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Fakten zur Aufführung 

XERXES
(Georg Friedrich Händel)
26. Januar 2013
(Premiere)

Deutsche Oper am Rhein, Düsseldorf


Points of Honor                      

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Herheim inszeniert Xerxes


Eine Spitzenbesetzung trifft sich in Düsseldorf an der Rheinoper, um die Händel-Oper auf die Bühne zu bringen (7'08).


 

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Buntes Treiben im Barock

Eine „Muppets-Show für die Oper“ sollte es werden, verkündete Regisseur Stefan Herheim im Vorfeld der Premiere. Leicht, spritzig, opulent, überbordend. So müsse eine Händel-Oper, zumindest Xerxes, sein. An der Komischen Oper in Berlin war Herheim damit überaus erfolgreich. Als Koproduktion wurde die Inszenierung jetzt nach Düsseldorf übernommen. Allerdings wurden die Mezzosopranistinnen, die in Berlin für Furore gesorgt hatten, an der Rheinoper durch Countertenöre ersetzt. Mit Konrad Junghänel als Musikalischem Leiter hat Herheim einen Spezialisten für Alte Musik an seiner Seite, der als Erfolgsgarant gelten darf.

In dreieinhalb Stunden bleibt viel Raum, die eher schnell erzählte Handlung von Xerxes auszuwalzen: Der König, obwohl mit Amastris verlobt, verguckt sich in Romilda, die ihrerseits Xerxes‘ Bruder Arsamenes liebt. Sie verweigert sich seiner Zuneigung. Am Ende kriegen Arsamenes und Romilda sich dank eines Missverständnisses doch, der König erkennt seine falsche Handlungsweise und versöhnt sich mit Amastris. Die Herausforderung für die Regie ist klar: In viel Zeit passiert wenig. Herheim bedient sich verschiedener Kunstgriffe, um lebhaftes Treiben auf die Bühne zu bringen. Zunächst einmal verlegt er die Handlung aus der Antike in das Entstehungsjahr der Oper, 1738. Dann macht er aus dem Stück Theater im Theater. Wie er selber sagt, keine unbedingt neue Idee, aber die Möglichkeit, den Umbruch jener Zeit zu thematisieren. Als das Theater kaum noch der Kunst wegen existierte, sondern dazu diente, der Eitelkeiten von Künstlern und Sponsoren gerecht zu werden. Ein spannendes Thema, eigentlich, das in der Turbulenz der Aufführung weitgehend unberührt bleibt. Stattdessen gelingt es Herheim, zumindest in der ersten Hälfte, die Füllräume für Regie-Einfälle überborden zu lassen. Hier ist kein Platz für Psychologie, die Personen bleiben flach gezeichnet, Action ist gefragt. Was als Idee durchaus reizvoll klingt, erweist sich in der Praxis als schaler Aufguss allzu bekannter Theatergags. Schon bald findet man das Gegrapsche an Busen und in den Schritt verschiedenster Personen eher als lästig, und wenn der Schuss sich versehentlich löst und ein paar Federn oder eine Putte vom Bühnenhimmel fallen, lässt sich der Theaterdonner vergangener Zeiten hören. Das ist platt, und in der zweiten Hälfte gehen dann allmählich auch die Einfälle aus. Die Bühne von Heike Scheele richtet sich ganz nach den Erfordernissen eines Action-Stücks aus: In den ersten Minuten kreist die Drehbühne, bis sie ächzt, später wechselt sie zu einem perspektivischen Gang, zu dessen Seiten Tafeln verschiedene Bedeutungen übernehmen. In der Tat ein buntes Treiben, vor dem jede Muppets-Show verblasst. Dazu passend die Kostüme von Gesine Völlm. Eine Art barocker Fantasiekostüme, die vielfach gewechselt werden – häufig genug und überflüssigerweise auch auf der Bühne, ohne dass dem irgendein erotischer Reiz zu entlocken wäre – passen perfekt zur jeweiligen Handlung, so abstrus sie auch gerade wird. Aber, und das muss man der Regie Herheims zu Gute halten: Hier ist richtig was los.

Die SängerdarstellerInnen werden gefordert, ohne dass sie sich das anmerken lassen. Eine grandiose Leistung. Und wie auch immer man mit Herheims Inszenierung umgehen mag: Das Personal auf der Bühne und im halb hochgefahrenen Graben ist fantastisch. Einsamer Spitzenreiter ist der erst 27-jährige Countertenor Valer Barna-Sabadus. Eine Erscheinung. Er hat „den Auftritt“ gelernt, bewegt sich auf der Bühne, als sei er darauf geboren, scheut auch vor der großen Geste, der gekonnten Geste, nicht zurück. Er ist der Inbegriff dessen, was Konrad Junghänel als nicht mehr existent bezeichnet: So müssen Kastraten im besten Sinne geklungen haben. In allen Lagen mit unglaublicher Variabilität und Volumen zu Hause, um in der Höhe erst richtig aufzublühen. Weich singt er sich durch die Wechsel der Stimmlagen, begeistert das Publikum mit Einfühlsamkeit und Variantenreichtum. So etwas erlebt man vielleicht nur einmal im Leben. Schon nach seiner ersten Arie hätte es die Besucherinnen und Besucher von den Sitzen reißen müssen, aber wir sind in Düsseldorf, und so beschränken wir uns auf Bravo-Rufe. Auch der zweite Countertenor, Terry Wey in der Rolle des Arsamenes, verliert seine Faszination nach der ersten halbe Stunde nicht, wenn man sich bei anderen Countertenören an das Überraschende des Klangs gewöhnt hat und sich eine gewisse Langeweile breit macht. Nicht so bei Wey, der erst in der zweiten Hälfte der Aufführung zu wahrer Größe findet, um sich dann aber bei seiner großen Arie völlig zu verausgaben und damit unmittelbar in die Nähe des Niveaus von Barna-Sabadus zu gelangen. Großartig! Heidi Elisabeth Meyer stellt die Romilda von der ersten bis zur letzten Sekunde glaubwürdig dar, spritzt über die Bühne, begibt sich sicher und ohne Fehl in die Höhen. Über sich selbst hinaus wächst wieder einmal Anke Krabbe aus dem Düsseldorfer Ensemble. Hinreißend, wie sie ihre komödiantischen Fähigkeiten ausspielt. In der Höhe vielleicht etwas metallisch, was zur Rolle der Atalanta passt, beweist sie Sicherheit im Lagenwechsel, hat ihre Stimme sicher im Griff und kann sich ganz auf die Kapriolen konzentrieren, die ihr vom Regisseur abverlangt werden. Amastris ist die Verlobte von Xerxes, aber es dauert lange, bis das ersichtlich wird. In der Erscheinung androgyn, zeigt die Mezzosopranistin Katarina Bradić sich in jeder Situation stimmlich sicher und ausgereift, und ihre Neuinterpretation der Orgasmusszene in Harry und Sally hat nicht nur Neues und Originelles, sondern auch Überzeugungskraft. Erst die Prüderie in der Darstellung macht es dann wieder wett. Hagen Matzeit, der als Arsamenes‘ Diener Elviro nur scheinbar gute Dienste leistet und sich schließlich und unauffällig mit Atalanta findet, ist der Witzbold der Oper. Da wird berlinert, zwischen Arie und Rezitativ mit Lagenwechseln von Bariton bis Sopran gewechselt, dass es eine helle Freude ist. Ariodates, Vater von Romilda, wird von Bariton Torben Jürgens überzeugend treuherzig-doof, wie es die Rolle verlangt, dargestellt und perfekt gesungen.

Perfekt sind auch die Einsätze des Chors der Deutschen Oper am Rhein, der von Christoph Kurig einstudiert ist und sich zahlreichen zusätzlichen Aufgaben zu widmen hat. Bis er am Ende demaskiert, jeglicher Eitelkeiten entstellt, in Alltagskleidung auf die Bühne tritt und damit nicht nur Herheims Vorstellungen verdeutlicht, sondern auch stimmlich in jeder Hinsicht überzeugt.

Von Konrad Junghänel erwartet der Hörer Perfektion, wenn es um die Alte Musik geht. Zu Recht. Wenn Junghänel hinter einer Sache steht, mit den richtigen Leuten zusammen arbeitet, verliert er sich im Paradies des musikalisch Machbaren. Er ist einer der wenigen Musikalischen Leiter, die ihre Arbeit nicht in der Koordination des Orchesters beendet sehen. Junghänel kümmert sich auch um die Solisten, bis sie jenen Glanz erreichen, auf den sie sich einlassen wollen. Mit den Düsseldorfer Hofmusikern hat er leichtes Spiel. Die sind Spezialisten ihres Fachs. Wer Nicholas Sello am Violoncello oder Simon Martyn Ellis an der Theorbe oder der historischen Gitarre erlebt hat, weiß, dass Junghänel hier über sich selbst hinauswachsen kann – und auch noch Zeit für die Solisten hat, die anschließend noch nie gekannte Seiten an sich entdeckt haben. Junghänel dirigiert auch nicht; er arbeitet sich an Orchester und Solisten ab. Mit präziser Vorgabe, abgezirkelten Bewegungen seiner Hände, ungehemmter Körpersprache erreicht er bei Orchester und Solisten das Äußerste.

Solche Leistung weiß das Publikum zu würdigen. Natürlich angemessen. Die Bravo-Rufe nehmen kein Ende, der Applaus ist überwältigend. Gab es da ein, zwei Buhrufe für das Leitungsteam der Regie? Mag sein, aufgefallen sind sie jedenfalls nicht. Auf dem Heimweg wogen die Diskussionen hoch. Einig dürften sich aber alle sein: Orchester, Chor und Solisten waren überwältigend.

Michael S. Zerban

Fotos: Hans Jörg Michel