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Fakten zur Aufführung 

b.14
(Martin Schläpfer)
30. März 2013
(Premiere am 2. Februar 2013)

Ballett am Rhein Düsseldorf Duisburg, Theater Duisburg


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Brahms im Schwanensee

Düsteres Dämmerlicht. Im Hintergrund eine flächenfüllende Leinwand mit groben Strichen. Davor bis zu 31 Tänzerinnen und Tänzer in handkolorierten Ganzkörpertrikots von Keso Dekker, die Johannes Brahms‘ 2. Symphonie tänzerisch interpretieren. Erkennbar: Zahlreiche Zitate aus dem Ballett schlechthin. Schwanensee ist tot, es lebe Schwanensee, möchte man Martin Schläpfer in seiner Uraufführung rufen hören, der die Vergangenheit dekonstruieren muss, um die Zukunft zu formen. Das gelingt dem Ballettdirektor der Rheinoper durchaus. Faszinierend die Adaption der Musik in neuen Ausdrucksformen, herausragend das Solo der Primaballerina Marlúcia do Amaral zum Allegro grazioso. Irgendjemand hat über sie gesagt, sie könne mit den Augen tanzen. Derjenige hat Recht. Amaral muss sich nicht bewegen, um zu tanzen. Aber sie entwickelt binnen weniger Minuten eine Evolution – die allerdings nicht gut ausgeht. Sie endet in unendlicher Einsamkeit auf Spitzenschuhen, ehe sie, dann doch, selbstbewusst abgeht. Verletzlichkeit und Verletzungen durchziehen das Stück wie ein roter Faden, auch wenn Tempi, Pas de deux und Aufmärsche scheinbar darüber hinwegtäuschen. Kleiner Wermutstropfen ist das Vierteldunkel, in das Franz-Xaver Schaffer die Bühne taucht. Entstanden ist ein grandioses Stück zeitgenössischen Balletts, das sich in Begleitung der Duisburger Philharmoniker unter Leitung von Wen-Pin Chien zu wahrer Größe entfaltet.

Vorangestellt hat Schläpfer drei kleine Stücke von Antony Tudor und Frederick Ashton, die den Weg von der Vergangenheit in die Moderne aufzeigen. In The Leaves Are Fading zeigen So-Yeon Kim einen „konservativen“ Pas de deux, schön getanzt, aber ein wenig belanglos. Five Brahms Waltzes in the Manner of Isadora Duncan ist ein Kuriosum, das nur knapp der Lächerlichkeit entrinnt. Camille Andriot ist die bessere Duncan, aber die Zeit der Flattertücher und fliegenden Gewänder ist vorbei.

Mit Jardin aux lilas gelingt Schläpfer ein tolles Stück Handlungsballett. Binnen zwanzig Minuten erzählt Tudor die Geschichte von der Frau, die ihren Verlobten eigentlich nicht heiraten will, sondern ihren Geliebten zu erreichen sucht. Währenddessen trifft der Bräutigam auf seine Ex-Geliebte. Auf der bezaubernden Bühne von Thomas Ziegler, der mit lilafarben getupften, schwarzen Vorhängen den Garten andeutet, beginnt ein modernes Versteckspiel der Emotionen. Seine „historischen“ Kostüme täuschen nicht über die Aktualität des Geschehens hinweg, das Claudine Schoch als Braut, Paul Calderone als Liebhaber, Christian Bloßfeld in der Rolle des Mannes, den die Braut heiraten muss, und Louisa Rachedi, eine „Episode aus dessen Vergangenheit“, gefühlsgewaltig und ausgesprochen agil zeigen. Das Poéme für Violine und Orchester von Ernest Chausson unterlegt die Handlung, glänzend interpretiert von der Violinsolistin Natasha Korsakova.

Schläpfer hat b.14 in einem Solidaritätsakt ausschließlich für Duisburg inszeniert. Während der Querelen um den Erhalt der so genannten Opernehe zwischen Düsseldorf und Duisburg war das Ballett ins Sperrfeuer der Einsparungen geraten, weil Duisburg bis dahin lediglich eine Auslastung von nicht einmal 60 Prozent bei Ballettaufführungen verzeichnen konnte. Seither fahren nicht nur die Düsseldorfer Ballettfans nach Duisburg, auch aus dem weit entfernten Umland machen sich die Menschen auf, um Ballett in Duisburg zu erleben, von den Bürgern der Stadt ganz zu schweigen. Auch an diesem Abend ist das Theater ausverkauft. Davon ist allerdings kaum etwas zu bemerken. „Atemlose Stille“ füllt den Saal während der Aufführung. Das Publikum verfolgt, gebannt wie das Kaninchen vor der Schlange, das Geschehen auf der Bühne. Selbst die Dauerhuster packen ganz schnell ihre Bonbons aus dem Knisterpapier, um wieder Ruhe im Zuschauerraum einkehren zu lassen.

Als nach zweieinviertel Stunden der Vorhang fällt, tobt das Publikum. Bravi-Rufe, langanhaltender Applaus und stehende Ovationen unterstreichen die Verzauberung dieses Abends. Ballett, das hat Schläpfer eindrucksvoll bewiesen, ist zeitgemäßer denn je.

Michael S. Zerban

 

Fotos: Gert Weigelt