Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

DAS LIEBESVERBOT
(Richard Wagner)
20. Mai 2013
(Premiere am 8. Dezember 2012)

Landesbühnen Sachsen Dresden-Radebeul


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Liebesverbot auf dem Klo

Richard Wagner ist gerade einmal 22 Jahre alt, als er in seiner Magdeburger Zeit mit dem Liebesverbot 1836 seine zweite Oper vollendet. Noch orientiert sich Wagner deutlich an Vorbildern wie Beethoven, Weber und Marschner. Aber auch italienische Komponisten wie Rossini und Bellini haben hier noch Einfluss auf sein Schaffen. Nicht zufällig lässt er die Handlung dieser Großen Komischen Oper im südlichen Palermo spielen. Die Idee zu seiner zweiten vollendeten Oper bekommt Wagner 1834 während einer Reise ins böhmische Teplitz, als er den zu der Zeit bekannten Roman Ardinghello und die glücklichen Inseln von Wilhelm Heinse liest, der in diesem Werk die freie Sinneslust und die Emanzipation der Frau glorifiziert. Als Wagner sich mit dem Stoff beschäftigt, hat er sich gerade in die ältere, attraktive Schauspielerin Minna Planer verliebt, die er später heiratet. Wahrscheinlich will er ihr mit diesem freizügigen Stück imponieren, geht es doch um die freie Liebe, das Bekenntnis zur Liebe jenseits aller gesellschaftlichen Normen und Konventionen – ein für die damalige Zeit äußerst frivoler Stoff. Doch im Gegensatz zu seinem Erstling Die Feen soll es diesmal eine Volksoper mit großen Chorszenen werden, so wie man es aus der eleganten französischen Oper kennt. Typisch für Richard Wagner ist jedoch schon zu diesem Zeitpunkt seines Schaffens die Arbeit mit Erinnerungs- und Leitmotiven und seine Thematik, die uns im Tannhäuser oder Parsifal wiederbegegnen: Der Frage nach persönlicher Freiheit im Ausleben von Sinnlichkeit und Liebe in einer Welt von enger Moral und Sitte, die Wagner aus eigenem Erleben kennt. Bezeichnenderweise lässt er den sittenstrengen Statthalter von Sizilien namens Friedrich, der zu Beginn der Handlung Karneval und freie Liebe verbieten lässt, aus Deutschland kommen und weicht damit ab von Shakespeares Komödie Maß für Maß, die dieser Oper zugrunde liegt.

Als Ersten trifft das Liebesverbot den jungen Edelmann Claudio, den Friedrich für sein freizügiges Verhalten zum Tode verurteilen will. Wie widernatürlich sein Gebot ist, bekommt Friedrich persönlich zu spüren, als ihn Claudios Schwester, die Novizin Isabella, um das Leben ihres Bruders bittet: Erfasst von dem plötzlichen Verlangen, Isabella zu besitzen, verspricht er ihr für die Liebe einer Nacht die Freilassung des Bruders. Zunächst empört, greift Isabella zu einer List: Zum Stelldichein wird sie die maskierte Mariana schicken, die Gattin, die von Friedrich verstoßen wurde. Im Trubel des eigentlich verbotenen Karnevals wird der Liebhaber Friedrich schließlich vom Volk entdeckt, entlarvt und begnadigt, obwohl für ihn sein eigenes Gesetz gilt. Doch das Volk setzt die Gesetze außer Kraft, was genau im Sinne Wagners während seiner frühen revolutionären Jahre war.

Regisseur Hinrich Horstkotte hat mit seiner Sichtweise des Liebesverbots Wagners Untertitelung Große Komische Oper wörtlich genommen und ein witzige, manchmal schon slapstickhafte Burleske auf die Bühne gebracht, die für drei Stunden Kurzweil sorgen. Da treten im letzten Bild alle Protagonisten in Kostümen - ebenfalls bunt und schrill von Horstkotte mit Unterstützung von Kerstin Micheel designt - von Opernfiguren Wagners auf, vom Fliegenden Holländer bis hin zum Parsifal, alle Werke Wagners sind quasi auf einen Schlag versammelt. Eine nette Hommage an Wagners Gesamtkunstwerk zu seinem 200. Geburtstag. Nur der deutsche Statthalter in Palermo, Friedrich, die Spaßbremse, tritt im Kostüm des Rigoletto auf. Kleiner Gruß an Verdi, der ja auch schon 200 wird. Originell sind dabei die historisch wirkenden Wagnerkostüme, von der Rheingoldnixe über den auf Knien rutschenden Mime bis hin zur Hauptfigur Isabella in einem heroischen Brünnhilden-Outfit. Doch auch die Kostüme zu Beginn, irgendwo ein Mix aus frühe 1930-er Jahre in Sizilien bis hin zum verführerischen Klostergewand mit Ausschnitt: Diese Inszenierung bietet viel fürs Auge.

Die Partitur selbst ist gekürzt, ohne dass die Dramaturgie, für die Gisela Zürner verantwortlich ist, Einbußen erleidet. Verschiedene Textpassagen werden neu formuliert, und zwar an den Stellen, wo Wagner alternativ Rezitative und Dialoge verfasst hat, auch ein Unikum seines Frühwerkes. In die Partitur, die das Gnadenthema aus dem Tannhäuser schon vorwegnimmt, werden allerdings auch Motive aus Lohengrin und Tristan und Isolde eingebaut, um so die szenischen Parodien mit den Wagnerfiguren im letzten Bild auch musikalisch zu unterstreichen. Ein kleiner Eingriff in die Partitur, ohne dabei das Gesamtwerk wirklich zu verfälschen.

Martin Dolnik hat für die zwei Akte und sechs Bilder einen verwandelbaren Grundraum geschaffen, doch sind für die Bildwechsel geräuschvolle Umbaupausen notwendig, die sowohl den Spielfluss als auch die Konzentration des Publikums erheblich stören. Einschiebbare Räume lassen eine offene Verwandlung zu, und so findet sich auf der rechten Bühnenseite das zum Gerichtssaal gehörige Klo, das immer wieder zu einem szenischen Mittelpunkt wird. Hier verrichtet Brighella sichtbar seine Notdurft, und liest dabei in einem Klavierauszug Wagners. Auf dem Klo versucht Friedrich Isabella zu verführen, und abschließend wird das Klo in der Schlussszene auch zum heißen Ort des Stelldicheins zwischen Friedrich, kostümiert als Rigoletto und seiner verstoßenen Frau Mariana, die er nicht erkennt, da sie das gleiche Brünnhildenkostüm trägt wie Isabella.

Wenn nun aber zu den humoristischen Einlagen und optischen Raffinessen noch großer Gesang dazukommt, dann kann auch der frühe Wagner ein ganz besonderes Erlebnis werden. Herausragend Stephanie Krone in der Rolle der Novizin Isabella. Ausgestattet mit verführerischer Raffinesse, ist es vor allem ihr makelloser jugendlich-dramatischer Sopran, der alle Höhen und dramatischen Ausbrüche fest und klar meistert, mit klarer Tessitura und wunderschöner Phrasierung. Hier scheint eine neue Wagner-Stimme heranzuwachsen, und man hört in dieser Stimme schon die zukünftige Elisabeth oder Senta. Ihr Brünnhildenkostüm im letzten Bild passt da in jeder Hinsicht. Auch Anna Erxleben als Friedrichs verstoßene Ehefrau Mariana meistert den Spagat zwischen lyrischer Phrasierung und dramatischer Forcierung. Auch ihr steht das Walküren-Kostüm am Schluss vortrefflich. Miriam Sabba in der Rolle der Dorella komplettiert die Frauenrollen mit kokettem Soubrettengesang. Ihr Schlussauftritt als Rheintochter ist herrlich komisch.

Bei den Herren ragt Paul G. Song als Statthalter Friedrich mit kraftvollem, markant wohlklingendem Bariton heraus. Seine große Arie im zweiten Akt ist von hoher Intensität und Spannung, bravourös meistert er die dramatischen Passagen. Man sieht Song förmlich schon in den großen Bariton-Rollen des Wagner-Fachs, aber auch der Rigoletto, wie er am Schluss im Karneval von Palermo auftritt, wäre seine Rolle. Kay Frenzel, vor Aufführungsbeginn als erkältet angekündigt, lässt davon aber nichts merken. Die Partie des Luzio meistert er mit fast schon italienischem tenoralen Schmelz und kraftvollen und leuchtenden Höhen. Sein Siegfried-Kostüm mit Plüschdrachen am Gürtel scheint ihm neue Heldenkraft zu geben, und so singt er die drei Strophen des aufrührerischen Karnevalsliedes mit starkem Ausdruck. Guido Hackhausen gibt den wegen Schwängerung seiner Geliebten zum Tode verurteilten Claudio mit leicht dramatischem Heldentenor. In den Höhen forciert er gelegentlich etwas, was der Stimme nicht gut tut. Sein Schlussauftritt ist Walther von Stolzing gewidmet. Michael König, in der Rolle des Sbirrenchefs Brighella und im Schlussbild als Lohengrin auftretend, hinterlässt einen eher zwiespältigen Eindruck. Seine Deklamationen im Hitler-Stil wirken aufgesetzt und nicht passend, seine Intonierung ist nicht ganz sauber. Jens Uwe Mürner als Antonio und Fred Bonitz als Angelo fügen sich gut in das Gesamtensemble ein, aus dem der Buffo Andreas Petzold in der Rolle des Pontio Pilato und im Schlussbild als Mime aufhorchen lässt.

Der Opernchor der Landesbühnen Sachsen ist von Sebastian Matthias Fischer gesanglich und spielerisch agil eingestimmt. Die Elbphilharmonie Sachsen unter der Leitung von Christian Voß spielt engagiert, kommt aber in der Phrasierung und Farbengebung manches Mal an ihre Grenzen. Das schnelle und rhythmische Vorspiel zum ersten Akt erinnert phasenweise an das Spiel einer Feuerwehrkapelle, und es klappert ordentlich im Orchestergraben. Doch Voß behält die Fäden in der Hand, und im Laufe des Stückes harmonieren Orchester, Chor und Solisten immer besser, und die großen dramatischen Solopassagen werden sängerfreundlich begleitet.

Das recht spärliche Publikum honoriert die dreistündige intensive Aufführung mit ordentlichem Applaus, und Stephanie Krone und Paul G. Song dürfen sich zu Recht bejubeln lassen. Diese witzige Interpretation ohne großen Tiefgang, dafür mit schönen Stimmen und engagiertem Spiel ist ein sehenswerter Beitrag zum Wagner-Jahr 2013. Für Operneinsteiger wie Wagner-Enthusiasten gleichermaßen geeignet.

Andreas H. Hölscher







Fotos: Robert Jentzsch