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Fakten zur Aufführung 

THREE LEVELS
(Dan Agbetou)
3. Mai 2013
(Gastspiel)

Tanz NRW 13, Tanzhaus NRW


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Zu Tisch, meine Herren

Im Rahmen des Festivals Tanz NRW 13 führt die Tchekpo Dance Company im Tanzhaus NRW Three Levels auf. Ein ausgesprochen spärlicher Programmzettel spricht davon, ob der Körper Spiegel, Instrument oder Gefängnis der Seele sei, und führt den Besucher damit in die Irre. Tatsächlich geht es um die alte Tanz-Geschichte von der Geburt bis zum Tod. Das ist legitim. Die Frage ist dann, wie Dan Agbetou, künstlerischer Leiter der Tchekpo Dance Company und des Tanzfestivals Bielefeld, das Thema umsetzt.

Die Bühne von Chris Umney ist ein weißes Quadrat, auf dem vorne links und hinten rechts ein Haufen von Papierfetzen sowie links hinten ein Tisch zu sehen sind. Sehen ist dabei relativ. Umney, der auch für das Licht zuständig ist, taucht die Bühne in der ersten Viertelstunde in ein Achteldunkel, was bei fünf dunkelbraunen Tänzern jede Bewegung zur Farce macht. Die treten mit Rastalocken und dunkelbraunen Badehosen nicht auf, sondern robben und wälzen sich amöbenhaft am Boden, kumulieren zu Zellhaufen, um dann wieder auseinanderzudriften. Da scheint es zunächst eine eher weniger gute Idee, von Kostümen zu sprechen, die Sabrina Strunk und Ulla Agbetou entwickelt haben. Erst im späteren Verlauf, wenn die Tänzer in den Papierhaufen „zufällig“ dunkelbraune Hosen und weiße Hemden entdecken, wird die Leistung der Kostümbildner offenbar. Zum Einstieg wählt Umney, der auch für den Soundmix zuständig ist, leichte Trommelklänge. Endlich ist die Phase der Menschwerdung gekommen, was offenbar auch mit der Entdeckung der Elektrizität einhergeht und damit für etwas mehr Licht auf der Bühne sorgt.

Muskulöse, durchtrainierte Körper – wem geht bei diesem Anblick nicht das Herz auf? – werden zu Menschen, formieren sich zu einer Gesellschaft, die nichts Eiligeres zu tun hat, Minderheiten auszustoßen. Immer wieder dreht sich der Kampf um diese Tischfläche, diesen Platz in der Mitte der Gesellschaft, auf dem zwischendurch alle zueinanderfinden. Auch außerhalb finden die Menschen zueinander, fünf Tänzer aus verschiedenen Gegenden Afrikas, aus einer Multikulti-Gesellschaft, tanzen annähernd synchron zueinander. Um sich dann wieder zu verlieren. Das ist zutiefst eindrucksvoll. Der Kampf um die Zugehörigkeit geht weiter, wird mit allen Mitteln vorangetrieben, verliert sich in der Einsamkeit des Individuums. Dabei steht immer wieder die Ästhetik der Körper im Mittelpunkt. Letztlich verenden die Körper in der Endlichkeit des Seins.

Michel Kouakou Pape, Ibrahima N’iayes „Kaolack“, Doudet Grazai, Kingsley Odiaka und Nestor Kouame bieten manch überraschendes Tanzelement, wenn sie sich etwa übereinander rollenlassen, den Tisch mit immer neuen Figuren bearbeiten, fesseln das Publikum und lassen auch den Humor nicht aus, bevor sie sich zum Sterben niederlegen. Dass sie zwischenzeitlich die eigene Stimme in der eigenen Sprache erheben, scheint nicht weiter wichtig zu sein, denn Erläuterung gibt es weder in Form von Übertiteln noch in Erläuterungen auf dem Programmzettel.

Das Publikum, in dem völlig ungerechtfertigt nur zu drei Vierteln gefüllten Saal, reagiert zurückhaltend. Immerhin hat es bis zum Beginn der Vorstellung eine Viertelstunde warten müssen. Die ersten zehn Minuten gehen drauf, weil der erstmals in diesem Festival eingeführte Shuttle-Bus nicht rechtzeitig eintrifft. Warum sich deshalb das übrige Publikum in der Zwischenzeit nicht setzen darf, stattdessen wie eine Schafherde vor der Tür zu warten hat, bleibt völlig unverständlich. Hier muss sich die Organisation des Festivals ernsthaft überlegen, ob es die Respektlosigkeit gegenüber seinem eigentlich sehr engagierten Publikum gegenüber fortsetzen will. Der Beifall ist mäßig, aber warmherzig. Für einen der Höhepunkte eines Festivals, immerhin einer ausgesprochen gelungenen Veranstaltung, ist das vielleicht nicht genug.

Michael S. Zerban

 

Fotos: AbaPage