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Fakten zur Aufführung 

VOM GEIST DER WEIHNACHT
(Dirk Michael Steffan)
28. November 2013
(Premiere)

Capitol Theater Düsseldorf

Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

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So schön kann Weihnacht sein

Es war ein sensationeller Erfolg. Nachdem Charles Dickens 1843 seinen Roman A Christmas Carol vollendet hatte, wurden allein in den ersten Tagen nach dessen Erscheinen 6.000 Exemplare verkauft. Sehr oft wurden in der Folge öffentliche Lesungen veranstaltet, die stets gut besucht waren und auf denen Geld für Hilfsbedürftige, insbesondere für Kinder, gesammelt wurde. Bis heute prägt die Zeitreise des hartherzigen Pfandleihers Ebenizer Scrooge, die sein Leben verändert, unsere Vorstellung von Weihnachten.

Vor mehr als einem Jahrzehnt wurde das Musical Vom Geist der Weihnacht von Komponist Dirk Michael Steffan und Librettist Michael Tasche, das auf der Erzählung Dickens‘ beruht, uraufgeführt. Seitdem haben es mehr als eine halbe Million Menschen gesehen. In diesem Jahr wird es einen Monat lang im Düsseldorfer Capitol zu sehen sein und bietet gleich zwei Premieren. Die bekannte Volksmusikantin Stefanie Hertel interpretiert erstmalig den Weihnachtsengel, und Steffan hat ein neues Schlusslied komponiert. Ersteres erklärt ohne Weiteres, warum im Saal kein Platz frei bleibt.

Das Stück ist in der Inszenierung von Craig Simmons Zuckerguss für die Seele. In der immer noch zunehmenden Kommerzialisierung der Vorweihnachtszeit, die kaum noch Gelegenheit zur Besinnung bietet, finden Besucherinnen und Besucher drei Stunden lang Zeit, sich in die eigentliche Bedeutung des Weihnachtsfestes zurückversetzen zu lassen. Simmons zeigt, dass es dazu weder Belehrung noch moralische Appelle braucht. Mit viel Pep und Spaß, einigen poetischen Momenten und ein bisschen Bühnenzauber gelingt es ihm, die Botschaft des Abends zu vermitteln: Der Stern, der uns leuchtet, ist in uns gebor’n.

Matthias Läßig hat dazu eine Drehbühne entworfen, auf der schiefe Ebenen mit ein paar Treppenaufgängen in immer neuen Konstellationen für wandelbare Bühnenlandschaften sorgen. Ergänzt um Prospekte und Projektionen, die die Handlung verorten, und ein paar Accessoires wie ein überdimensionales Bett oder eine „Zeitmaschine“, entsteht eine perfekte Umgebung, die oftmals innerhalb von Sekunden wechselt. Mit verschwenderischem, ja, überbordendem Einsatz von Licht entwirft Manuel da Costa eindrucksvolle Stimmungen. Dabei scheut er vor großen Effekten nicht zurück. Einziger Wermutstropfen ist der übermäßige Einsatz von Rauch, der teils den Lichteffekten geschuldet ist, andererseits aber auch schon mal so wirkt, als fiele den Kreativen kein anderer Kick mehr ein. Da müssen die Besucher der ersten Reihe sich schon mal die Sicht freiwedeln, um einen Blick auf die wunderbaren Kostüme von Manfred Gruber werfen zu können. In einer Mischung aus Klischee und Typisierung erscheint Stefanie Hertel als Weihnachtsengel im bodenlangen, weißen Kleid mit Flügelchen und einem Strahlenkranz in blondgelockter Perücke, während der Geist Marleys in abgerissenem Fantasiegrau, einem durchlöcherten Zylinder und Handfesseln auftritt. Der Rest des Ensembles zeigt sich in der Kleidung aus der Mitte des 19. Jahrhunderts.

Schmissige Tanzeinlagen gehören zum lebendigen, modernen Musical. Hier leistet Choreografin Natalie Holtom ganze Arbeit. Und das Ensemble reagiert mit großer Spielfreude und Akribie. Kristian Vetter spielt einen selbstzweiflerischen, ständig mehr mit sich hadernden Ebenizer Scrooge. Die Darstellung ist ein wenig plakativ, aber das macht Vetter gut. Dass er ständig seltsame Nebentöne produziert, dient der Belustigung des Publikums, trägt aber kaum zur sinnvollen Gestaltung der Rolle bei. Die Belle respektive den Weihnachtsengel gibt, mit Spannung erwartet, Stefanie Hertel. Stimmlich ohne Fehl und Tadel, wirken die Gesten stereotyp, was der Rolle entsprechen mag. Sehr angenehm: Weder bekommt Hertel einen „Promi-Bonus“, noch wird ihr eine Musikantenstadl-Rolle „auf den Leib“ geschrieben. Stattdessen spielt sie einen würdevollen, in jedem Moment überzeugenden Weihnachtsengel sowie eine bezaubernde Belle. Großes Kompliment. Und wäre die Perücke weniger künstlich ausgefallen, hätte sie noch einmal so gut gefallen können. Marley, gespielt und gesungen von Peter Trautwein, wanzt sich erst mal an das Publikum ran, aber wenn er sich auf das Bühnenspiel konzentriert, ist er großartig. Hans-Dieter Heiter gibt einen absolut überzeugenden Mr Cratchit, gerade so, wie man ihn sich bei Dickens vorstellt. Sohn Timmy ist ursprünglich ein blasser, vor sich hin vegetierender Junge, der am Abgrund des Lebens kauert, ohne Hoffnung auf die lebensrettende Operation. Da fehlt es Michael Zaremba vielleicht noch ein wenig an Schauspiel- oder Lebenserfahrung, dass er einfach den lieben, netten Jungen von nebenan mit Krücke am Arm spielt. Aber vielleicht sind auch hier die Rollenvorgaben andere, weil so viel Leid nicht in ein Musical passt. Oder wenigstens nicht in dieses Musical.

Weniger beglückend als die insgesamt sehr guten Leistungen des Musical-Ensembles ist die Musik, deren Leitung Wolfgang Winkler innehat. Sie wird vom Band eingespielt. Zudem ist die Microport-Technik noch unausgereift. Die Stimmen werden nicht zugeordnet, so dass zwar auf der Bühne jemand singt, das Ergebnis aber weit entfernt im Lautsprecher zu hören ist. Das geht technisch längst deutlich besser.

Das Publikum lässt sich davon nicht beeindrucken und ist begeistert. Applaus gibt es nach jeder Nummer, und am Schluss vergeht keine Sekunde, bis das Auditorium sich zu stehenden Ovationen erhebt. In der Zugabe gibt es Du bist ein Wunderwerk der Liebe, das neu komponierte Lied. Das ist schön, es wird mitgeklatscht. Und dann gibt es am Ende noch eine Einlage der besonders unreflektierten Art. Da werden zum Wunderwerk Kinder der Arche Düsseldorf auf die Bühne geholt, die im Chor mitsingen. Ohne Frage: Eine großartige Leistung der Kinder. Die Arche ist ein Kinder- und Jugendhilfeprojekt, das die Kinderarmut bekämpft.

Wenn allerdings in einer reichen – schuldenfreien, wie der Oberbürgermeister gerne und oft betont – Stadt wie Düsseldorf eine solche Institution notwendig ist, ist der Gipfel an Peinlichkeit erreicht. Und dann bedarf es eines Aufschreis der Gesellschaft statt eines Spendenaufrufs, wie ihn der Veranstalter des Musicals an diesem Abend plakativ vollführt: Kinderarmut muss in Düsseldorf eine Schande sein. Hier hat jemand im Sinne von A Christmas Carol nicht genügend nachgedacht.

Michael S. Zerban

 





Fotos: Guido Ohlenbostel