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Fakten zur Aufführung 

NIETZSCHE CONTRA WAGNER NUEVA GERMANIA OPERA TROPICAL
(Santiago Blaum)
20. Juni 2013
(Premiere)

Forum Freies Theater Düsseldorf


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Wagner hilft immer

Wirklich große Opernwerke kommen mit kleinen, kurzen Namen aus; kleinere, unbekannte Werke scheinen sich schon im Titel aufpusten zu müssen. Und wenn man noch ein wenig Wagner unterbringen kann, schadet das der Popularität womöglich auch nicht. So nennt der Komponist Santiago Blaum sein 90-minütiges Werk Nietzsche contra Wagner Nueva Germania Opera Tropical. Ein vielleicht verkaufsfördernder Titel, der mit dem Geschehen auf der Bühne nur wenig zu tun hat.

Das Libretto basiert auf einem Ereignis, das man wohl eher als historischen Ausrutscher betrachten kann. Andere sehen darin gar die Vorstufe des so genannten Dritten Reiches. Der Gymnasiallehrer und antisemitische Agitator Bernhard Förster reist 1886 mit seiner Frau Elisabeth, der Schwester Friedrich Nietzsches, und einer Handvoll Gleichgesinnter nach Paraguay, um dort die Kolonie Neu-Germania zu gründen. Försters verquastes Ziel ist die „Läuterung und Neugeburt der Menschheit – somit auch Sicherstellung der menschlichen Cultur“. Selbstverständlich ohne die „Verjudung des Deutschtums“, die er in der von ihm mitgegründeten „Berliner Bewegung“ öffentlich brandmarkte. Die Kolonie nährt sich von Spendengeldern aus der deutschen Heimat. Bis Julius Klingbeil offenlegt, dass es mit dem Vegetarismus und der Absenz von Alkohol in der Kolonie nicht weit her ist. Die Spendengelder versiegen, ein riesiger Schuldenberg wächst an. Schließlich bringt Förster sich im Alter von 46 Jahren in San Bernardino in einem Hotelzimmer um. Seine Frau reist zurück nach Weimar und residiert fortan an der Seite ihres Bruders als Elisabeth Förster-Nietzsche.

Hier setzt die Handlung der Oper ein. Im Hintergrund der Bühne von Cristina Nyffeler eine Miniaturbühne für die vierköpfige Band, hinter der sich eine Projektionsfläche für wechselnde „tropische“ oder Fantasie-Motive von Pablo Derka befindet. Links ein stilisierter Turm, rechts ein „Musikautomat“, verschiedenes Schlagwerk, das mit elektronisch ausgelösten Schlegeln bedient wird. Einige Displays mit tropischen Pflanzen legen die Vermutung nahe, dass wir uns im Dschungel befinden. Das Licht gestaltet Benny Hauser routiniert, ohne originelle Ideen zu finden. Die Rahmenhandlung ist eine Show, vielleicht im Fernsehen, die von zwei Moderatoren geleitet wird. Vorne rechts steht Wagner mit dem Rücken zum Publikum auf einem kleinen Podest, bevor er später mehr oder minder in die Handlung einbezogen wird. Zwei Go-Go-Tänzerinnen, die bei einer wirklich anstrengenden Show zwischenzeitlich noch sprechen und singen müssen, ohne ihr Dauergrinsen zu beenden, runden die Staffage ab, in der sich Elisabeth Förster-Nietzsche auf Rollschuhen, Nietzsche und die südamerikanische Pop-Ikone Gilda bewegen. Förster-Nietzsche, die Wagner unendlich bewundert – und somit endlich auch die Verbindung zu ihm herstellt – und Gilda lassen ihre Welten aufeinanderprallen. Während die ewiggestrige Elisabeth die Kolonie und ihre Ideologie rechtfertigt, preist die Pop-Sängerin die Spaßgesellschaft. Nietzsche streut hin und wieder Zitate seiner Schriften und Erklärungen ein, wie sie eigentlich gemeint waren – eine Anspielung auf die posthume Verfälschung seiner Texte durch die Schwester – und von Wagner ist in erster Linie Musik zu hören. Blaum zitiert im südamerikanischen Sound aus dem Pilgerchor, der Todesverkündigung, dem Walkürenritt und dem Liebestod. Allerdings verfremdet er so stark, dass man schon in die Partitur schauen muss, um Ähnlichkeiten zu erkennen. Erst später darf Wagner Deutschnationales von sich geben und seinen aufbrausenden Charakter in ein, zwei Ausbrüchen demonstrieren. Schließlich endet die Show. Einen tieferen Sinn oder gar eine Botschaft bleibt Blaum schuldig.

So bleibt es wohl bei l’art pour l’art. Die die Sängerdarsteller dann immerhin mit Spaß und Einsatz zur Schau stellen. Allen voran Eva Löbau, die als Elisabeth stimmlich wie darstellerisch begeistert. Ihr Gesang, insbesondere zur Einleitung, verlangt eine Kunstfertigkeit der Stimme, die einem Respekt abnötigt. In ihrem bodenlangen, hochgeschlossenen Kleid zeigt die kleine Person ganz große Bühnenpräsenz, von der sie sich auch nicht durch die Rollen an ihren Füßen abbringen lässt. Tatiana Saphir bringt in der Rolle der Gilda hervorragend die Künstlichkeit der Spaßgesellschaft auf die Bühne. Das aufgesetzte Dauergrinsen zeigt erst kurz vor Ende der Aufführung leichte Ermüdungserscheinungen. Stimmlich nimmt man ihr die Popsängerin voll und ganz ab. Als Moderatoren überzeugend besetzt sind Sebastián Arranz und Jessica Gadani, die zum Schluss noch eine sehr schöne Stimme präsentieren darf. Elly Fujita und Tamara Saphir zeigen als Go-Go-Tänzerinnen viel Haut, ein aufgeklebtes Grinsen und bewundernswerte Kondition. Rahel Savoldelli erscheint als Nietzsche ein wenig blass und ohne große Durchschlagkraft. Das Wagner-Klischee zu bedienen, versucht Jan Sebastian Suba. Seine Rolle füllt er überzeugend aus, aber die Rolle überzeugt nicht.

Die Musik zur Tropical Show liefern Tayfun Schulzke als Schlagzeuger, Timofey Sattarov am Akkordeon, Julian Datta mit der E-Gitarre und Francisco Hidalgo an E- und Kontrabass. Sie spulen den überwiegend südamerikanischen Sound routiniert ab, ohne je in den Vordergrund zu treten oder besondere Akzente zu setzen. Immerhin der „Musikautomat“ sorgt gegen Ende für ein wenig Spaß.

Insgesamt eine nette Abendunterhaltung, die ein bisschen zu sehr im Ungefähren bleibt. Trotzdem hätte sie mehr als die etwa 40 Gäste verdient, die begeistert applaudieren – insbesondere einer Eva Löbau, die dem Abend sicher die richtige Würze verliehen hat.

Michael S. Zerban







Fotos: Dorothea Tuch