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Fakten zur Aufführung 

CASTOR & POLLUX
(Jean-Philippe Rameau)
28. Januar 2012
(Premiere)

Deutsche Oper am Rhein,
Oper Düsseldorf


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

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Nach der Premiere

Alma Sadé hat doppelten Grund zu feiern. In der Premiere von Castor & Pollux singt sie ihre erste Hauptrolle. Ein Grund mehr, sich in Düsseldorf sehr wohl zu fühlen (3'36).

 

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Blut ist dicker als Wasser

Die Oper vom ungleichen Zwillingspaar, von denen Pollux der Sohn Jupiters und damit unsterblich ist, ist mehr als nur eine Geschichte über Bruderliebe. Als Castor stirbt, rächt sich sein Bruder zwar blutig, versucht aber zunächst die Braut seines Bruders für sich zu gewinnen. Erst als Télaïre ihn bittet, für die Wiedererweckung des Geliebten zu sorgen, scheint die Selbstaufopferung des Pollux seinen Gang zu nehmen: Statt seines Bruders müsste er in der Unterwelt bleiben, damit würde er zwei wirklich Liebenden zu ihrem Glück verhelfen. Doch Castor will dieses Opfer nicht annehmen und steigt nur für einen Tag zur entsetzten Télaïre hinauf, um sich zu verabschieden. Gerührt von der Liebe zwischen den Brüdern erhebt Jupiter sie zusammen mit der Geliebten als Sternbild an den Himmel.

Martin Schläpfer, Chefchoreograf und Direktor des Düsseldorfer Balletts, inszeniert mit Castor et Pollux seine erste Oper. Die Regie einer Barockoper bietet sich an, birgt aber die Gefahr der dominierenden Rolle des Tanzes, die sich schlussendlich bewahrheitet. Sein Ansatz will modern und ohne historische Bezüge sein. Doch ist mit der Inszenierung einer barocken Oper mit Ballett nicht allein der Gedanke an Modernität aufgehoben? Das Geschehen auf der Bühne wirkt trotz futuristischer Kostüme und Bühnenbild nicht eben aktualisiert. Obwohl das Ballett moderne Schritte vorführt, nimmt es die Rolle einer stilisierten barocken Institution an. Dadurch, dass nahezu alles durchchoreographiert ist, wirken die Beteiligten auf der Bühne trotz der stattfindenden Bewegung statisch. Hinzu kommt, dass der Tanz nicht nur in fast allen Szenen allgegenwärtig ist, sondern auch gerade zum Ende hin minutenlang die Bühne beherrscht. Im Hinblick auf bewusste Modernität stellt sich die Frage, warum die Urfassung von 1737 mit einem ursprünglich politisch motivierten Prolog gespielt wird. Für die Handlung jedenfalls – wenn auch nicht musikalisch – ist der Prolog irrelevant und wird von Rameau bereits 1754 eliminiert. Im Rahmen der Düsseldorfer Inszenierung wird der Prolog zur Plattform, auf der die fantasievollsten Kostüme vorgestellt werden und das Publikum Zeit hat, sich an die Art und Weise der Inszenierung zu gewöhnen. Allerdings kommt nach dem spannenden Beginn, besonders nach der Pause nicht mehr viel Neues. Schläpfers Auffassung, die Arbeit mit allen Beteiligten sei gleich, wirkt sich nicht auf die Produktion aus. So ist der Chor in fast allen Szenen nur „griechisch“ blockhaft behandelt, und die Sänger geraten im Laufe der Oper immer mehr in den Hintergrund.

Die Bühne und die Kostüme von der Stuttgarter Künstlerin rosalie sind losgelöst von barocken und antiken Ideen und komplett in der Moderne angelangt. Die Göttlichkeit offenbart sich in den skurrilsten Äußerlichkeiten, mal als Mars terminator-ähnlich im Muskelpanzer oder Amor mit einem Lenkdrachen statt Flügeln auf dem Rücken. Besonders auffällig ist das Schuhwerk der Götter, die allesamt auf gefährlich hohen Plateauschuhen zu einem vornehm stelzenden Gang gezwungen sind und nur mit Unterstützung laufen können. Das Kostüm des Höchsten aller Götter wirkt nach dem vielversprechenden Eingang dann doch etwas eintönig und wird mit einem Stock als Gehilfe ausgestattet. Die enorm hohen Schuhe schränken die Bewegungsfähigkeit und damit auch die Ausdruckskraft ein. Die restlichen Kostüme bewegen sich in Grau- und Weißtönen mit metallischem Glanz oder gar Transparenz. Insgesamt bieten die Kostüme einige optische Highlights, wenn auch nicht alles verständlich zu deuten ist. Das Bühnenbild wird von einer aus wabenartig angeordneten Plastikröhren bestehenden Skulptur beherrscht, die farblich angestrahlt einerseits plastisch gegenwärtig, andererseits durch die Hohlräume der Röhren ätherisch wirkt. Ein beeindruckender Vorhang aus insgesamt rund acht Kilometern mal blau-grün, mal rosa leuchtenden Glasfaserkabel trennt die Akte. Hier hat Lichtgestalter Volker Weinhart ganze Arbeit geleistet. Statt das gesamte Bühnenbild so eindeutig uneindeutig zu belassen, wie zum Beispiel die überdimensionalen Duschschwämme auf Rollen, die sich so schön tänzerisch zur Musik bewegen lassen, scheint sich ein sportliches Konzept ohne erkennbaren roten Faden durch das Bühnenbild zu ziehen. So treten die Athleten wie Footballspieler auf, ein Sprungturm steht rum, riesige Federbälle stehen im Elysium und die Tänzer tragen Sneakers.

Aus dem zwar nicht gerade barock klingenden, aber insgesamt überzeugenden Gesangsensemble sind besonders Günes Gürle als Pollux, Alma Sadé als Télaïre und Claudia Braun in der Partie der Phébé hervorzuheben. Während Alma Sadé in ihrer ersten Hauptpartie an einem großen Haus mit einem zarten Sopran und feinem Timbre aufwarten kann, ergänzt sie sich wunderbar mit der erfahreneren Claudia Braun, die die Phébé eindringlich und mit gut geführter Stimme singt. Günes Gürle setzt seinen wohlklingenden Bassbariton je nach geforderter Emotion beweglich ein und überzeugt auch darstellerisch als ein durch Zwiespälte gequälter Held. Auch Jussi Myllys in der Partie des Castor macht eine gute Figur, hat aber aufgrund der etwas bescheideneren Partie weniger Zeit, seine Fähigkeiten zu entfalten. Sami Luttinen als Jupiter wünscht man sich etwas wuchtig-männlicher. Er ist aber durch die Regie und Schuhe bewegungstechnisch eingeschränkt und darf nur im hinteren Teil der Bühne agieren, was sich auch auf die Akustik auswirkt.
Der  Chor unter der Leitung von Gerhard Michalski hinkt einige Male hinter dem Orchester her. Der Neuen Düsseldorfer Hofmusik unter der Leitung von Axel Kober gelingt als Einziger, was die Regie für alle Bereiche anstrebt: Eine Aktualisierung der Musik Rameaus durch eine reine und großartig engagierte Beschwingtheit, die von der Ouvertüre bis zum „Fest des Universums“ keine Minute nachlässt.

Das Ballett der Deutschen Oper am Rhein als das präsenteste Element auf der Bühne heimst den meisten Beifall ein. Einige Ensembleszenen geraten zwar etwas unsynchron, aber die Tänzer zeigen ein ungebrochenes Engagement in Körperbeherrschung und Ausdruck und verausgaben sich mit Hingabe. Die kommentierende Funktion der die Sänger begleitenden Schatten gerät teilweise ins unfreiwillig Komische, wenn beispielsweise die Emotionen der verzweifelten Phébé zwar gekonnt expressiv aber eben auch grotesk pantomimisch ausgetanzt werden. Ein Teil des Publikums reagiert dementsprechend mit leisem Kichern.

Das Premierenpublikum, das die Aufführung nur einmal für spontanen Szenenapplaus für eine Tanzszene unterbricht, spendet begeisterten und lang anhaltenden Beifall. Den lautesten Applaus ernten die Tanzkompanie und die Neue Düsseldorfer Hofmusik. Einige Lacher gibt es vor allem während des Prologs beim Anblick der bizarren Kostüme.

Insgesamt lohnt sich ein Besuch dieser besonderen Oper, denn sowohl die Ohren wie die Augen bekommen mehr als genug Stoff, teilweise visuell sogar zu viel. Besonders Ballettfans kommen auf ihre Kosten, für alle anderen entstehen trotz der hervorragenden tänzerischen Leistung gegen Ende hin Längen, wenn die Sänger und Chor als Statisten in den Hintergrund gedrängt sind und bewegungslos verharren müssen, während vor ihnen zehn Minuten das Ballett tobt.

Miriam Rosenbohm