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Fakten zur Aufführung 

THE RAKE'S PROGRESS
(Igor Strawinsky)
23. Mai 2012
(Premiere)

Deutsche Oper am Rhein, Düsseldorf

Points of Honor                      

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Gesang

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Glücksritter in der Großstadt

Wenn es einen Ort gibt, an den The Rake’s Progress passt, dann ist es wohl Düsseldorf. Tom Rakewell zieht als reicher Erbe in die Großstadt, um dort sein Glück im Wortsinn zu versuchen. Doch genau dieses Glück ist ihm nicht hold. Er scheitert und verarmt. Damit ist in der Stadt kein Platz mehr für ihn. Um dieses Gerüst herum webt Regisseurin Sabine Hartmannshenn die übrigen Handlungsfäden in wunderbarer Dichte, ohne sie zu verwirren oder in die Unkenntlichkeit zu verfilzen. Da finden die große Liebe zum naiven Blondchen vom Lande und die gescheiterte Ehe mit der Jahrmarktsattraktion Türken-Baba ebenso Platz wie die Beziehung zwischen Rakewell und Nick Shadow. Sicher: The Rake’s Progress haben W.H. Auden und Chester Kallman textlich so dicht verfasst, dass es wenig Interpretationsfreiheiten gibt; diese Komplexität in ihrer Mischung aus Drama, Tragödie und Komödie sauber auf die Bühne zu bringen, ohne sie zu verbiegen oder ins Groteske abgleiten zu lassen, ist dennoch oder gerade deswegen eine Glanzleistung, für die Hartmannshenn Anerkennung gebührt.

Unterstützt hat sie in der Bühnengestaltung Dieter Richter, der die Guckkastenbühne mal extrem reduziert, mal die ganze Tragweite des Geschehens verdeutlicht. Während er sich bei den entscheidenden Bildern auf Ausschnitte wie Häuserfronten oder gar nur Türeingänge reduziert, gibt er den gloriosen Bildern – die Barszene, in der dem Protagonisten die Sinnhaftigkeit des Lebens entgleitet, die Entscheidung Rakewells, eine Jahrmarktsattraktion zu ehelichen, das Wohnzimmer in London oder die Auktion – viel Raum. In der Wahl seiner Bilder baut er dabei so viel Spannung auf, dass das Publikum die Umbaupausen hinnimmt, ohne das Geschehen geistig zu verlassen. Volker Weinhart wählt dazu ein quasi kontrapunktisches Licht, das den Chor schon mal in verschwommenes Rotlicht taucht, wenn er zum Einsatz kommt, oder Anne Trulove im seidenmatten Halbdunkel stehenlässt, wenn sie in der Großstadt verzweifelt. Das ist mutig und effektvoll. Susana Mendoza steckt die Darsteller in Kostüme verschiedener Epochen, ohne die neuzeitliche Schiene zu verlassen. Großartig gelingt ihr die Ballszene, in der sie Rakewell im John-Travolta-Kostüm zur Saturday-Night-Fever-Pose antreten lässt und den Chor in Kostüme kleidet, die jede Geschlechtlichkeit aufheben. Hartmannshenn zeigt hier bildgewaltig, wie in der Großstadt alle Konventionen aufgehoben werden – und damit jede Orientierung verloren geht. Die Regisseurin zeigt das lustvoll und unkommentiert, geht, wie auch im sonstigen Verlauf oft hart an die Grenzen von Humor und Lächerlichkeit, verlässt sie aber nie in Richtung Slapstick. Selbst wenn die Türken-Baba eine Banane ins Maul gestopft bekommt, hat das eher Beklemmendes denn Comedyhaftes. Das ist durch und durch sauber und packend inszeniert.

Da geben auch die Sängerdarsteller gern auf hohem Niveau ihr Bestes. Anett Fritsch gilt längst als einer der Stars auf der Düsseldorfer Bühne und zeigt, wie man eine Anne Trulove bis in die letzte Faser hinein begeisternd darstellt. Sie stellt das Mädchen vom Lande dar, ohne trutschig zu werden, und bringt eine Venus ans Grab, die an Glaubwürdigkeit nicht zu übertreffen ist. Ihre Stimme bewältigt die Anforderungen meisterlich. Sicher und tadellos durch alle Höhen geführt, wird ihre nächste Aufgabe sein, ein markantes Profil zu erarbeiten, das ihr eigen ist. Aber das spielt an diesem Abend sicher keine Rolle, weil sie hervorragend spielt und eine extraordinäre Bühnenpräsenz zeigt. Das gilt auch für Matthias Klink, der den Tom Rakewell mit feiner Nuance in der Geste darstellt und mit stimmlicher Varianz den Charakter unterstreicht. Ihm ebenbürtig zeigt sich Bo Skovhus, der den Nick Shadow eben nicht dämonisch darstellt oder singt, sondern die Spannung der Rolle bis zum letzten Moment aufrecht erhält, indem er den unterwürfigen Kumpel markiert. Hier passt einfach alles. Ganz stark. Ein ganz anderes Lob gebührt Susan Mclean. Zur Stimme einer Maclean braucht man nichts mehr zu sagen. Aber ihr Mut zur Hässlichkeit und Demütigung ist bewundernswert. Als Türken-Baba begeistert sie in jeder Bewegung. Selten wird man jemanden finden, der sich dermaßen auf eine „hässliche Rolle“ einlässt. Das zeigt wahre Größe. Mother Goose wird von Bonita Hyman komödiantisch-würdevoll gezeigt. Sie fügt sich tadellos in das Ensemble ein. Sami Luttinen als Vater von Anne ist inzwischen nur noch Bass. Sein Gegrummel reicht im ersten Bild nicht über den Graben hinweg, später wird es besser. In Statur und Bewegung gelingt ihm die Rolle von Trulove Senior, stimmlich geht er in Tiefen, in die man ihm nicht mehr folgen mag. Auch David Jerusalem tritt als Wärter des Irrenhauses auf, bleibt aber unter „ferner liefen“. Als künftiges Ensemble-Mitglied sollte ihm da durchaus mehr zugetraut werden.

Eine ganze Menge zugetraut hat Hartmannshenn dem Chor. Fantastisch. In der Einstudierung von Christoph Kurig hat jeder Chorist seine eigene Geschichte zu erzählen. Das geht weit über den üblichen Einsatz hinaus, und so bekommen der Chor beziehungsweise seine Mitglieder ein eigenes Gesicht. Was ausnahmslos jedem gut ansteht.

Schade, dass diese Individualität nicht auch im Graben ihren Niederschlag findet. GMD Axel Kober dirigiert die Düsseldorfer Symphoniker pflichtgemäß durch Strawinskys Musik. Eigene Akzente, die sich bei dieser Musik aufdrängen, fehlen weitgehend. Selbst bei Patrick Francis Chestnut am Cembalo will der Funke nicht so recht überspringen. Alles ordentlich gemacht, bringt der Dirigent seinen Klangkörper nicht zu Höchstleistungen. Strawinsky im Tarifvertrag absolviert.

Insgesamt, so befinden die Zuschauer, ist es ein herausragender Abend an der Deutschen Oper am Rhein, den sie mit viel Beifall belohnen.

Michael S. Zerban





Fotos: Hans Jörg Michel