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Fakten zur Aufführung 

EINE FLORENTINISCHE TRAGÖDIE/
DER ZWERG

(Alexander Zemlinsky)
15. Juni 2013
(Premiere)

Deutsche Oper am Rhein, Düsseldorf


Points of Honor                      

Musik

Gesang

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Bühne

Publikum

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Popcorn für Lolitas

Zum ersten Mal nach mehr als einem Jahrzehnt, erzählt Intendant Christoph Meyer, sind Eine florentinische Tragödie und Der Zwerg von Alexander Zemlinsky nach Texten von Oscar Wilde in einer abendfüllenden Aufführung zu sehen. Als wäre es damit nicht schon genug der Besonderheiten, werden die beiden Einakter von zwei verschiedenen Regie-Teams inszeniert.

In der Florentinischen Tragödie dieses Abends fühlt sich Regisseurin Barbara Klimo offenbar von der filmmusikartigen Komposition Zemlinskys inspiriert, das Stück in einem Kino beginnen zu lassen. Der Zuschauer sieht fünf oder sechs tribünenhaft ansteigende Kinostühle, von denen einige nach und nach besetzt werden. Mit Beginn des Films wird die Bühne von Volker Weinhart in das typische Flimmern eines Schwarzweißfilms getaucht. Neben einigen Statisten treffen Bianca mit Mann Simone und Guido Bardi ein. Schon hier wird deutlich, dass Bianca, die die Nähe ihres Mannes sucht, von diesem eher wie ein Gegenstand behandelt wird. Die Kostüme von Frank Bloching scheinen in der Gegenwart angesiedelt. Erst in der nächsten Szene greift er auf Fantasiekostüme zurück. Dann nämlich taucht Bianca in ihren Traum ab, in dem auch ein Harlekin eine – eher undurchsichtige, schmückende – Rolle spielt. Die Kinostuhlreihen fahren zurück, eine Projektionsleinwand schließt die Bühne nach hinten ab. Davor werden begehbare Leuchtkästen heruntergelassen. Im Traumgeschehen der Bianca hat Simone den Löwenanteil, der versucht, dem Prinzen Guido Bardi wertvolle Stoffe zu verkaufen. Darunter auch seine Frau. Zwischenzeitlich wechselt noch einmal das Bühnenbild, indem Veronika Stemberger die Leuchtkästen gegen drei Bögen austauscht, an deren beiden vorderen Scheinwerfer angebracht sind. Das Ganze hat so ein bisschen den 1980-er-Jahre-Retro-Charme. Mit Macht und allerlei Spielereien versucht Klimo, den Traumcharakter aufrechtzuerhalten. Erst nach Bardis Tod geht es zurück ins Kino, in dem Bianca ihren Simone nun mit anderen Augen sieht. Der Versuch, im Traum eine psychedelische Atmosphäre auf die Bühne zu bringen, ist erkennbar, aber nicht wirklich nachvollziehbar. Schwieriger noch, dass Barbara Klimo zu dem Frauenbild Zemlinskys in dieser Oper keine erkennbare Stellung bezieht. Überhaupt bleibt die Zeichnung der Figuren eher nichtssagend.

So bleibt auch Bariton Anooshah Golesorkhi als Simone im Ungefähren. Stimmlich eher in Richtung Bass unterwegs, ist ihm in Auftritt und Gesang nichts vorzuwerfen, aber es will kein Funke überspringen. Seine schon körperliche Bühnenpräsenz reicht nicht so recht, Begeisterung auszulösen. Im Gegensatz zur Mezzosopranistin Janja Vuletic, die nicht nur gesanglich ihre Rolle spielerisch meistert, sondern vor allem schauspielerisch im Rahmen ihrer von der Regisseurin begrenzten Möglichkeiten gefällt. Corby Welch, dieses Mal in der Rolle des Guido Bardi zu erleben, entwickelt sich an der Rheinoper zu einer Art Superstar. Auch in dieser Rolle, in der Klimo ihm zwischenzeitlich eher unmotivierte Zuckungen verordnet, die in erster Linie auf Kosten der Kondition gehen, ohne dem Zuschauer wirklich erklärlich zu sein, zeigt der Tenor seine stimmlich überragende Qualität.

John Darlington, für viele Jahre als Generalmusikdirektor Gottvater der Duisburger Philharmoniker, gelingt es mit den Düsseldorfer Symphonikern, einen typischen „Filmsound“ zu erarbeiten und ihn akzentuiert und spannungsgeladen aus dem Graben zu bringen. Dass er dabei kaum Rücksichten auf die Sänger nimmt – geschenkt. Denn die Sänger nehmen die Herausforderung an und bestehen sie.

Und so darf man sich als Zuschauer in seinem Kinositz zurücklehnen und ein wenig bedauern, dass man nicht, wie die Protagonisten, am Eingang zu der großen Tüte Popcorn gegriffen hat, um sich, genüsslich kauend und raschelnd, seichter Unterhaltung hinzugeben. Das Publikum, darunter verblüffend viele Zemlinsky-Experten, die sofort erkennen, dass die Regisseurin dem Komponisten mit ihrer Inszenierung in keiner Weise gerecht wird, belohnt dennoch überwiegend die Leistungen des Abends mit langanhaltendem Applaus. Einzelne Buh-Rufe für die Regie werden letztlich von Bravo-Rufen für die Gesamtleistung überwogen.

Der zweite Teil des Abends hat mit dem ersten wenig gemein, und das ist ganz erfrischend. Der Zwerg wird von Immo Karaman inszeniert, was aber denn auch keine Erfolgsgarantie beinhaltet. Letztlich bleiben hier viele Fragen offen. Der Titelheld ist ein Zwerg mit einer außerordentlichen Stimmbegabung, der sich noch nie bewusst im Spiegel gesehen hat und für einen absolut begehrenswerten Mann hält, weil überall, wo er auftritt, die Menschen mit freundlichem Gelächter reagieren. Donna Clara träumt davon, eine Prinzessin zu sein, die Geburtstag hat. Als Geschenk bekommt sie von einem Sultan den Zwerg geschenkt. Große Liebe bricht aus, und es kommt, wie es kommen muss: Der Zwerg erkennt die eigene Hässlichkeit im Spiegelbild der Augen seiner Prinzessin und verzweifelt daran, während die Prinzessin etwas verzagt resümiert „Es ist schade um das schöne Spielzeug, wie schade! Gott hat ein armes Herz zerbrochen, es war schön!“

Bühnenhandlung muss nicht von Logik beseelt sein, aber es hilft. Karaman sieht das nicht so streng. Die oberen Winkel des Zinnengangs im Hintergrund der Bühne von Nicola Reichert, die auch die Kostüme verantwortet, bestehen aus spiegelähnlichen Fliesen. Spätestens, wenn der Zwerg aus seinem Geschenkpaket hüpft, wäre es an der Zeit für ihn, sich ein paar Gedanken zu machen. Zwar arbeitet Karaman fortwährend mit dem Thema Spiegelung, allein, es mangelt in der Umsetzung. Und so ist man genau dieses spannende Thema ziemlich schnell leid. Was die Lolita-Optik der weiblichen Akteure soll, erschließt sich nicht, sondern weckt eher unangenehme Assoziationen. Der Zwerg wird als buckliger, hässlicher, kleiner Mensch besungen, der auf der Bühne dann als durchaus attraktiver, normalgroßer Sänger in Erscheinung tritt. Überhaupt kümmert der Regisseur sich nicht mit übermäßiger Zwanghaftigkeit um die Übereinstimmung von Inhalten. So lässt man die Inszenierung relativ schnell Inszenierung sein und erfreut sich an den musikalischen Leistungen.

Star des gesamten Abends ist eindeutig Raymond Very. Der Tenor bewältigt die außerordentlich anspruchsvolle Rolle des Zwergs mit einer bewunderungswürdigen „Leichtigkeit“. Egal, was John Darlington an Lautstärke aufbietet – Very bleibt immer verständlich. In Darstellung und Stimme muss die Rolle für ihn geschrieben sein. Bariton Stefan Heidemann singt den Don Estoban rund und verständlich, seine Frauenbekleidung unterstreicht die Ironie der Rolle. Als Donna Clara begeistert mal wieder Sylvia Hamavasi und spielt wunderbar mit Anke Krabbe als Prinzessin Ghita zusammen, die ebenfalls stimmlich brilliert. Als „fünfter Solist“ begeistert der Damenchor der Deutschen Oper am Rhein in der Einstudierung von Christoph Kurig nicht nur stimmlich, sondern auch in der Spiegelung seiner selbst.

Wieder kümmert sich John Darlington in erster Linie darum, aus dem Orchester alles nur Erdenkliche an Akzent, Spannung und Differenzierung herauszuholen, was bei dieser Aufführung hin und wieder dazu führt, dass selbst der Chor mitunter mächtig um Gehör kämpfen muss. Das Publikum wird mit sattem Klang belohnt.

Das Regie-Team kommt beim Publikum dieses Mal ungeschoren davon, wird gleichermaßen applaudiert wie die Akteure auf der Bühne. Das verwundert angesichts der Ungereimtheiten der gezeigten Handlung. Den meisten Applaus aber handelt sich – völlig zu Recht – an diesem Abend ein Zwerg ein, der ein ganz Großer ist.

Michael S. Zerban







Fotos: Hans Jörg Michel