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Fakten zur Aufführung 

TANNHÄUSER
(Richard Wagner)
31. Oktober 2013
(Premiere am 29. Juni 1997)

Semperoper Dresden


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Lust und Liebe der ungelöste Konflikt

Tannhäuser steht in einem immerwährenden gesellschaftlichen Konflikt seiner Zeit. Die reine keusche Liebe, im Minnesang gepriesen, gegen die lustvollen Ausschweifungen im Venusberg. Hier Elisabeth, dort Venus. Hier Tannhäuser, dort Wolfram und seine alten Weggefährten. Und dieser zentrale Konflikt der Oper Richard Wagners ist auch die große Herausforderung für jeden Regisseur und sein Team, die sich an den Tannhäuser wagen. In Dresden stehen zum Abschluss des Wagner-Jahres mit Tannhäuser und Tristan noch einmal zwei alte Inszenierungen auf dem Spielplan. Peter Konwitschnys Interpretation des Tannhäuser-Konfliktes ist nun schon über 16 Jahre alt, und es bleibt schlussendlich die Frage offen, ob die Deutung seiner Fassung heute noch bewegen kann. Konwitschnys Interpretation schwankt zwischen genialem Ansatz und Kasperletheater, zwischen emotionalen Bildern und Klamauk. Oft schrammt sein Ansatz am Werk vorbei, und nicht all seine Gedankengänge sind nachvollziehbar.

Während der Ouvertüre bleibt wohltuend der doppelte Vorhang geschlossen, erst zu den Anklängen des Bacchanals öffnet sich der vordere Teil, was durch die grandiose Lichtregie von Fabio Antoci zu einer optisch-musikalischen Symbiose gelingt. Tannhäuser, der Künstler, ist auf der Suche nach Wahrheit und existenziellen Erfahrungen aus der in ihren Konventionen und Etikette verfangenen höfischen Gesellschaft geflohen. Er findet Erfüllung in der antik-sinnlichen Welt des Venusberges. Doch der Traum vom ewigen sinnlichen Genuss gerät für Tannhäuser zum Alptraum, dem er entfliehen möchte. Der Venusberg wird durch eine halb geöffnete Schale als Symbol für den weiblichen Schoß charakterisiert, und die Sirenen, alle wie Venus im erotischen Rot gewandet, zerreißen Tannhäuser-Puppen unterschiedlicher Größe. Auch hier bemüht Konwitschny den Vergleich zum griechischen Mythos. Venus ist attraktiv, aber keine klassische Verführerin. Vergebens versucht sie, den Geliebten zu halten. Tannhäuser entzieht sich ihrem Reiz, doch sein Leiden, den Venusberg zu verlassen, kommt nicht wirklich rüber. Tannhäusers überdimensioniertes Schwert, wie auch später die Schwerter der Wartburg-Gesellschaft, ist Waffe, Kreuz und Phallus-Symbol zugleich. Ähnlich verhält es sich im Wiedersehen mit Landgraf Hermann und seinen Mannen. Sie sind eher gut bürgerlich gewandet, der Regisseur spielt hier bewusst mit den Zeitebenen, wohl um den zeitlosen Konflikt aufzuzeigen. Das Wiedersehen mit den alten Mitstreitern ähnelt einem alten Klassentreffen unter Jungs, die sich schon immer gut verstanden haben.

Die Halle im zweiten Aufzug ist ein eingeengter Holzraum mit einer Treppe im Hintergrund und einer ovalen Schiene im Vordergrund, Überbleibsel des Venusberges. Hartmut Beyer hat das Bühnenbild für diese Inszenierung geschaffen. Die Damen der Gesellschaft erscheinen in Blümchen-Kleidern im Stile der 1960-er Jahre, die Herren in einfachen Straßenanzügen, die von Ines Hertel entworfen sind. Das für jeden Gast ein mittelalterlicher Hut bereit liegt, ist auch wieder typisch Konwitschnys Zeigetheater. Seht her, wir sind ja eigentlich im Mittelalter. Elisabeth dagegen im strahlenden, unschuldigen Weiß, hin- und hergerissen zwischen den liebpreisenden Worten der Minnesänger und der allzu deutlichen Sprache Tannhäusers. Hier, im Sängerkrieg auf Wartburg, gewinnt die Inszenierung an Spannung und Dynamik, der Konflikt ist nun offenkundig ausgebrochen. Das Schlussbild des Aufzuges, wenn Tannhäuser Richtung Rom marschiert, gewinnt durch seine großartige Lichtregie. Das ist einer der wenigen genialen Momente in der Inszenierung von Konwitschny.

Im dritten Aufzug macht Konwitschny seinem Ruf alle Ehre. Die Pilger kehren zurück mit obskuren Brillen, und mutieren zum Schluss zu kampfesfreudigen Bürgern, die sich mit ihren überdimensionierten Schwertern wie auf einem Kreuzzug befinden. Elisabeth schneidet sich, in Wolframs Armen liegend, die Pulsadern auf, während dieser verträumt sein Lied an den Abendstern singt. Tannhäuser kehrt zurück und sinkt nach seiner grandiosen Romerzählung an Elisabeths Leiche nieder, nicht ohne sich vorher mit dem Schwert die Kehle aufzuschneiden. Ach ja, Venus kehrt auch noch mal zurück, betrunken, mit einer Flasche Schnaps in der Hand. Sie nimmt Wolframs Platz neben den beiden Leichen ein. Denkt Konwitschny da an Kundry, die für ihre Sünden büßt? Das Wolfram am Schluss auf der Holztreppe einem blauen Bühnenhimmel entgegen schreitet und ein überdimensionaler erblühter Hirtenstab kitschig hereinschwebt – geschenkt. Vielleicht hat das alles vor 16 Jahren große Kontroversen hervorgerufen, heute langweilt diese Interpretation. Dennoch, im Vergleich zu den diversen Wagner-Aufführungen in Bayreuth der letzten Jahre mit Bio-Gas- Anlagen im Tannhäuser, Ratten im Lohengrin oder Gummikrokodile im Siegfried ist dieser Tannhäuser wenigstens noch ästhetisch.

Auch sängerisch ist diese Vorstellung ein Abend der Gegensätze. Frank van Aken, kurzfristig für den erkrankten Jürgen Müller eingesprungen, singt die Titelpartie des Tannhäuser. Sein baritonal gefärbter Tenor ist kraftvoll in der Mittellage und ausdrucksstark in den Höhen und in den dramatischen Ausbrüchen. Mit großer Ausdauer bewältigt er diese Partie, seine Romerzählung ist von ergreifender Intensität. Am Schluss muss seine Stimme allerdings der kräftezehrenden Partie etwas Tribut zollen. Dennoch sind seine dramatische Ausdruckskraft und seine enorme Bühnenpräsenz in dieser Partie einmalig und gegen den momentanen Trend, alles sehr leicht zu singen, gerichtet. Schon jetzt darf sich Dresden auf seinen Tristan in gut zwei Wochen freuen.

Marjorie Owens in der Rolle der Elisabeth legt die Partie insgesamt zu dramatisch an, was insbesondere bei der Hallenarie und noch mehr bei ihrem Gebet im dritten Aufzug eine für die Elisabeth so typische innige Beseeltheit vermissen lässt. Unangenehm auch ihr starkes Vibrato. Michelle Breedt hat zwar ein warmes Fundament in ihrem Mezzosopran, doch ist die Stimme im Vergleich zu den anderen Protagonisten zu klein für die Rolle der Venus an diesem Haus, zudem sie sichtlich keine Bemühungen zeigt, auch nur etwas textverständlich zu singen, was auch bei dieser Partie durchaus möglich ist.

Christoph Pohl ist der herausragende Sänger dieses Abends. Er verkörpert die Rolle des Wolfram von Eschenbach mit lyrischem Bariton und hochkultiviertem Liedgesang und überzeugt durch stimmliche und darstellerische Präsenz. Im Sängerstreit ist er der Kontrapunkt zu Tannhäusers rauer Dramatik, und sein Lied an den Abendstern im dritten Aufzug ist der sängerische Höhepunkt dieser Aufführung.

Tilmann Rönnebeck gibt den Hermann mit markantem Bass-Bariton. Bernd Zettisch ist ein ausdrucksstarker Biterolf, und Christiane Hossfeld singt die Solostelle des Hirten mit nicht mehr ganz jugendlichem Sopran. Tom Martinsen als Walther von der Vogelweide, Timothy Oliver als Heinrich der Schreiber und Tomislav Lucic als Reinmar von Zweter ergänzen stimmharmonisch ein insgesamt starkes Sängerensemble.

Constantin Trinks leitet die Sächsische Staatskapelle Dresden mit großer Intensität. Schon im Vorspiel kommt der wunderbare, differenzierte und farbenreiche Klangkörper zur Geltung. Das Tempo ist moderat getragen, und die Sänger werden von Trinks durch präzise Einsätze und zurückgenommener Lautstärke im Orchestergraben freundlichst begleitet. Constantin Trinks leitet die sächsische Staatskapelle mit großem Engagement und Mut zum Forte, ohne die Sänger dabei zu überdecken. Insgesamt ist sein Dirigat unprätentiös und dem Werke dienend. Schon bei der Premiere des Fliegenden Holländer hat Trinks bewiesen, dass es neben Thielemann in Dresden auch noch einen anderen Dirigenten gibt, dessen Wagner-Interpretation sich auf höchstem Niveau bewegen. Der sächsische Staatsopernchor Dresden ist von Pablo Assante hervorragend eingestimmt und begeistert durch klaren Ausdruck und Intensität, aus dem besonders die Tenöre prägnant hervorstechen. Insbesondere die beiden Pilgerchöre und der Schluss werden mit tiefer Leidenschaft und großem Pathos gesungen.

Am Schluss gibt es großen Jubel für Sänger, Chor und Orchester aus dem Publikum, und besonders Constantin Trinks und Christoph Pohl dürfen die Ovationen entgegen nehmen. Leider waren wieder viele Bronchialrüpel in dieser Vorstellung, die einen ungetrübten Hörgenuss, vor allem im dritten Aufzug, unmöglich machten. Auch wenn es musikalisch und sängerisch bis auf wenige Einschränkungen ein herausragender Abend war, so muss man dennoch die Frage stellen, wie lange diese Interpretation von Konwitschny noch auf dem Spielplan stehen wird. Es ist Zeit, über eine Neuinszenierung dieses Werkes, das ja in Dresden uraufgeführt wurde, nachzudenken.

Andreas H. Hölscher

Fotos: Matthias Creutziger