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Fakten zur Aufführung 

WACHSFIGURENKABINETT
(Karl Amadeus Hartmann)
5. April 2014
(Premiere)

Deutsche Oper am Rhein, Düsseldorf, Maxhaus

Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

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Vor der Aufführung



Bernhard F. Loges und Constantin Wallhäuser erzählen über die Hintergründe der Aufführung (5'53).

 

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Am Ende steht ein Meisterstück

Wie kommt ein Kritiker zu seinem – ach so oft als falsch bezeichneten – Urteil? Er kommt aus der Aufführung und hat ein ganz bestimmtes Gefühl – im besten Falle. Das reicht von „Warum haben die mir meine Zeit gestohlen?“ bis zu jenem tiefen, inneren Glücksgefühl, dass das Leben doch gut zu einem ist. Am Schreibtisch muss er dann herausfinden, wie dieses Gefühl wohl zu Stande kam. So einfach und so schwierig.

An diesem Abend steht die Abschlussvorstellung des diesjährigen Opernstudios der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf Duisburg auf dem Programm. Und die Vorzeichen stimmen. Bereits vor einigen Tagen konnte man sich beim Abschlusskonzert der Meisterklasse von Linda Watson davon überzeugen, dass jeder einzelne Teilnehmer, jede Teilnehmerin dieses Jahrgangs zur Spitze des Nachwuchses gehört. Teilnehmerinnen, die zu Beginn ihrer Opernstudio-Zeit durchaus mit Schwierigkeiten zu kämpfen hatten, haben inzwischen die Täler der Tränen durchschritten, sind kaum mehr wiederzuerkennen, weil sie sich so überdurchschnittlich weiter entwickelt haben. Und: Gibt es einen schöneren Zeitpunkt, eine Oper zu besuchen, als an einem lauen Frühlingsabend, wenn die Natur ihre Farben explodieren lässt?

In jüngster Zeit erblüht nicht nur die Natur mit Macht, sondern auch so genannte Opernstudios scheinen wie Pilze aus dem Erdboden zu schießen. Was dem Nachwuchs scheinbar mehr Chancen bietet, weil eine größere Zahl an Ausbildungsstätten erhöhte Aussichten auf eine erfolgreiche Bewerbung verspricht, ist mit Vorsicht zu genießen. Schaut man sich die Leistungsangebote dieser Opernstudios an, entsteht der Verdacht, dass es sich dabei eher um den Versuch der Rekrutierung von billigen Arbeitskräften handelt. In Zukunft wird es für Nachwuchssänger nicht mehr reichen, auf eine Teilnahme an einem Opernstudio zu verweisen. Sondern die Häuser werden wissen wollen, welches Opernstudio da die Ausbildung übernommen hat. Das Düsseldorfer Opernstudio dürfte dabei auch weiterhin über jeden Verdacht erhaben sein. Spätestens, seitdem Mechthild Hoersch die Künstlerische Leitung 2009 übernommen hat, wird das Opernstudio mit einem immensen Aufwand betrieben. Gemäß dem Kanzlerwort vom Fordern und Fördern wird hier nichts ausgelassen, was die Teilnehmer in die erste Reihe des Nachwuchses katapultieren kann. Das reicht von der sorgsamen Auswahl der Teilnehmer über aufwändige Eigenproduktionen bis zur Unterbringung der Absolventen in geeigneten Positionen. Und wenn man dem Opernstudio nach einem Abend wie diesem überhaupt etwas ankreiden kann, dann wohl am ehesten den Umstand, dass bis heute der Mut fehlt, zumindest die Abschlussvorstellung im großen Rahmen stattfinden zu lassen.

So findet auch die Premiere des Wachsfigurenkabinetts von Karl Amadeus Hartmann im Maxhaus, einer feinen, aber eigentlich viel zu kleinen Spielstätte statt. Schon allein die Auswahl des Stücks, das eigentlich aus fünf Opernminiaturen besteht, ist des Lobes wert. In den 1930-er Jahren entstanden, wurde es erst am 29. Mai 1988 im Astronomiesaal des Deutschen Museums anlässlich der Ersten Münchner Biennale uraufgeführt und seitdem nur selten gespielt. Was bei manchen Werken durchaus sinnvoll ist, wird diesen Miniaturen nicht gerecht. Allerdings ist eine angemessene Inszenierung durchaus anspruchsvoll. Da mag so manches Haus davor zurückschrecken. Ist doch die Handlung durchaus als marginal zu bezeichnen. Mechthild Hoersch hat sich davon nicht abschrecken lassen. Mit ihrem Team hat sie eine Inszenierung geschaffen, die aus zweierlei Gründen bemerkenswert ist. Einerseits zeigt die Lesart Hoerschs eine großartige und funktionierende Stringenz, andererseits ist diese Inszenierung wohl nur deshalb möglich, weil auf der Bühne ein Ensemble agiert, das sich seit mindestens zwei Jahren kennt, gemeinsam durch dick und dünn gegangen ist und einander dementsprechend vertraut. Mit Inga Gührle und Constantin Wallhäuser hat Hoersch zwei Künstler an ihrer Seite, denen es gelingt, aus fünf Teilstücken ein Werk zu schaffen. Gührle gibt den Akteuren zeit- und raumlose Einheitskostüme an die Hand. Schwarze Hemden, dunkelgraue Krawatten, graue Hosenträger, auf Capri-Maß hochgekrempelte Jeans und schwarze Schuhe wirken originell und passen zu jeder Situation, egal, ob Leichen ausgegraben werden müssen wie in Die Witwe von Ephesus, oder ob es in Chaplin – Ford – Trott die Erfolge eines Charlin Chaplin oder eines Henry Ford und deren Folgen zu feiern gilt. Kongenial die Maske, die allen Beteiligten gemein ist. Die blonden Perücken, auf der einen Seite glatt gestriegelt, werden auf der anderen Seite wuschig. Die eine Hälfte des Gesichts ist farbig und betont geschminkt, die andere Hälfte auf Leichenblässe reduziert. Wallhäuser umrahmt seine Bühne, die bis auf acht Stühle leer ist, später mit einem zusätzlichen Tisch versehen wird, auf dem Projektoren und Glasgefäße Platz finden, mit Projektionen, die die Sängerdarsteller widerspiegeln. Das geht bis zur surrealen Projektion von flying windows. Tim Peters schließlich gibt sein Bestes, mit eingeschränkten Mitteln Lichtwechsel auf die Bühne zu zaubern. Als zusätzlichen Effekt gibt es die Stimmen von Thea Hummel und Raymond Dudzinski aus dem Off. Off bedeutet immer auch ein Stück weit Orientierungslosigkeit für das Publikum, und womöglich hätte es da originellere Lösungen gegeben. Aber davon hängt die Inszenierung nicht ab.

Die eigentliche Leistung, und so soll es bei einer Abschlussvorstellung ja auch sein, liegt bei den Akteuren auf der Bühne. Ihre Spielfreude macht aus einem absolut handlungsarmen Stück einen großen Theaterabend. Hier wächst eine neue Generation heran, die sich mit der dramatischen Geste auf der Bühne nicht mehr begnügen will, sondern nach neuen Ausdrucksformen sucht. Das ist, um es schlicht und unpathetisch auszudrücken: Großartig. Die gesanglichen Anforderungen, dafür hat Hartmann gesorgt, sind beherrschbar, und so haben die „Studenten“ durchaus Ressourcen für ausgefallene Bewegungsabläufe und originelle Einfälle. Trotzdem gibt es Stimmen, die sich an diesem Abend besonders einprägen. Da ist an erster Stelle Evgenii Nagovitcyn zu nennen, der seinen Tenor weit und warm spreizt. Paul Stefan Onaga hat seinem Tenor inzwischen ein wenig das Manierierte genommen und wirkt so umso überzeugender. Sopranistin Luiza Fatyol beeindruckt einmal mehr durch ihre Bandbreite. Aber auch Jessica Stavros, Hagar Shavit, Aïsha Tümmler singen ebenso wie ihre männlichen Kollegen Felix Rathgeber und Attila Fodre ohne Fehl und Tadel.

Das zwölfköpfige Orchester ist hinter dem Publikum untergebracht. Oder sollte man besser sagen: zusammengepfercht? Ville Enckelmann bedient Klavier und Pult. Das gelingt ihm bei einer hervorragenden Orchesterbesetzung ohne Schwierigkeiten. Ein Sound, irgendwo zwischen Schönberg und Weill, oder wie es Hartmann ausdrückte: zwischen „Futurismus, Dadaismus, Jazz und anderem“, bringt die bis heute aktuellen politischen und gesellschaftlichen Botschaften auf den Punkt. Wenn Oper einen politischen Bezug haben darf, kann oder womöglich sogar muss, sollte das Wachsfigurenkabinett zum Pflichtprogramm eines Opernhauses gehören.

Das Publikum aber feiert zuvörderst die wunderbaren Leistungen von SängerInnen, Leitungsteam und Musikern. Zu Recht. Das Opernstudio unter Mechthild Hoersch und Mitstreitern hat auch in diesem Jahr wieder eine wunderbare Leistung erbracht, vielleicht die beste bislang überhaupt. Schön auch, dass an diesem Abend der eine oder andere Opernstudio-Absolvent im Publikum sitzt. Und deshalb geht der Kritiker an diesem Abend – endlich mal wieder – mit so einem Glücksgefühl nach Hause.

Michael S. Zerban

 





Fotos: Hans Jörg Michel