Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

Aquaria_palaoa
– das alter der Welt

(Susanne Stelzenbach)
14. Januar 2012
(Premiere)

Münster-Therme Düsseldorf


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 

Vor der Premiere




Claudia Herr und Achim Brand bereiten die Premiere intensiv vor (4'40).

 

zurück       Leserbrief

Meditativ unter Wasser

Die Münster-Therme ist eines der schönsten Jugendstil-Bäder Deutschlands. Hier finden keine Wettbewerbe statt, hier ist kein Platz für Rutschen oder Whirl-Pools. Es ist ein Hallenbad für die Bürgerinnen und Bürger, die in einer wunderschönen und ungewöhnlichen, anheimelnden Architektur ihre Bahnen ziehen wollen. Es ist aber dank Betriebsleiter Achim Freund auch ein Ort, an dem es gelegentlich Besonderes zu erleben gilt. Wie zum Beispiel die erste Unterwasseroper in Nordrhein-Westfalen. Entwickelt hat das Projekt die Mezzosopranistin und frühere Leistungsschwimmerin Claudia Herr.

Ermöglicht wird der Gesang unter Wasser durch Hydrophone, Mikrofone, die die Schallleitung des Wassers in elektrische Impulse umwandeln. Dass das funktioniert, zeigt die antarktische PALAOA-Horchstation des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung. Dort kommen die Hydrophone hundert Meter unter dem Schelfeis zum Einsatz. Das Ergebnis dieser Aufnahmen fließt in die Komposition von Susanne Stelzenbach ein, und wer einmal Walgesänge gehört hat, hat zumindest eine Vorstellung davon, in welcher Klangkulisse sich die Oper bewegt.

Die Handlung der Wasserspiele ist erwartungsgemäß überschaubar, soll sie doch eher einen Rahmen für die visuellen und akustischen Inhalte bieten. Alte und junge Robben kommunizieren in einer Art Gesang, um ihr Überleben zu sichern und so dafür zu sorgen, dass die Luftlöcher offen bleiben. Eine junge und eine alte Frau sind auf der Suche – sie erschrecken vor dem Uralter des Eises und des Wassers angesichts der Tatsache, dass das menschliche Leben nur kurz befristet ist. Sie sehnen sich nach dem Wasser des Lebens, „dem Elixier der Verjüngung“, wie Herr sagt. Sie verachten die unscheinbaren Robben und suchen Erfüllung in Eros und Liebe. Dabei versuchen sie, den zynischen Wissenschaftler Schwertwal Schwermut durch ihre Reize zu binden. Ihre Hoffnung führt in eine neue Welt hinein, in die Welt unter Wasser. Die ist kalt, aber unberührt von menschlichem Einfluss.

Als Bühne beziehen Regisseur Holger Müller-Brandes und Bühnenbildner Lars Reimers die gesamte untere Etage der Halle und für den Auftritt der alten Frau auch die Empore ein. Am hinteren Ende des Beckens befinden sich weiße Plastikfolien, die später im Wasser als Eisberge ihre Funktion finden. Einige orangefarbene Kästen bieten Orientierungshilfen im Wasser, in dessen flachen Teil sich der Chor überwiegend aufhält. Die Protagonisten agieren vom Beckenrand aus, bevor sich Claudia Herr als junge Frau und Anders Kamp als Schwertwal Schwermut mit ihren Tauchgeräten unter die Wasseroberfläche begeben. Elizabeth Neimann als alte Frau beschränkt sich auf Gänge durch das Bad und zum Schlussbild auf das Schwimmen. Arianne Vitale Cardoso hat die Akteure in Abendgala gesteckt, was den Auftritt im Wasser eindeutig zur – unbemerkten – Strapaze macht, die Chormitglieder dürfen sich mit Neopren-Anzügen und leichter, schwarzer Bekleidung begnügen.

Die erste Hälfte der Oper spielt weitestgehend über Wasser und beginnt mit einem Vortrag des Schauspielers Anders Kamp, der überflüssigerweise auf Englisch gehalten wird und dann auf Deutsch auf dem Programmzettel nachzulesen ist. Immerhin trägt Kamp mit dramatischer Unterkühlung vor und trifft damit das Thema. Elizabeth Neimann singt einen wunderbar reinen Mezzosopran. Sie bewegt sich mit der Würde der weisen Alten, unterstützt den meditativen Charakter der Musik. Claudia Herr weiß die Akustik der Halle für die Wirkung ihres Mezzosopran hervorragend einzusetzen. Sie ist der unbestrittene Mittelpunkt des Geschehens. Die beiden Chöre unter der Leitung von Bettina Schmitt und Bernd Kaftan schaffen neben einem präzisen und schönen Gesang vor allem in der „Toter-Mann-Position“ kraftvolle, imposante Bilder.

Andreas Nordheim an Cornett und Schlagwerk, Max Murray mit der Tuba, Ehrengard von Gemmingen am Cello und Kace Kaufmann am Schlagwerk unter Wasser: Die Musiker haben eine überschaubare Beschäftigung, die aber höchste Präzision verlangt – und auch abgeliefert wird. Komplexer ist da schon die Klangregie von Susanne Stelzenbach und Simon Böttler. Die beiden haben die Akustik der Halle im Griff, mischen sorgsam die Musiker mit den Einspielungen ab und sorgen so für einen exzellenten Klangteppich, auf dem die Sängerinnen sich wohlfühlen können.

Die spannendste Frage wird erst in der zweiten Hälfte der Aufführung beantwortet: Wie klingt denn nun der Gesang unter Wasser? Claudia Herrs atonaler Gesang ist trotz des ständigen Brodelns der Luftblasen klar und gut hörbar. Was bei unter Wasser gesprochenen Worten entsteht, lässt Anders Kamp bei der Fortsetzung seines Vortrages unter Wasser erklingen: Gebrabbel.

Im tropisch-schwülen Klima der Badehalle sitzen und stehen die Zuschauerinnen und Zuschauer dicht an dicht. Dem Wunsch der Projektkünstlerin Herr, sich zu bewegen, Perspektivwechsel zu wagen, folgen die wenigsten. Es ist eben eine Oper, und in der bewegen sich die Künstler, nicht das Publikum. Und zur Pause wird wie am Ende brav geklatscht. Bestimmte Dinge sind eben wie sie sind, auch wenn gerade ein großartiges, auf jeden Fall aber beeindruckendes Erlebnis „über die Bühne“ gegangen ist.

Michael S. Zerban

 

 





Fotos: Opernnetz