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Fakten zur Aufführung 

ZWEI ITALIENER IN PARIS
(Gaetano Donizetti,
Gioacchino Rossini)
13. April 2013
(Premiere)

Robert-Schumann-Hochschule Düsseldorf, Partika-Saal

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Bestandene Prüfung

Es gibt in der Musiktheaterwelt viele Produktionen, die so teuer und aufwändig hergestellt werden, dass einem bei der Höhe der ausgegebenen Summen schon der Atem wegbleibt. Daneben entstehen immer wieder Aufführungen, die sich in erster Linie durch Fantasie, Einfallsreichtum und Können auszeichnen. Dazu gehören die Opernabende, die die Opernklasse der Robert-Schumann-Hochschule einmal im Jahr unter der Leitung von Thomas Gabrisch zeigt. Hat im vergangenen Jahr die Così begeistert, die die Studenten der Musikhochschule erarbeitet haben, ist es in diesem Jahr ein Doppel-Opernabend. Rita und Le Comte Ory werden unter dem Titel Zwei Italiener in Paris gezeigt, haben doch die beiden Italiener Gioacchino Rossini und Gaetano Donizetti ihre komischen Opern in Paris uraufgeführt.

Im ersten Teil des Abends hat Regisseur Gregor Horres, der am Premierenabend nicht anwesend ist, mit den Studenten Rita eingeübt, eine etwa einstündige Oper, in der Wirtsfrau Rita ihren zweiten Ehemann Beppo peinigt und demütigt, bis der tot geglaubte erste Ehemann Gasparo wieder auftaucht. Sarah Mittenbühler hat die Akteure in groteske Fantasiekostüme gekleidet, die der opera buffa nachempfunden sind. Sehr farbenfroh werden einzelne Körperteile überbetont, sei es durch Spitznasen, einzelne Haartollen auf einer Glatze, ein stark angedicktes Hinterteil oder bunte Kostüme, die die Sängerdarstellerin gerade mal im Umfang verdoppeln. Solche Figuren bewegen sich durch ein Bühnenbild von Lukas Kretschmer und Stefan Heinrichs, das die Bühne aufheben will. Unter einem purpurfarbenen Baldachin, der im Partika-Saal, dem Konzertsaal der Hochschule, aufgespannt ist, sind weiß eingedeckte Tische gastronomiegleich um die Mitte, in der das Orchester sitzt, aufgestellt, an denen die Zuschauer Platz nehmen. Drei Kronleuchter unterstreichen den Eindruck der gehobenen Gastronomie. Lediglich ein vergleichsweise kleiner Bereich könnte als so etwas wie das Bühnenareal bezeichnet werden. Die Wirkung dieser Raumaufteilung ist zwiespältig. Einerseits wird die Distanz zwischen Publikum und Ensemble aufgehoben, der „Spielraum“ erheblich erweitert, andererseits ist es nicht nur für ältere Gäste unglaublich anstrengend, dem Geschehen von Tischen aus zu folgen. Nach drei Stunden ist selbst dem Letzten klar, dass die menschliche Wirbelsäule für solche Experimente nicht geschaffen ist. Immerhin wird in beiden Stücken denn aber auch der gesamte Raum konsequent bespielt, so dass das – nicht ganz neue – Experiment seine Berechtigung findet. Dazu passt das Licht, das Volker Weinhart von der Rheinoper routiniert und gekonnt, aber auch ohne große neue Einfälle einrichtet. Im Mittelpunkt des Abends stehen ja auch weniger großartige Lichteffekte, sondern die Leistungen der Studenten.

Und hier geht in beiden Stücken die Post ab. Selten erlebt man so viel Spielfreude und -witz, aber auch die Ernsthaftigkeit, der Oper respektlos zu begegnen, indem man sie auf höchstem Niveau darbietet, ohne sich irgendwelchen Konventionen zu beugen. Stellvertretend dafür steht an erster Stelle Leonor Amaral, die den Arlecchino in Rita extraordinaire darstellt. Dass sie in der Schlussszene noch eine Probe ihrer Gesangskünste abliefert, die beeindruckt, krönt einen Auftritt, der in Witz und Akkuratesse schon jetzt perfekt ist. Sofia Theodorides überzeugt in Darbietung und Gesang als Rita. Auf dem Niveau junger Stimmen wird an diesem Abend ohnehin nur Spitzenklasse geboten. Ricardo Marinello überzeugt als Beppe in komischer Darstellung und Gesang ebenso wie Gereon Grundmann als Gasparo. Warum dürfen Opern drei Stunden dauern? Weil bei guten Opern die Zeit verfliegt. Warum werden so viele schlechte Opern gezeigt? Man weiß es nicht. An diesem Abend jedenfalls verfliegt die Zeit.

Das gilt auch für den zweiten Teil des Abends. Regisseurin Sabine Hartmannshenn legt „noch eine Schippe drauf“. Mit dem größeren Oeuvre bespielt sie den Raum noch konsequenter, bis in die obere Etage hinein, hält selbst vor den Tischen der Gäste nicht ein und lässt das Publikum Oper „hautnah“ erleben. Das ist gekonnt und nicht aufdringlich – und damit auch für das Publikum spannend. Die Kostüme für Le Comte Ory hat Alice Nierentz entworfen. Sie kleidet Chor und Solisten in zeitgenössische „Klamotten“ und arbeitet ansonsten viel mit weißen Laken. Hartmannshenns Spiel mit Luftballonbrüsten ist lustig, ohne albern zu wirken. So macht man Kunst. Einziger Wermutstropfen ist ausgerechnet das „Kostüm“ der Comtesse. Ein cremefarbenes Kleid mit einer rosafarbenen Strickweste. Da hätte Linda Hergarten mehr verdient. Ist sie doch die Überraschung des Abends. In der Darstellung rollenadäquat, begeistert ihr Sopran mit Varianz und Volumen, die in ihrem Alter überraschen. Strahlkräftig in der Höhe, differenziert in der Mittellage und dabei immer verständlich. Hergarten ist eines der wenigen Talente, die bei den ersten Noten aufhorchen lassen. Eindrucksvoll, wie sie spielerisch mit ihrer Stimme umgeht. Wenn es ihr gelingt, die Unbefangenheit beizubehalten, werden wir noch viel von ihr hören. Julian Freibott hingegen hatte es schon im Vorfeld angekündigt: Als Comte Ory fühlt er sich für die Rolle ein wenig zu jung und will versuchen, die stimmlichen Anforderungen mit seiner Spielfreude zu überbrücken. Was zunächst als Koketterie anmutet, zeigt sich am Premierenabend in unerwarteter Form. Seine Darstellung ist großartig, die Stimme wächst im Lauf des Abends – allein, am Volumen mangelt es. Noch. Franziska Heinzen singt einen großartigen Isolier, und Rebecca Vranidis verleiht Ragonde gute Stimme. Ebenso gefällt Menno Koller als Raimbaud, während Keno Brandt in der Rolle des Gouverneurs mit balsamischem Bass begeistert.

Thomas Gabrisch gibt sich als Musikalischer Leiter des Abends gelassen, arbeitet aber mit höchster Konzentration. Es gibt keinen Sänger oder Musiker, der sich hier allein gelassen fühlt. Was aber nicht bedeutet, dass Gnade vor Recht erginge. Der Dirigent lässt unerbittlich aufspielen, so dass so mancher Sänger in den Fortissimo-Passagen untergeht. Gut so. Hier geht es schließlich nicht um die behütete Studiensituation, sondern um realistisch praktizierte Oper. Dass Gabrisch dabei durchaus für einen Spaß zu haben ist, beweist er, als er sich in einen Teppich einrollen und von den Sängern in einen derben Disput verwickeln lässt. Klar, dass die Autorität die Oberhand gewinnt, aber Spaß macht es trotzdem.

Insgesamt erlebt das Publikum einen im Wortsinne hervorragenden Abend: Nachwuchssänger, die heute schon Lust auf die Zukunft machen, eindrucksvolle Professionalität, die man an manch hoch subventioniertem Haus so längst nicht mehr erlebt, und eine Umsetzung, die die großen Namen in der Regie rechtfertigt. Das Publikum zeigt sich dankbar in Szenen- und Arienapplaus, mit Bravo-Rufen und mehr als zehnminütigem, intensiven Beifall, bevor man auseinandergeht. So muss ein Opernabend sein.

Michael S. Zerban



Fotos: Susanne Diesner
(Die Besetzung weicht in den einzelnen
Aufführungen voneinander ab. Deshalb
sind hier nur Beispielfotografien
aufgeführt)