Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

TEENAGE LOBOTOMY
(Christian Garcia)
29. November 2012
(Premiere)

Forum Freies Theater, Düsseldorf


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort



 

zurück       Leserbrief

Wiederholung als Form der Gesellschaftskritik

Das Forum Freies Theater Düsseldorf nimmt an einer internationalen Koproduktionsreihe teil, die sich Audiotopias – Performing Music nennt und bis Juni kommenden Jahres vier Produktionen realisiert. Audiotopias bringt Künstler aus Deutschland, den Niederlanden, Kanada und der Schweiz zusammen. Gemeinsam wollen sie die eigenen Hörgewohnheiten und Formen des Musikkonsums bewusst machen. Musik als soziale Aktivität jenseits der kommerziellen Verwertbarkeit. Ketzerisch möchte man behaupten, ein wunderbar formuliertes Thema der so genannten Freien Szene, um möglichst alle Förderkriterien zu erfüllen. Inzwischen hat das Thema eine völlig neue Dimension erlangt, wenn man an die „soziale Aktivität“ der Gratisnutzung von Musik im Internet und der daraus folgenden fehlenden Verwertbarkeit für die Musikverlage denkt. Das ist aber nicht das Thema dieses Abends.

Christian Garcia hat sich mit Teenage Lobotomy zum Ziel gesetzt, im Rahmen einer Theateraufführung ein spezifisches Klangbewusstsein zu entwickeln und für eine gesteigerte akustische Wahrnehmungsfähigkeit zu sensibilisieren. Ausgehend von der Annahme, dass die fortschreitende technische Reproduzierbarkeit der Musik und der Bilder, ihre dauernde Verfügbarkeit und exzessive Nutzung uns in den letzten 10 bis 20 Jahren geprägt hat, scheint es dem Komponisten Garcia unmöglich, sich den kommerziellen und politischen Interessen permanenter Wiederholung zu entziehen. Wer das von Kindesbeinen mit erlebt hat, braucht sich keiner Lobotomie mehr zu unterziehen. Bei dem hat die Hirnwäsche bereits funktioniert. Wie wehrt man sich musikalisch dagegen? Garcias Antwort ist so einfach wie einleuchtend: Durch Reduktion und Wiederholung. Mit der Wiederholung auf einfachster Stufe die Wiederholung als Nonsens und als Gefahr entlarven. Aufwecken, zur Not mit Lautstärke.

Auf der Bühne werden zwei Elektrogitarren zu Hauptfiguren erhoben. Zwei Stühle, zwei Mikros, Verstärker, eine Menge Kabel und Technik sowie mehrere Projektionsflächen vervollständigen das Spielfeld der beiden Musiker, die sich im Wechsel von diffusem und streng auf die Personen fokussiertem Licht von Florian Bach bewegen. Garcia versucht, alle Grenzen zu überwinden. Die E-Gitarren lässt er wenige Takte kaskadenartig steigern, mischt mit Spezialeffekten, während im Hintergrund scheinbar zusammenhanglos Videos von Massenszenen laufen. Eduard Mont de Palol und Garcia spielen live. Live? Na klar, bis einer der Musiker aufsteht, um zum Kostümwechsel zu schreiten – und die E-Gitarre unvermindert weiter aus dem Verstärker dröhnt. Die Kostümwechsel sind entweder überflüssig wie ein Kropf, oder die Kostüme sind von Simone Hofmann schlecht gewählt. Jedenfalls haben die Kostüme keine Aussagekraft, die Bedeutung ihres Wechsels erschließt sich nicht. Dann schon eher der Wechsel der Videos hin zu einer Kriegsszene, in der Menschen, wie es derzeit bei den Militärs en vogue ist, punktuell aus der Luft heraus ausradiert werden. Das mündet in ein Kinderlied, von beiden Musikern begnadet vorgetragen. Im anschließenden Teil verliert das Wort seine Lautstärke. Es wird stumm als Video-Dialog präsentiert. Und wenn Mont de Palol sich perseverierend im letzten Teil bedankt, wird das Prinzip der Wiederholung ebenso klar wie die Kritik am verlorengegangenen Dialog. Garcia schweigt. Beharrlich. Dass er nicht stumm ist, beweist er in einem anfangs und zu Ende vorgetragenen Song, in dem er von einem Menschen erzählt, der ihn getötet und ins Grab gebracht hat. Die Kritik wird verständlich, bleibt aber zu subtil, um echte Strahlkraft zu entwickeln. Und: Lösungsansätze bleibt auch Garcia schuldig. Offenbart damit das grundsätzliche Problem, das unsere Gesellschaft derzeit umtreibt. Es gibt überhaupt nur noch wenige, die überhaupt zu erkennen scheinen, dass die Hirnwäsche viel weiter vorangeschritten ist, als selbst Orwell das jemals für möglich gehalten haben mag. Diejenigen, die das Prinzip der Volksverdummung noch durchschauen, bleiben mit sprachlos aufgesperrtem Maul des Entsetzens vor der schier ausweglosen Übermacht stehen und wissen selber nicht mehr weiter. So fehlt auch diesem Stück der entscheidende Aspekt, jenes winzige Juwel der Erkenntnis, das aus einem guten Stück eines macht, das über den Tag hinaus Bestand hat: Es fehlt der Funke, der das Publikum dazu bewegt aufzuspringen, auf die Straße zu gehen, sich gegen die herrschenden Zustände zur Wehr zu setzen.

Vielleicht wäre das auch an diesem Abend nicht so angebracht gewesen. Was vermögen schon gefühlte vierzig Zuschauer auszurichten? Schade, dass es dem Forum Freies Theater nicht gelungen ist, mehr Menschen zu mobilisieren. Der Ansatz aber stimmt. Es ist an der Zeit, dass die Theater der so genannten Freien Szene sich auf ihre politische Funktion besinnen und den Quatsch mit den alternativen Kunstformen vergessen. Die „alternativen Kunstformen“ bestaunt das Opernpublikum der vergangenen zwei Jahrzehnte. Da haben die Institutionen die Alternativen längst überholt. An Abenden wie diesem wird aber deutlich, dass die „freien“ Theater wichtige Aufgaben haben, deren sie sich vielleicht erst noch bewusst werden müssen. Zumindest das Publikum erkennt mit mäßigem, nein, flauem Beifall an, dass der Funke dieses Mal noch nicht gezündet hat.

Michael S. Zerban





Fotos: Dorothée Thébert