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Fakten zur Aufführung 

LE NOZZE DI FIGARO
(Wolfgang Amadeus Mozart)
30. August 2013
(Premiere am 22. Januar 2006)

Semperoper Dresden


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Behäbiges Verwirrspiel

Es könnte alles so schön sein: Die Hochzeit des Dienerpaares Figaro und Susanna steht kurz bevor, Figaro nimmt bereits die Maße für das Ehebett – wären da nicht der liebeslüsterne Graf Almaviva, der Susanna seit langem nachstellt und versucht, die Hochzeit hinauszuzögern, während er gleichzeitig seine eigene Frau in rasender Eifersucht in flagranti zu ertappen hofft. Dann das Problem mit Marcellina, die auf einen Vertrag pocht, in dem Figaro sich einst verpflichtet hatte, sie zu heiraten. Die emotional hoch aufgeladene Situation droht komplett zu entgleiten, da der liebestaumelnde pubertierende Page Cherubino immer im falschen Moment allen Frauen seine Avancen macht und den Grafen dabei schier zur Verzweiflung treibt. Und der biedere Figaro merkt erst sehr spät, welche Spielchen um ihn herum getrieben werden. Im Vordergrund steht das komödiantische Wechselspiel von Verliebtheit und Enttäuschung, von Begierde und Verzweiflung, von Lust und Frust, von Eifersucht und Intrige. Kurzum, alle menschlichen Abgründe tun sich auf, und werden doch nur an der Oberfläche betrachtet.

Das sind die Zutaten für einen komödiantisch-intriganten „tollen Tag“ und die Garantie für einen kurzweiligen und mitreißenden Opernabend. Doch die 61. Repertoirevorstellung seit der Premiere vor über siebeneinhalb Jahren lässt all diese Attribute vermissen.

Regisseur David Mouchtar-Samorai und Bühnenbildner Heinz Hauser zeigen Le Nozze di Figaro auf einer schlichten, aber funktionalen Bühne mit drei Wänden, einem Treppenaufbau und diversen Raumteilern, was für die Spannungsmomente dieser Inszenierung leider nicht von Vorteil ist. Die Kostüme von Joachim Herzog sind eher schlicht und lassen sich in ein biederes Bild des späten 19. Jahrhunderts einordnen. Eine Personenregie, die ein aufwändiges Bühnenbild überflüssig macht, ist allerdings nicht vorhanden, die Protagonisten sind auf sich gestellt. Die Beziehungsgeflechte zwischen den einzelnen Akteuren untereinander sind manchmal nur angedeutet. Dem Grafen fehlt jene Dominanz, die ihn auch so erotisierend macht. Er ist mehr der Typ Möchtegern, dem alle auf der Nase rumtanzen, und er sich noch nicht einmal dagegen wehrt. Figaro wirkt behäbig, ohne wirkliches Interesse an seiner Susanna. Diese wiederum versucht, mit faxenreicher Mimik und Gestik so etwas wie die Fäden in der Hand zu halten. Lediglich die Gräfin strahlt etwas Noblesse und Grandezza aus. Das Ergebnis ist eine uninspirierte und langweilige Darbietung dieses ansonsten so komödiantischen Stückes. Die deutschen Übertitel von Hans-Georg Wegner lassen ebenfalls den so wichtigen Wortwitz im Originaltext nicht zur Geltung bringen, was die Langeweile nur noch verstärkt.

Auch bei der Darbietung der Sänger gibt es an diesem Abend Licht und Schatten. Tomislav Lucic gibt den Figaro in Spiel und Gesang als biederer Langweiler, dem man das Liebesglück mit Susanna nur schwer abnimmt. Sein Bariton ist zwar durchaus schmeichelnd, doch es gelingt ihm nicht, die Hauptfigur dieses Stückes überzeugend darzustellen. Sein Se vuol ballare, Signor Contino fordert den Grafen nicht wirklich zum Tanze auf. Carolina Ullrich als Susanna hat ebenfalls so ihre Schwierigkeiten mit der Rolle. Zwar lenkt sie das Spiel von Begierde und Zurückweisung geschickt bis hin zum großen Finale, doch fehlt es ihrem schlanken Sopran an Ausdruck und Durchschlag. Und nur facettenreiche Mimik und Gestik reicht nicht aus, um das psychologische Beziehungsgeflecht der Akteure untereinander zu charakterisieren. In den Ensembleszenen ist sie fast gar nicht zu hören, was nicht nur am stellenweise zu lauten Orchester liegt. Ihr durchaus interessanter Sopran kommt lediglich in ihrer großen Rezitativ-Arie Giunse alfin il momento – Deh, vieni, non tardar, oh gioia bella im vierten Akt zur Geltung, die sie mit großer Innigkeit und Wohlklang an der Rampe gestaltet.

Markus Butter als Graf Almaviva ist leider nicht der Verführer par excellence, dem man seine schmeichelnden Liebesschwüre als auch seine rasende Eifersucht abnimmt. Sein galanter Bariton entfaltet sich lediglich in der großen Entbehrungsarie Vedrò mentr’io sospiro im dritten Akt. Doch sein größter Moment ist zweifelslos die Schlussszene, wo er seine Frau um Verzeihung bittet. Hier weicht der überhebliche Habitus einer tiefen menschlichen Geste. Ute Selbig als Gräfin Almaviva überzeugt darstellerisch als eine in der Liebe vernachlässigte und in ihrem Gefühlsleben gekränkte Persönlichkeit, die zu Recht um die anhaltende Liebe und Begierde ihres Gatten bangt. Sängerisch liegen ihre Stärken in den leisen, lyrischen und innigen Momenten, während die Stimme in ihren Ausbrüchen und in den intensiven Höhen leuchtend klar erklingt. Ihre Auftrittsarie Porgi, amor, qualche ristoro im zweiten Aufzug ist voller Innigkeit und Beseeltheit, während ihre große Arie   Dove sono i bei momenti im dritten Aufzug zum musikalischen Höhepunkt mit kunstvollen Verzierungen und Phrasierungen gelingt. Zu Recht erhält sie dafür großen Szenenapplaus.

Christel Lötzsch als Cherubino überrascht als lüsterner und ständig grabschender pubertierender Page, vor dem kein Rockzipfel, vor allem aber keine Brust sicher ist. Ihrem jungen Mezzosopran fehlt es noch etwas an Intensität und Durchschlagkraft, doch verfügt sie bereits über ein warmes und tiefes Fundament. Andrea Ihle gibt die Marcellina mit immer noch ausdrucksstarkem Sopran und sicherem Spiel. Michael Eder überzeugt als Bartolo mit markantem Bass. Seine Rachearie La vendetta, oh, la vendetta! gelingt ihm mit großem Ausdruck. Mert Süngü ist mit seinem italienisch anmutenden Tenor als Don Basilio stimmlich gut besetzt. Auch die junge Norma Nahoun lässt mit ihrem Kurzauftritt als Barbarina aufhorchen. Stimmlich und spielerisch kann man sie sich schon jetzt als Susanna vorstellen, vielleicht eine Option für die Zukunft? Christopher Kaplan als Don Curzio und Julian Arsenault als Gärtner Antonio können keinen bleibenden Eindruck hinterlassen.

Der Sächsische Staatsopernchor, einstudiert von Christof Bauer, ist stimmlich gut präsent, doch darstellerisch ist dem Regisseur dazu leider nichts eingefallen. Und das zum Fandango am Schluß des dritten Aufzuges simpler Rock’n Roll im Rotlicht getanzt wird, hilft weder dem Chor noch der Inszenierung. Die Sächsische Staatskapelle Dresden unter der Leitung von Josep Caballé-Domenech spielt einen anfangs leichten, luftigen Mozart. Schon das Vorspiel beginnt durchaus vielversprechend, ist spritzig und rasant. Doch im Laufe der Vorstellung fällt das Niveau, teilweise ist die Musik zu laut, teilweise klappert es mit dem Ensemble, und es gibt einfach zu viele Verspieler. Die sonst so sinnliche und erotisierende Musik Mozarts ist wenig transparent, es fehlen die schwungvollen Bögen und Phrasierungen, die die Aufführung normalerweise zu einem kammermusikalischen Genuss geriert. Es bleibt abzuwarten, wie Caballé-Domenech die Premiere der Oper Carmen an der Semperoper Ende September dirigieren wird. Herauszuheben ist Clemes Posselt am Hammerklavier, der die Rezitative kunstvoll untermalt.

Das Publikum ist während der Aufführung sehr sparsam mit dem für Mozartopern typischen Szenenapplaus. Am Schluss gibt es zwar großen Beifall für die Sänger, doch Enthusiasmus sieht anders aus. Die Gründe mögen vielfältig sein, aber eine schwache und langweilige Inszenierung wirkt sich natürlich auf die Sänger und ihre Darbietung aus. Schade, ohne Witz und Esprit gibt es selbst bei Mozart keinen „tollen Tag“.

Andreas H. Hölscher

Fotos: Matthias Creutziger