Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

SILVESTERKONZERT DER STAATSKAPELLE DRESDEN
(Sächsische Staatskapelle Dresden)
30. Dezember 2013
(Premiere)

Semperoper Dresden


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort



 

zurück       Leserbrief

Vom Ku'damm zum Broadway

Zum vierten Mal in Folge verabschiedet die Staatskapelle Dresden mit Christian Thielemann das alte Jahr. Standen in den Jahren zuvor Melodien der silbernen Operette auf dem Programm, gibt es in diesem Jahr eine musikalische Reise von Berlin nach New York, vom Ku’damm an den Broadway. Bekannte Melodien aus Film, Operette und Musical sollen für einen beschwingten Abend sorgen. Und mit zwei Ausnahmekünstlern wie der amerikanischen Sopranistin Renée Fleming und dem Tenor Klaus Florian Vogt, „Echo-Klassik-Preisträger“ und Sänger des Jahres 2012, sind die Zutaten für ein schwungvolles und mitreißendes Konzert ja gegeben. „Wer die Lustige Witwe dirigieren kann, der braucht sich vor dem Tristan, zumindest was das reine Handwerk anbelangt, nicht zu fürchten“, sagt Christian Thielemann, bekennender Anhänger der Operette mit Berliner Wurzeln. Gilt das auch analog für die Sänger? Wer einen Lohengrin oder eine Marschallin singen kann, der kann auch Operette singen? Diese Logik funktioniert nicht immer, und das scheinbar Leichte ist verdammt schwer. Der Abend zeigt es. Das Interesse an diesem Konzert ist riesig, neben der Live-Übertragung am Silvesterabend im ZDF wird das Konzert in 27 Ländern ausgestrahlt und erscheint natürlich in Kürze als CD und DVD.

Das Programm ist vielversprechend und überrascht mit bekannten, aber auch weniger bekannten Melodien, die den Charme der zwanziger Jahre in Berlin wie den Jazz und Swing der 1930-er bis 1950-er Jahre des Broadways verkörpern. So sind die bekanntesten Vertreter der Berliner Operette Paul Lincke und Eduard Künnecke. Doch nicht Linckes Frau Luna steht auf dem Programmzettel, sondern mit der Ouvertüre zu seiner heute fast unbekannten Operette Grigri eröffnet Thielemann den Reigen heiterer und beschwingter Melodien. Es ist ein schwungvoller Auftakt mit pfiffiger Melodie, etwas melancholisch im Mittelteil, und markiert den Übergang vom Zeitalter der silbernen Operette hin zur musikalischen Berliner Schnauze.

Klaus Florian Vogt wagt sich als erstes an den vielleicht größten Filmhit aller Zeiten: Ein Lied geht um die Welt von Hans May aus dem gleichnamigen Film. Vor 80 Jahren errang damit der begnadete Tenor Joseph Schmidt Weltruhm, bevor ihn die Nazis anschließend zerstörten. Und wer dieses Lied und diese Stimme im Kopf hat und dann den Auftritt von Klaus Florian Vogt erlebt, der kann eigentlich nur fassungslos sein. Mit enger Stimmführung, forcierenden Höhen und vor allem ohne Ausdruck und Farben singt Vogt das Lied herunter. Sein Auftritt gleicht eher einem Chorknaben beim Schulabschlusskonzert als dem eines sogenannten Ausnahmesängers. Vogt kennt nur eine Stimmlage, seine musikalische Interpretation ist einfach langweilig, alles hört sich gleich bei ihm an. Das gilt für alle seine Lieder an diesem Abend. Ob Ich bin nur ein armer Wandergesell aus Künneckes Vetter aus Dingsda, ob Blume von Hawaii von Paul Abraham, oder Maria aus der West Side Story, es klingt alles fad und uninspiriert, ohne Ausdruck und ohne verführerischen Schmelz. Und als Zugabe sich mit Richard Taubers Du bist die Welt für mich zu messen, das ist mutig, denn von einem Tauber ist Vogt Welten entfernt. Im Duett mit Renée Fleming kann er auch nur wenig punkten, zu ungleich und disharmonisch ist das Paar. Lediglich in der letzten Zugabe Anything you can von Irving Berlin aus dem Musical Annie Get Your Gun lässt Vogt ahnen, dass er auch etwas Ausdruck hat, indem er auf Flemings Avancen eingeht. Wenn ein Sänger in den Medien als Ausnahmekünstler gefeiert und mit Preisen überhäuft wird, dann muss auch der Vergleich zu den großen Sängern dieses Genre gestattet sein. Joseph Schmidt, Jan Kiepura, Peter Anders, Rudolf Schock, Heinz Hoppe und Fritz Wunderlich, sie alle haben die Operette geprägt und sängerische Maßstäbe gesetzt, weil sie der Operette stimmlich Seele und Gefühl verliehen haben. Bei Vogt: Fehlanzeige.

Renée Fleming tut sich anfangs des Konzertes ebenfalls schwer. Für Robert Stolz Du sollst der Kaiser meiner Seele sein fehlt ihr die Leichtigkeit in der Stimme, der beseelte Ausdruck. Und trotz Teleprompter hat sie Textschwierigkeiten, ihr Deutsch ist nach wie vor nicht gut verständlich, was bei der Operette aber besonders wichtig ist. Auch das Duett Zwei Herzen im Dreivierteltakt mit Klaus Florian Vogt ist keine champagnerverliebte Walzerseligkeit, sondern harte Arbeit. Der Wechsel zum Broadway, zu Gershwin und Frederick Loewe liegt ihr besser, hier kann sie ihrem Temperament freien Lauf lassen, hier fühlt sie sich sicher. Sie spielt und flirtet mit dem Publikum, bringt Farbe und Ausdruck in den Gesang, und es ist klar, Fleming ist wirklich in jeder Hinsicht eine große Diva. Großartig ihre Interpretation von Kurt Weills Foolish Heart, beschwingt als Zugabe ihr Fascinating Rhythm von George Gershwin.

Der Staatsopernchor, wie immer gut eingestellt von Pablo Assante, ist an diesem Abend eher nur Staffage, darf zweimal die Solisten begleiten. Lediglich in Gershwins Dancing in the Streets kann der Chor zeigen, dass er den Swing des amerikanischen Musicals genauso beherrscht wie Wagners Pilgerchor.

Die Sächsische Staatskapelle Dresden unter Christian Thielemann spielt einen heiteren, einen beschwingten und pfiffigen Sound. Großartig die Interpretation von Künneckes Intermezzo aus der Tänzerischen Suite. Als ob sie nie etwas anderes gespielt hätten, ertönen Jazzklänge vom Feinsten. Und das Thielemann gerne zu seinen Berliner Wurzeln zurückkehrt, ist für jeden bei Paul Linckes Marsch Berliner Luft hörbar. Ob man will oder nicht, man muss einfach mitklatschen, weil Thielemann hinreißend dirigiert. Doch er ist vor allem ein wunderbarer Begleiter, insbesondere Renée Flemming trägt er förmlich auf Händen und zügelt seine Musiker, wenn sie einmal zu laut werden. Und der musikalische Schluss ist ein Schmankerl, ein Gruß von der Elbe an die Donau, von Dresden nach Wien. Was den Wienern beim Neujahrskonzert als letzte Zugabe der Radetzky-Marsch ist, kann den Dresdnern Johann Strauß Sohns Sachsen-Kürassier-Marsch op.113 werden, den Strauß einst selbst in Dresden aufgeführt hatte.

Das Publikum ist sichtbar begeistert, wurde aber vor der Vorstellung von ZDF-Musikredakteur Tobias Feilen inbrünstig animiert, nach jeder Nummer lautstark zu jubeln, einschließlich Probeapplaus. Hatte er etwa Sorge, dass der eine oder andere Zuschauer sich von der Darbietung nicht hinreißen lassen würde? Aber es geht ja auch um Quote und Verkauf, da muss alles passen, auch der Applaus. Und das Leichte kann manchmal verdammt schwer sein.

Andreas H. Hölscher

 

Fotos: Matthias Creutziger