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Fakten zur Aufführung 

MANON LESCAUT
(Giacomo Puccini)
2. März 2013
(Premiere)

Semperoper Dresden


Points of Honor                      

Musik

Gesang

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Sehnsucht nach Idealisierung

Es ist ein Abend voller Gegensätze und unvermuteter Wendungen, die das Publikum spalten und für eine Menge Diskussionsstoff sorgen. Regisseur Stefan Herheim begibt sich mit seiner Interpretation des Stücks Manon Lescaut von Giacomo Puccini auf eine Zeitreise, versetzt es in das Atelier des Künstler Frédéric-Auguste Bartholdi, dem Erbauer der Freiheitsstatue. Und der Komponist Giacomo Puccini selbst begleitet den Abend als eine Art stummer Impresario, der im Hintergrund die Fäden zieht, dirigiert, leidet und unerbittlich sein Werk vollendet sehen will. Diese beiden Künstler wollen ihren Traum verwirklichen. Modelle der Freiheitsstatue deuten darauf hin, dass am linken Bühnenrand Bartholdi an seinem Entwurf Statue arbeitet. Dieser Bartholdi ist Des Grieux, der sich in Manon verliebt und im Verlaufe des Abends ein idealisiertes Frauenbild auf sie projiziert, das mit der eigentlichen Opernvorlage nichts mehr zu tun hat.

Dahinter, zunächst durch einen Vorhang noch verdeckt, liest Puccini in einem Buch, dem er den Stoff für eine Oper entnehmen will. Es ist die literarische Vorlage des Romans Histoire du Chevalier Des Grieux et de Manon Lescaut von Abbé Prevost. Puccini hat für dieses Werk keine Ouvertüre komponiert. Musikalisch beginnt das Werk mit dem Intermezzo, das eigentlich vor dem dritten Akt Manons Gefangenschaft und ihre Reise nach Le Havre schildert.

Herheim wählt eine komplizierte Verstrickung der im 18. Jahrhundert angesiedelten Handlung mit einem Rahmen aus dem 19. Jahrhundert, in welchem Puccini seinen Opernfiguren begegnet. Dass er seiner Manon den Tod am Schluss nicht ersparen kann und will, wenn sie ihr flehentliches No!, non voglio morire…amore, aita! vergeblich dem Komponisten zuschreit, dann ist das eine ausdrucksstarke Szene. Doch Puccini ist unerbittlich, sein Werk muss nach seinen Vorstellungen vollendet werden, Manon muss sterben.

Als komplexes Symbol zieht sich die Freiheitsstatue durch die Handlung, deren kleiner Entwurf ebenso zu sehen ist wie große, bühnenfüllende Teile von Fackel oder Kopf. Wenn Manon davon singt, dass ihre Sehnsucht unendlich ist und sich dabei die Krone der Statue aufsetzt, so ist das ausdrucksstark. Ein beeindruckendes Bild sind die gefesselten Mädchen auf dem Eisengerüst, die auf ihre Abschiebung nach Amerika warten. Während in der Oper die Neue Welt für das Ende und den Tod stehen, kehrt sich das hier um, und die Freiheitsstatue erscheint als neues Symbol für Aufbruch und Hoffnung. So dominiert das für Herheim typische Ineinanderfließen unterschiedlicher Zeiten und Motive den Abend. Trotz der vielen Bilder ist es eine kühle und rationale Erzählung, die nicht wirklich berührt und viele Fragezeichen hinterlässt.

http://squid.diepresse.com/RealMedia/ads/adstream_lx.ads/diepresse.com/kultur/news/L13/565187698/Middle2/diepresse/default_middle2_221112/default_middle1_040709.html/73686a6f6c56457a524d494143782f4d?_RM_EMPTY_&1298385&width=1440&thema=&type=articleHeike Scheele hat das aufwändige Bühnenbild kreiert, Teile der Freiheitsstatue in verschiedenen Größen opulent gestaltet und mit vielen Gerüsten ausgestattet, die genug Platz für die Chorszenen bieten. Die Kostüme von Gesine Völlm bieten optisch eine Zeitreise durch die Jahrhunderte, vom französischen Rokoko bis hin zum Arbeiterlook am Ende des 19. Jahrhunderts, der Uraufführung des Werkes und der Entstehung der Freiheitsstatue. Fabio Antoci hat zu diesen Bildern ein optisch passendes Lichtdesign entworfen.

Auch die sängerische Leistung ist voller Gegensätze. Norma Fantini interpretiert die Titelpartie nicht als junges, glutvolles Mädchen voller Leidenschaft. Sie ist mehr die nüchtern und kühl abwägende Frauengestalt, der die emotionale, berührende Gefühlswelt der Manon Lescaut fehlt. Ihr Timbre ist etwas zu dramatisch für diese Gestalt, die Spitzentöne klingen metallisch scharf, und man hat das Gefühl, die Fantini ist stimmlich deutlich über diesem Fach. Sie ist mehr Tosca als Manon, und deshalb berührt ihr Gesang an diesem Abend nicht so, wie man es von dieser Partie eigentlich erwartet. Eine katastrophale Leistung liefert an diesem Abend Thiago Arancam als Des Grieux ab. Seine stimmliche Darbietung wirkt kehlig, da fehlen jegliche Geschmeidigkeit und tenoraler Schmelz. Schon seine erste große Arie, Donna non vidi mai…, klingt angestrengt, die Spitzentöne sind nur durch einen Kraftakt erzeugt, und im großen Duett mit Manon am Ende des zweiten Aufzugs werden die stimmlichen Defizite immer deutlicher. Ob es eine Erkältung ist, eine Überprobung oder einfach nur eine schlechte Gesangstechnik - diese gesangliche Leistung eines international renommierten Tenors ist der Semperoper nicht würdig. Wenn er an diesem Abend indisponiert ist, warum kündigt die Leitung des Hauses das nicht an? Wenn er nicht indisponiert war, dann muss man die Besetzungspolitik des Hauses hinterfragen.

Dafür retten die anderen Sängerdarsteller den Abend, allen voran Christian Pohl als Manons Bruder Lescaut. Mit wohlklingendem Bariton und nuancenreicher Phrasierung gestaltet er diese Partie. Maurizio Muraro gibt mit kräftigem Bass und starkem Spiel den schmierigen Geronte. Der Tenor Giorgio Berrugi in der Dreifachrolle als Edmondo, Tanzmeister und Laternenanzünder überzeugt mit tenoralem Schmelz und einer angenehmen Leichtigkeit im Spiel. Scott Conner, ebenfalls in einer Dreifachrolle als Wirt, Sergeant und Schiffskapitän lässt mit seiner jungen Bass-Stimme aufhorchen.

Der spielfreudige Chor unter der Leitung von Pablo Assante ist gesanglich vorzüglich eingestimmt. Die sächsische Staatskapelle Dresden spielt einen entschlackten Puccini ohne große Sentimentalität. Christian Thielemann am Pult führt die Musiker mit zügigen Tempi durch die Partitur. Neben kammermusikalischen Feinheiten gibt es immer wieder differenzierte, klangfarbenreichen Phrasierungen, auch wenn die sonst so typischen weiten Bögen und Rubati fehlen. Und so springt der letzte leidenschaftliche Funken auch nicht aus dem Orchestergraben über. Es fehlt die glutvolle, ja manchmal auch laszive Puccini-Stimmung.

Am Schluss ist das Publikum in seiner Reaktion gespalten. Zunächst gibt es nur verhaltenen Applaus. Thiago Arancam muss einen Sturm von Buh-Rufen ertragen. Beim Regieteam gibt es zwei Lager. Totale Ablehnung und großer Jubel halten sich in etwa die Waage, während die anderen Protagonisten, vor allem Norma Fantini, mit großem Applaus bedacht werden. Einen Punkt darf man bei allem Verständnis für modernes Regietheater und neuen Interpretationen nicht außer Acht lassen. Stefan Herheims intensive Beschäftigung mit Puccinis Biographie verlangt für das Verständnis dieser Inszenierung vom Publikum Detailkenntnis des Lebens und des Werkes des Komponisten.

Wenn man allerdings bei Puccini emotional nicht mehr berührt wird, dann stimmt etwas nicht. Und das ist die eigentliche Tragödie des Abends.

Andreas H. Hölscher

 

Fotos: Matthias Creutziger