Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

KEIN SCIENCE-FICTION
(Tina Rahel Völcker)
11. Februar 2012
(Uraufführung)

Schauspielhaus Düsseldorf,
Kleines Haus


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Gesellschaftliche Verantwortung

Modernes Theater will nicht nur gesellschaftliche Entwicklungen widerspiegeln, sondern sie kritisch reflektieren. Die „Neue Welle“ spült Stücke auf die Bühne, die auf Der kommende Aufstand und ähnliche Schriften rekurrieren,  gemischt mit Weltuntergangsstimmung, die derzeitige „Krisen“ weiter entwickeln will (vergleiche dazu auch Der entkommene Aufstand). So hat auch Tina Rahel Völcker ein Stück verfasst, das ein Endzeitszenario auf die Bühne bringen will. Nora Schlocker hat versucht, es zu inszenieren. Schon inhaltlich bringt gut Gemeintes so seine Schwierigkeiten.

Auf der Burg Atreus, Sitz eines international erfolgreichen Unternehmens, stellt Firmenchef Agamemnon Kassandra und die Psychologin Kafka ein. Kassandra wird von düsteren Visionen gequält, die allmählich Wirklichkeit werden. Währenddessen sucht Kafka nach einem Ausweg aus der „täglich stattfindenden Katastrophe“. Das Ganze endet in einem Aufstand ohne Gewinner. Völcker mischt griechische Mythologie mit pseudokafkaeskem Bewegungsmuster und einer gefährlichen Ironie, wenn Agamemnon Vorträge über Überfremdung hält. Das Stück ist weitgehend handlungsfrei, Handlung wird nur erzählerisch wiedergegeben.

Schlocker setzt in ihrer Inszenierung auf Mitmachtheater, auf das Publikum als die „Mitte der Gesellschaft“ und die Aufhebung der Trennung zwischen Bühne und Publikum. So werden die Damen an der Garderobe aufgefordert, ihre Taschen abzugeben. Dass Kinder ihre Butterbrotdosen nicht mit in die Vorstellung nehmen, leuchtet ein. Seine Wertgegenstände in der Garderobe zu deponieren, widerspricht jeder Lebenserfahrung. Das Publikum versammelt sich vor den Eingangstüren zum Publikumsraum, die aber verschlossen bleiben. Eine Erklärung bleibt aus. Stattdessen werden Zuschauerinnen und Zuschauer über den seitlichen Bühneneingang durch einen „Tunnel“ auf die Bühne geführt. „Sphärische Klänge“ begleiten sie auf dem Weg in einer Lautstärke, die gesprochenen Text unverständlich macht. Kurz vor der Bühne werden die Besucher abgefangen. Ein junger Mann erzählt irgendetwas über Generationenwechsel. Da hat anscheinend die Einführung nicht ihr rechtzeitiges Ende gefunden. Der Eindruck täuscht. Es handelt sich um den Beginn des Stücks, den so nur wenige mitbekommen. Anschließend wird das Publikum auf die Bühne vorgelassen. Dort hat es einen Kreis zu bilden, um einem eher rätselhaften Text zuzuhören, der immer wieder unterbrochen wird von etwas, das Trance darstellen könnte. Leider kann man das Geschehen nur in der ersten Reihe wirklich mitverfolgen. In den hinteren Reihen wärmen die Scheinwerfer die Nacken der Zuhörer. Statt Konzentration auf die Schauspieler bleibt Unruhe auf der Bühne. Die Schauspieler mischen sich „unters Volk“, was für ein ständiges Hin und Her sorgt. Erst später wird das Publikum auf die Sitze befohlen. Endlich ist auch die Symbolik von Steffi Wursters Bühne zu erkennen: Ein entgleister Zug wird mit Sperrholzschablonen im Hintergrund angedeutet, wird noch später in die Zinnen der Burg umgedeutet. Das Fehlen der Handlung wird durch emsiges Gewusel der Akteure überbrückt. Auch als die Zuschauer endlich ihren Platz einnehmen dürfen, toben Kassandra und Konsorten weiter über und durch die Stuhlreihen. Dabei werden permanent die von Caroline Rössle Harper entwickelten Kostüme gewechselt. Als dann auch noch Kettenhemd und Lohengrin-Schwert zum Einsatz kommen, ist endgültig jeglicher zeitliche Bezug aufgehoben. Jean-Mario Bessière gelingt es nicht, eine eingängige Lichtregie zu zeigen. Stattdessen blenden laut brummende Schweinwerfer das Publikum immer wieder bei dem Versuch, die herumturnenden Schauspieler in den Stuhlreihen auszuleuchten. So bleibt die Aufführung von Anfang an im Ungefähren und verliert sich – anstatt einem Höhepunkt entgegenzutreiben – in der Erschöpfung der Darsteller, die sich ohne großen Erfolg durch die Komplexität der Textwüsten kämpfen.

Ingo Tomi startet als smarter, argumentationsfreudiger Agamemnon oder Firmenchef. Es wird nicht klar, ob gerade auf griechische Mythologie oder den Untergang im Hier und Jetzt Bezug genommen wird. Tempo und Differenziertheit hält er aber nicht durch, und so steht am Ende ein ziemlich erschöpfter Tomi, na, immerhin auf der Bühne. Xenia Noetzelmann sieht ihre Aufgabe überwiegend im intensiven Gucken, während sie sich im Laufe des Geschehens immer weiter schwarz anmalt. In der Doppelrolle als Kafka und Agamemnons Mutter Aerope fällt Elena Schmidt durch massiven Alkoholkonsum und den damit verbundenen, üblichen akrobatischen Gleichgewichtsübungen auf. Bekommen die Akteure ohnehin stoffbedingt wenig Gelegenheit, sich zu profilieren, enttäuscht Aleksandar Radenković mit Versprechern und einem denkbar blassen Auftritt. Echte Bühnenpräsenz zeigt hier keiner.

Spätestens seit Black Rider will kaum noch ein Bühnenstück ohne Musik auskommen. So auch hier. Aber die Anwesenheit von Musik macht aus dem Theater noch kein Musiktheater. Muss ja nicht. Eine gewisse Existenzberechtigung sollte es dennoch geben. Gregor Kerkmann sitzt am Bühnenrand mit Computer, Bass und Gitarre. Eigentlich eine solide Grundausstattung, um die Dramaturgie nach vorn zu treiben. Nicht so bei Kerkmann. Er verzichtet so gut wie ganz darauf, Akzente zu setzen, sondern belässt es beim Mitplätschern oder Einspielen pseudosphärischer Klänge. Bei so viel Unbeherztheit kann man darauf vielleicht dann auch verzichten.

Das Murren im Publikum ist unüberhörbar, es bleibt beim Pflichtapplaus. Ein Theaterstück will Fragen aufwerfen, zum Nachdenken bewegen – oder nötigenfalls auch Antworten geben. Vielleicht auch einfach nur action zeigen. Dieses Stück leistet nichts von alledem. Und so wird an diesem Abend kein Impuls zum Aufstand gegen die herrschenden Zustände von der Düsseldorfer Bühne ausgehen.

Michael S. Zerban

Fotos: Sebastian Hoppe