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Fakten zur Aufführung 

b.16
(Martin Schläpfer)
5. Juli 2013
(Premiere)

Ballett am Rhein Düsseldorf Duisburg, Oper Düsseldorf


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Verlangen meint: Nichts passiert

Der Sommer ist zwar nicht sichtbar, aber seine Wärme hat sich bereits im Saal der Düsseldorfer Oper bleiern ausgebreitet. Trotzdem ist nahezu jeder Platz besetzt: Es ist Schläpfer-Zeit in der Rheinmetropole. Da möchte selbst der Oberbürgermeister nicht außen vor bleiben und nimmt in der ersten Reihe Platz. Die neue Inszenierung setzt sich nach bewährtem Muster zusammen. Eröffnet wird mit einer mehr oder minder historischen Choreografie, das Werk eines lebenden Choreografen folgt, ehe der Chef des Düsseldorfer Balletts seine Uraufführung präsentiert.

„In Without Words dreht sich alles um das Verlangen. Verlangen aber bedeutet, dass nichts passiert“, sagt Hans van Manen über sein bislang vorletztes Werk, das an diesem Abend gezeigt wird. Ein Satz, der für den ganzen Abend gelten könnte. Auch wenn van Manen ihn später komplettiert: „Und doch – im Letzten passiert etwas.“ Und wenn es das Geringste ist, möchte man hinzufügen.

Jerome Robbins war ein Meister der Momentaufnahme. 1953 ließ er sich von einer Trainingssituation zu Afternoon of a Faun inspirieren. Anita Paciotti hat das Stück so weit als möglich dem Original angeglichen. Und so ist auf der Bühne und im „Sonnenlicht“ von Jean Rosenthal ein Übungsraum zu sehen, in dem der Faun erwacht, tadellos getanzt von Alexandre Simões, auch wenn mehr das Athletische als das Magische im Vordergrund steht. Aus dem Graben erklingt unter Leitung von Wen-Pin Chien das Prélude à l’apres-midi d’un faune Claude Debussys, sehr sanft dargeboten von den Düsseldorfer Symphonikern. Eine Elevin „mit frisch gewaschenen Haaren in sauberen Trainingskleidern“ der 1960-er Jahre betritt den Raum und beginnt ihre Übungen. Im Hinausgehen wird der Faun auf sie aufmerksam, und sie beginnen ihren teils gemeinsamen Tanz. Nicole Morel zeigt auf eine faszinierende Weise die überzogene Ästhetik wohl jener Zeit. Verlangen ist ein geheimer Wunsch, der sich in mancherlei äußert, ohne sich Bahn zu brechen. Erfüllt sich das Verlangen – selten genug – ist es kein solches mehr. So auch hier. Der Faun küsst die Elevin zart auf die Wange. Und zum ersten und einzigen Mal treffen sich ihre Blicke, ehe die Ballettschülerin den Raum verlässt und der Faun wieder in seinen Träumen versinkt. Ein kleines, bezauberndes Stück, mit dem Schläpfer schnell die Herzen des Publikums gewinnt.

In Hans van Manens Without Words hat sich Julie Thirault mit den drei Werbern Marcos Menha, Bogdan Nicula und Paul Calderone in nonverbaler Kommunikation auseinanderzusetzen. Stephen Harrison steuert dazu vier Mignon-Lieder von Hugo Wolf „ohne Worte“ auf dem Klavier bei. Auf der Bühne, die Keso Dekker als schwarzen Raum eingerichtet hat, in dem der blaue Lichtkreis von Bert Dalhuysen das Zentrum bildet, findet wieder und wieder Annäherung im Balzverhalten statt. Erprobte Mittel werden erneut eingesetzt. Im dritten Pas de deux ein Scheinerfolg. Nach kurzfristiger Öffnung bleibt ein Blick, der alles offen hält. Mea Venema hat das Stück einstudiert, bietet eindrucksvolle Tanzszenen, ohne dass sich echte Begeisterung einstellen will. Van Manen wird vor der Pause – oder vor der Uraufführung von Martin Schläpfers Nacht umstellt – ausgiebig gefeiert.

Die Menschen wollen Schläpfer – also bekommen sie ihn. 80 Minuten sollen es diesmal sein. Der Chefchoreograf mischt klassische mit zeitgenössischer Musik und Chorgesängen, um sich mit dem Thema Nacht auseinanderzusetzen. Wie viel intensiver ist die Nacht! Geräusche bekommen eine andere Bedeutung, Erlebnisse finden auf anderen Wirklichkeitsebenen statt. In der Nacht werden andere Tiere aktiv als am Tage. Fast anderthalb Stunden lebt sich das Corps in verschiedensten Situationen aus, darunter wirklich starke Szenen. Es ist Nacht, und es ist Thomas Diek zu danken, dass er ein Licht schafft, in dem trotzdem alles zu erkennen ist. Für die Bühne hat sich Florian Etti einzelne Elemente ausgedacht, die in einen schwarzen Raum hineinragen. Nichts Spektakuläres, soll doch der Tanz im Vordergrund stehen. Auch hier überwiegend klassische Figuren, und insofern ist der Abend kongruent. Taktlos präsentieren sich die Tänzerinnen und Tänzer. Da werden Einsätze gepatzt, Figuren unsauber gesetzt und über synchrone Balletteinlagen redet heute sowieso schon keiner mehr. Das ist bei einem Kindergeburtstag überhaupt kein Problem. Da würde man von Lampenfieber reden und davon, dass es ja im Großen und Ganzen eine total niedliche Aufführung war.

Ein Glück nur, dass das Publikum sich wie bei einem Kindergeburtstag fühlt. Vereinzelte Bravo-Rufe und lang anhaltender Applaus trotz übergroßer Müdigkeit und Erschöpfung zeigen, dass Besucherinnen und Besucher die Absicht erkannt haben und zu würdigen wissen. Ob solche Schlampereien auf Dauer Bestand haben, wird sich zeigen. Oder Martin Schläpfer muss hier Abhilfe schaffen und seine Tänzerinnen und Tänzer alsbald aus dem Kinderparadies abholen.

Michael S. Zerban

 

Fotos: Gert Weigelt