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Fakten zur Aufführung 

LA VESTALE
(Gaspare Spontini)
30. Juni 2013
(Premiere)

Semperoper Dresden


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Musikalisches Kleinod

Wer sich im Jahresprogramm der Semperoper Dresden den Wagner-Schwerpunkt anschaut, dem fallen zwei Opern sofort ins Auge, die nicht aus der Feder des Bayreuther Meisters stammen und trotzdem in einer besonderen Beziehung zu ihm stehen. So hatte Jaques Halévys Grand Opéra La Juive (Die Jüdin), die Wagner nachhaltig inspirierte, bereits am 12. Mai ihre umjubelte Premiere in der Semperoper feiern dürfen. Mit der konzertanten Premiere von Gaspare Spontinis lyrischer Tragödie La Vestale (Die Vestalin) wurde nun an der Semperoper der Wagner-Schwerpunkt abgerundet. Doch in welcher Beziehung steht dieses Werk zu Wagner? Mit der heute selten gespielten Oper La vestale, der ersten Tragédie lyrique des Komponisten und in ihrer musikalischen Dramatik richtungweisend für die folgende Komponistengeneration, gelang Spontini und auch seinem Librettisten Victor-Joseph Etienne de Jouy 1807 der europäische Durchbruch. Bei einem Besuch Spontinis in Dresden 1844 machte er die Bekanntschaft mit Richard Wagner, damals Kapellmeister an der Hofoper. Wagner setzte sich sehr für die Aufnahme der Vestale in Dresden ein, übernahm selbst die Einstudierung mit der damals ungekrönten Sopranistin Wilhelmine Schröder-Devrient in der Titelpartie und inspirierte Spontini zu einer eigens für Dresden geschaffenen Neuinstrumentation der Oper. Der Eindruck der Orchestrierung des Werkes, insbesondere der Bläsergruppen, sollte einen nachhaltigen Einfluss auf Wagner haben.

In den beiden ersten Dekaden des 19. Jahrhunderts war Spontini eine wichtige Figur der französischen Tragédie lyrique. In seinen mehr als 20 Opern bemühte er sich, den Stil von Glucks klassischen Werken an den Zeitgeschmack zu adaptieren. So komponierte er große, kontrastreiche Szenen, verwendete ebenso italienisches Melos wie das Pathos des französischen Schauspiels, durch das er in besonderer Weise der Monumentalität des französischen Kaiserreichs gerecht zu werden suchte. Als Zeitgenosse von Bellini und Meyerbeer steht sein Stil mit wechselseitigem Einfluss für diese Epoche.

Sein Meisterwerk und sein größter Erfolg war die Oper La Vestale. Spontini stellte die Partitur bereits im Sommer 1805 fertig, musste zunächst aber gegen Intrigen von rivalisierenden Komponisten-Kollegen und führenden Mitgliedern der Pariser Opéra kämpfen. Die Premiere wurde möglich durch Spontinis Gönnerin, der Kaiserin Joséphine. Am 15. Dezember 1807 wurde La Vestale an der Pariser Académie impériale de Musique uraufgeführt. Die Oper war ein großer Erfolg und erlebte bis 1830 allein in Paris mehr als 200 Aufführungen. Die Geschichte erinnert wohl nicht ganz zufällig an Bellinis Norma:

Nichts könnte dem Liebesglück von Julia und Licinius mehr entgegenstehen, als der junge Heerführer nach errungenem Sieg über die Gallier endlich nach Rom zurückkehrt. Schließlich war er nur für seine Julia in die Schlacht gezogen. Nun muss er erkennen, dass sie inzwischen als Priesterin der Vesta ein Keuschheitsgelübde abgelegt hat, auf dessen Bruch der Tod steht. Als ihr heimliches Treffen entdeckt wird, soll Julia lebendig begraben werden. Licinius gibt sich öffentlich zu erkennen, um statt ihrer bestraft zu werden. Julia jedoch leugnet ihre Liebe und ist bereit zu sterben. Erst ein Zeichen der Göttin rettet ihr das Leben.

Mit einer herausragenden Besetzung und einer eindrucksvollen musikalischen Interpretation gerät dieses Werk zu einem Kleinod, das zu Unrecht in Vergessenheit geraten ist. Maria Agresta als die junge Vestalin Julia gibt ein fulminantes Debüt an der Semperoper. Die junge Sopranistin begeistert durch eine hochklassige gesangliche Interpretation, die vor allem die lyrisch-seelenvollen Akzente betont, ohne sich je in Sentimentalität zu verlieren. Neben einem wunderbaren und technisch einwandfreien Piano bietet sie in den dramatischen Stellen leuchtende und klare Höhen. Ihre große Arie aus dem zweiten Aufzug ist einer der Höhepunkte dieser Aufführung, mit bestechenden Phrasierungen und Bögen. Insgesamt eine elegante und auf Legatoeffekte bedachte Darbietung. Christopher Magiera als römischer Feldherr Licinius besticht durch baritonale Noblesse und Eleganz, ohne die Leidenschaft und die Verzweiflung dieser Figur zu unterdrücken. Sein Duett mit Maria Agresta ist Belcanto-Gesang in seiner reinsten Form. Eine positive Überraschung ist Francisco Araiza in der Rolle des Cinna, dem Freunde Lucinius. Sein Tenor hat immer noch diesen besonderen Schmelz und die Strahlkraft, die ihn einst zu einem der führenden Tenöre im italienischen und französischen Fach gemacht haben, und sein Duett mit Magiera lässt das Freundschaftsduett aus Don Carlos im späteren Verdi schon erahnen. Andreas Bauer gibt den Oberpriester mit wuchtigem und dennoch sonorem Bass und verleiht dieser harten und unnachgiebigen Figur etwas Adeliges in ihrem Ausdruck. Tichina Vaughn als Oberpriesterin der Vestalinnen beeindruckt durch ihren voluminösen und warmen Mezzo-Sopran, der stimmlich ideal mit dem Sopran der Maria Agresta harmoniert. Tomislav Lucic schließlich als Oberster Haruspex/Konsul lässt mit markantem Bass aufhorchen.

Der Sächsische Staatsopernchor ist von Pablo Assante punktgenau einstudiert, die Wechsel zwischen lyrischer Anteilnahme und dramatischem Schuldspruch werden exakt herausgearbeitet. Altmeister Gabriele Ferro am Pult der Sächsischen Staatskapelle adelt diese Aufführung durch seine enorme Detailkenntnis des Werkes und seiner jahrzehntelangen Erfahrung mit dieser Stilepoche. Ihm gelingt der Spagat zwischen Spontinis musikalischer französischer und italienischer Seele. Man spürt sowohl das Französische, die bei aller Beseeltheit klassische Form, die Klarheit und die fließende Disziplin, aber auch die italienisch-temperamentvolle, lyrisch-leichte und dabei kunstvolle Virtuosität dieser Musik, die durch den warmen Orchesterklang der Staatskapelle besonders gut zum Ausdruck kommt.

Das Publikum nimmt die Darbietung mit großem Beifall auf, doch leider ist die Semperoper nur mäßig besetzt. Schade, denn diese konzertante Darbietung ist ein musikalisches Kleinod und ein schöner Kontrapunkt im Wagner-Jahr.

Andreas H. Hölscher

Fotos: Semperoper/Opernnetz