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Fakten zur Aufführung 

SENDER FREIES DÜSSELDORF
(Schorsch Kamerun)
5. Oktober 2012
(Premiere)

Düsseldorfer Schauspielhaus


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

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Falsche Lautstärke

Jeder sendet. Das ist das Grundmodell der Kommunikation. Wenn aber die Aufrichtigkeit entfällt, stimmt das Modell nicht mehr. Wo Lautstärke, Vereinnahmung und Falschmeldung die Kommunikation beherrschen, funktioniert das Miteinander nicht mehr. Das ist das Phänomen der Gegenwart. Lauter, schneller, öfter, greller wird der Kampf um die Wahrnehmung auf allen Kanälen. Die Angst der herkömmlichen Medien vor der Erkenntnis ihres eigenen Mittelmaßes stinkt an gegen die Zweifelhaftigkeit der Quellen in einem weltweiten Datennetz. „Das Unnormale ist das Normale, das ist das Fatale“, intonieren die Darsteller auf der Bühne und bringen damit auf den Punkt, dass sich den immer schneller aufeinanderfolgenden Hypes nur noch entziehen kann, wer sich verweigert. Das zu sagen, veranlasst sie Schorsch Kamerun in seinem neuen Stück Sender Freies Düsseldorf. Es geht um die Verwahrlosung der Kommunikation. Wenn ein Künstler heute Statisten in so genannten morph suits, eine Art Ganzkörperkondom, auf die Straße schickt, um auf die Kunst aufmerksam zu machen, kann er so gut wie sicher sein, dass es ihm Morgen eine Versicherung nachtun wird, um auf ihre Prämien aufmerksam zu machen. Wer heute von WDR 2 auf Antenne Düsseldorf umschaltet, wird das nicht mehr bemerken. Folgerichtig, dass Kamerun sein Stück in eine Sendeanstalt verlegt. Wer im Bühnenbild von Katja Eichbaum real existierende Sendeanstalten erkennt, liegt vermutlich nicht ganz falsch. Gläserne Kabinen stellen Sendestudios, Sprecherkabinen und Musikstudios dar. Der Einlass zu einer Wendeltreppe nach unten führt in eine – nicht sichtbare – Produktionsstätte. Videoleinwände spiegeln das „Sendegeschehen“ wider. Regisseur Kamerun verzichtet bewusst auf eine konkrete Handlung, konzentriert sich auf Handlungsfetzen und nennt das Stück konsequent Konzertinstallation.

Am Anfang steht die Antwort auf das orientierungslose Getöse: die Verweigerung. Untermalt wird das von sphärischen Klängen aus der „Sendetechnik“. Es folgen szenische Versatzstücke, die das Geschehen alltäglich verdichten, immer wieder unterbrochen von live gespielten und gesungenen Musikstücken. Der Alltag in einer Sendeanstalt mit Besuchergruppen, Shows, Nachrichten und Talk, aber auch die Übertragung eines Flashmobs, der sich als Verteiler von Werbezetteln entpuppt, beleben die Bühne. Kamerun übersättigt Augen und Ohren und führt so – fast schon satirisch – die Absurdität moderner Kommunikation vor. In der einzelnen Situation bricht er auf die Individualität herunter und zeigt so, dass die moderne Gleichförmigkeit und Gleichmacherei von Kommunikation eben nicht nur ein Massenphänomen ist. Aino Laberenz typisiert mit ihren Kostümen die einzelnen Rollen adäquat bis originell, übersteigert im Einzelfall auch mal gekonnt, aber immer punktgenau. Im Wechselspiel der einzelnen Spielsituationen – vor allem in der Kombination mit den gekonnten Schwarzweiß-Videoprojektionen von Kathrin Krottenthaler, die auch Live-Situationen einfangen – gelingt Konstantin Sonneson, die Bühne sinnvoll auszuleuchten.

Bei den Schauspielerinnen und Schauspielern lässt die Begeisterung nach. Zwar trägt Karin Pfammater Pro- und Epilog makellos vor, überzeugen Mareike Beykirch und Janina Sachau im Vortrag, letztere auch musikalisch-sängerisch. An der rechten Bühnenpräsenz aber mangelt es ihnen ebenso wie Marian Kindermann, der zudem noch mehrfach über den Text stolpert. Oder, wenn man so will, eine Idealbesetzung, wenn es um Konformität und Unauffälligkeit des Personals geht. Anachronistisch, aber mit viel Ausstrahlung kommt der Gast Dieter Süverkrüp zum Interview, dem die Redakteurin Gabriele Gillen nicht so ganz gewachsen ist. Mutig von Kamerun, diesem Interview so viel Zeit im Stück einzuräumen – aber gelungen.

Carl Oesterhelt und Stefan Schwander haben eine Musik komponiert, die sich perfekt dem Duktus des Stücks anpasst, auch wenn der sphärische Computersound zu Anfang etwas enttäuscht. Schorsch Kamerun hingegen schreiben sie die Lieder auf den Leib und heben so die Wirkung des Stücks noch einmal ganz erheblich. Der Regisseur selbst fühlt sich mit der Musik sichtlich wohl und präsentiert sie auf den Punkt. Er ist es auch, der den Sprechgesang des Ensembles kurz vor Schluss noch trägt, wenn es heißt: „Das Unnormale ist das Normale, das ist das Fatale.“

Im Epilog schließlich verweist der „Neue Sender“ darauf, dass die Sendeanstalten endlich die Lautstärken gleichgeschaltet haben. Und zeigt in letzter Sekunde auf, dass es auf die Gleichschaltung öffentlicher Kommunikation vielleicht doch ein paar Antworten mehr gibt als Verweigerung: Sich dagegen zu wehren und seinen eigenen Weg zu suchen, ist vielleicht auch keine schlechte Lösung.

Wie sagt Generalintendant Staffan Valdemar Holm? „Ich habe möglicherweise nicht alles genau verstanden, aber das Unbehagen ist da.“ Ein großes Kompliment. Dass ein modernes Theaterstück kritische Fragen an die Gesellschaft stellt, ist ja durchaus nicht mehr unbedingt üblich. Das Publikum jedenfalls belässt es bei bravem Applaus – und das ist mit Sicherheit zu wenig.

Michael S. Zerban

Fotos: Sebastian Hoppe