vier goldbraune Drehflächen im Hintergrund geprägt. An den beiden Seiten hängen längliche, metallisch glänzende Bänder herab, die an Gitterstäbe erinnern. Verantwortlich für diese Bühne zeichnet Thomas Rupert. Das Ensemble trägt Hosen und Röcke, die Bewegungsspielraum bieten. Farblich aufeinander abgestimmt in gedeckten Rot-, Lila-, Blau- und Grüntönen hat sie Annegien Sneep, die neben dem Kostüm auch die choreographische Assistenz innehatte. Die Duisburger Philharmoniker, unter der Leitung von Christoph Altstaedt, spielen die Sinfonien der Klagelieder von Henryk Mikolaj Górecki eindringlich. Die Mezzosopranistin Annika Kaschenz fügt sich in den Reigen der Tänzer ein und bindet ihren Gesang somit auch physisch wunderbar in das melancholische Gefüge ein. Die sprühende Energie des Ensembles, das der Verwobenheit von Traurigkeit und Hoffnung nachspürt, durchflutet den Zuschauerraum. Die Bewegungsdynamiken sind abwechslungsreicher als in den vorhergegangenen Stücken. Die Haare fliegen, alle wirbeln, springen, drehen und schreiten miteinander einher. Wenn Melancholie so schönen Ausdruck in der Sprache des Tanzes findet, dann darf das Ballett am Rhein gerne häufiger Trauer und Hoffnung ausloten.

Jedes der drei Stücke ist ein kleiner Diamant, den man im rechten Winkel gegen das Licht halten kann. Alle Stücke stehen nicht zuletzt durch diesen Abend in einer Verbindung, doch sind sie auch als eigenständige Tanzproduktionen sehenswert.

Das für Ballettvorstellungen ungewöhnlich betagte Publikum zeigt an diesem Abend seine unsympathisch-starrsinnige Seite. Da werden gute Manieren an der Garderobe mit abgegeben, und die eigene Wichtigkeit wird zu hoch angesiedelt. Zumindest zum Schlussapplaus sind sich sowohl die Tänzerkollegen im Zuschauersaal, als auch das behäbige Publikum einig und spenden langen und frenetischen Applaus. Zu Recht.

Jasmina Schebesta

 

Fotos: Gert Weigelt