Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

DIE LUSTIGE WITWE
(Franz Lehár)
21. Dezember 2013
(Premiere am 21. Dezember 2007)

Semperoper Dresden


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort



 

zurück       Leserbrief

Fade Revueshow

Die Semperoper Dresden schreibt in der Inhaltsangabe zu ihrer Inszenierung Die Lustige Witwe: „Bis heute besticht das Werk durch seine Frische, Lebenslust und Erotik, die bereits ein Jahr nach der Uraufführung Felix Salten zur folgenden Äußerung hinreißen ließ: ‚Lehárs Musik ist heiß von dieser offenen, verbrühenden Sinnlichkeit; ist wie erfüllt von geschlechtlicher Wollust.‘ Wenn so die Begegnung mit dem Untergang aussieht, dann ist Pontevedro noch lange nicht verloren.“ So weit, so gut. Und so erwartet man in einem Haus wie der Semperoper ein zündendes Feuerwerk an Musik, an komödiantischem Spiel, aber auch an Melancholie und Tiefgang. Geht es bei allem Beiwerk letztendlich um die unerfüllte Liebe zweier stolzer und eitler Menschen, die erst ganz spät wirklich zusammenfinden. Wer nun hoffnungsfroh und voller Erwartung eine Karte erstanden hat, wird tief enttäuscht. Es sei denn, man gibt sich mit einer Nummernrevue à la Hollywood zufrieden, dann kommt man auf seine Kosten, und das scheint an diesem Abend, genau sechs Jahre nach der Premiere, das Gros des Publikums zu sein.

Für Regisseur Jérome Savary weckt Die Lustige Witwe Erinnerungen an die guten alten Zeiten Hollywoods. „Die Musik ähnelt so sehr den Melodien der großen amerikanischen Liebesfilme, den Musiktheaterstücken des goldenen Zeitalters und der Seifenopern.“ Pardon, aber vielleicht hat Franz Lehárs Musik dieses Zeitalter erst ermöglicht. Und so macht Savary aus der wohl populärsten Operette eine billige Seifenoper, mehr noch: eine fade Nummernrevue, in dem die wunderschönen Melodien abgespielt oder besser abgespult werden. Dafür sind die Dialoge neu geschrieben, elendig lang und langweilig, und man kann sich des Gefühls nicht erwehren, ständig auf die Uhr zu schauen, wann dieses öde Stück endlich vorbei ist. Die Intention eines Regisseurs, Charaktere und Entwicklungen zu inszenieren, ist nicht erkennbar. Savarys Vorstellungen von Revue, Spaß und Unterhaltung sind aber so fad und verklemmt, dass sie nur den Zuschauer erreichen, der Operettenklamauk im Sinne eines Komödienstadls versteht.

Doch Savary bedient nicht nur die typischen zotigen Operettenklischees. Er will auch politisch sein. Natürlich ist Pontevedro eine Militärdiktatur moderner Zeit auf dem Balkan. Auf dem überlebensgroßen Porträt des Staatspräsidenten, dem zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit gehuldigt wird, kann man mit etwas Phantasie auch Tito erkennen. Und dass der Folklore-Tanz im zweiten Aufzug als Videobotschaft im Kino mit Durchhalteparolen wie in der Wochenschau fürs Volk übertragen wird, das ist grenzwertig. Richtig peinlich wird es aber, wenn die Glawari ihr Vilja-Lied singt, und dabei liebevoll ein Roma-Kind streichelt, während die Mutter mit einem Bettelschild daneben steht. Ach ja, es gibt ja noch den Konflikt zwischen Armut und Reichtum. Das muss ja auch noch irgendwie verpackt werden. Und so dümpelt diese Inszenierung vor sich hin und stolpert von einer Peinlichkeit in die nächste. Vervollständigt wird diese Groteske durch die Bühnenbilder von Ezio Toffolutti. Der lässt es richtig krachen. Ein blinkender Eiffelturm, ein Hubschrauber, mit dem die Glawari einfliegt, eine überdimensionierte Hand als Kunstwerk im ersten Aufzug. Ein frivoles Kussmund-Sofa, aus dem die halbnackten Grisetten herausschlüpfen. Optisch nett anzusehen, aber frivole Erotik geht anders. Lediglich das „Maxim“ im Schlussbild hat einen Hauch von Art Deco und versöhnt etwas. Passend dazu die Kostüme von Michel Dussarrat. Generalsuniformen dominieren, und das Ballett tritt im Kampfanzug mit Stechschritt wie Partisanen auf. War ja zu erwarten. Dass sich Valencienne in ein hautenges Camouflage-Kleid zwängen muss, übertrifft dann schon jede Form des guten Geschmacks. Höhepunkt der Peinlichkeit ist dann das „Weiber-Septett“, sieben Herren in Uniform, angeführt vom Faktotum Njegus als Diktator im Ballettröckchen mit homoerotischen Andeutungen.

Die Damen und Herren des Deutschen Fernsehballetts dürfen auch noch ran mit einer zwar sehenswerten Can-Can-Nummer, doch gehört diese Einlage nicht zum Werk, und zum anderen nervt das ständige Gekreische der Damen. Wir sind immer noch bei Lehár und nicht bei Offenbach. Und die Witwe ist natürlich eine überkandidelte Tussi, die jetzt in Hollywood lebt und entsprechende Allüren angenommen hat. Was findet Danilowitsch eigentlich an ihr? Fragen über Fragen!

Musiziert und gesungen wird aber auch noch. Vanessa Goikoetxea, für die erkrankte Rachel Willis-Sorensen eingesprungen, gibt musikalisch ein ordentliches Debüt in dieser Rolle. Strahlende Höhen, schöne Piano-Töne verleihen der Hanna Glawari Eleganz und Ausstrahlung. Lediglich ihr schwerer amerikanischer Dialekt macht den Sprechtext teilweise unverständlich. Christopher Magiera gibt den Grafen Danilo Danilowitsch mit schmeichelndem Bariton liebevoll dandyhaft. Carolina Ullrich wirkt als Valencienne etwas aufgepeppt, besticht durch eine gute Bühnenpräsenz. Lediglich die Höhen werden durch ein zu starkes Vibrato in der Stimme getrübt. Aaron Pegram überzeugt als Camille de Rosillion mit schmachtenden Höhen und charmantem Tenor. Gerd Vogel als Baron Mirko Zeta muss die endlosen Dialoge herunterspulen und macht das ordentlich. Ahmad Mesgarha als Njegus ist ein Slapstick-Komiker, der professionell alle Schubladen mit Zoten und Grimassen bedient.

Der von Pablo Assante einstudierte Chor ist stimmlich präsent, doch leidet auch er unter der einfallslosen Regie. Immer dieselben Positionen inklusive Schunkeln und Fähnchen schwenken sind etwas wenig. Musikalisch klappert es ganz schön im Orchestergraben. Alexander Joel hat da so seine Mühen, Orchester und Ensemble zusammen zu halten. Da sind einige Einsätze unpräzise. Und Walzerseligkeit erklingt aus dem Graben auch nicht gerade. Die Tempi wechseln zu schnell, und das Filigrane an Lehárs Musik kann sich nicht entfalten. Sehr schön aber seine Begleitung beim Vilja-Lied und beim großen Duett Lippen schweigen.

Das Publikum scheint das alles nicht zu stören. Es ist begeistert, klatscht die eine oder andere Nummer mit. Ein einzelner Zuschauer kann seine Begeisterung gar nicht zügeln und klatscht zu jeder Nummer in die Musik und animiert ein Publikum, das lautstark das Geschehen kommentiert, zum Mitklatschen und Schenkelklopfen.

Was hat die Semperoper noch zur Lustigen Witwe geschrieben: „Der erste Akt charakterisiert die elegante Pariser Klangwelt mit berauschenden Walzerthemen, der zweite Akt ist von Folklore in ihrer ganzen Buntheit erfüllt, und der dritte Akt parfümiert musikalisch die frivol-erotische Atmosphäre der Pariser Nachtlokale.“ Das stimmt, nur war davon leider nichts zu spüren.

Andreas H. Hölscher

 

Fotos: Matthias Creutziger