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Fakten zur Aufführung 

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER
(Richard Wagner)
15. Juni 2013
(Premiere)

Semperoper Dresden


Points of Honor                      

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Die Albträume der kleinen Senta

Die Neuinszenierung Der Fliegende Holländer an der Semperoper Dresden, gleichzeitig Ausklang der Festlichkeiten zum Wagner-Jubiläum 2013, beginnt furios. Wuchtig, ja fast schon furchterregend erklingt die Ouvertüre aus dem Orchestergraben, und passend dazu düstere Projektionen einer stürmischen Nacht. Im Halbdunkel meint man, ein kleines Kind zu erkennen. Mythisch-magisch beginnt die Aufführung, die nach dem Vorspiel mit einer ersten szenischen Überraschung aufwartet. Mehrere Minuten ist es still, auf der Bühne sieht man einen Beerdigungsaufzug, Daland wird zu Grabe getragen. Senta, im schwarzen Kleid nimmt Abschied, und daneben steht das kleine Mädchen, das im Vorspiel schon schemenhaft zu sehen war. Es ist Senta als Kind. In diesem Moment ist der Weg der Inszenierung klar. Die Erzählung vom Fliegenden Holländer ist Sentas Geschichte, gleichzeitig ein Rückblick auf ihre schwere Kindheit, denn die kleine Senta wächst ohne Mutter in einer brutalen Fischergesellschaft auf. Unverstanden von ihrem banalen Vater, dem schwächlichen Verehrer Erik und einer dörflichen Gesellschaft, die für Frauen nur eine Rolle, nämlich Gattin und Mutter, vorsieht, träumt Senta von der mythischen Figur des fliegenden Holländers, der ihr helfen soll, die Enge ihres Lebens hinter sich zu lassen. Regisseurin Florentine Klepper beginnt diesen Rückblick auch spannend zu erzählen. Der erste Aufzug spielt nicht auf Dalands Schiff, sondern an der rauen Küste, wo die Fischer wenig Abwechslung haben und die kleine Senta Ziel ihrer derben Spiele ist. Senta sehnt sich eine große mystische Figur herbei. Ein toter schwarzer Vogel ist Identifikationspunkt für die magische Figur des Holländers, der ganz in Schwarz auftritt, mit einem gefiederten Arm. Die kleine Senta spürt Schutz und Geborgenheit in dieser magischen Figur, während ihr Vater schon einen Schritt weiter ist und sie dem vermeintlich reichen Seemann als Handelsware anbietet. Soweit, so gut und nachvollziehbar und spannend erzählt. Doch abstrus wird es im zweiten Aufzug.

Der Chor der Spinnerinnen entpuppt sich als ein Alptraum hochschwangerer Frauen, die alle gleich gekleidet nacheinander unter der strengen Führung der Hebamme Mary ihr Kind gebären. Die kleine Senta stapelt später den Haufen der Kinderpuppen übereinander, während der Jäger Erik aus seinem Versteck unter dem Bett zum Vorschein kommt. Hier greift Florentine Kleppers Konzept der Verbindung von Mythos und Magie nicht mehr, die Szenerie verkommt zu einem albernen Albtraum. Senta, die sich von der Uniformität der gebärenden Frauen emanzipieren will als Hinweis darauf, dass sie ohne Mutter groß geworden ist und hier vielleicht auch ein Kindheitstrauma zu bewältigen hat. Das Duett mit dem Holländer wird entmystifiziert, der Holländer erscheint als die Person, die Senta aus diesem Umfeld befreien kann. Erlösung quasi umgekehrt.

Im dritten Aufzug wird es wieder mystisch wie zu Beginn. Daland liegt auf dem Totenbett, steht wieder auf, und die Braut Senta trägt schwarz, während die Frauen allesamt weiße Hochzeitskleider tragen und sich unisono im geschätzten siebten Schwangerschaftsmonat befinden. Die Erlöungsthematik zum Schluss wird umgedreht. Der Holländer geht einfach zurück, Senta hat sich von ihrem Übervater Daland befreit, aber auch von dem mystischen Helfer ihrer Kindheit. Mit gepacktem Koffer beginnt für sie ein neues Leben.

Florentine Klepper beginnt ganz stark mit ihrem Konzept. Es ist stringent und macht neugierig auf die Entwicklung der Handlung. Doch mit dem zweiten Aufzug wirft sie ihr eigenes Konzept über den Haufen, lässt die starken Bilder nicht mehr sprechen und geht über in pseudopsychologische Deutungen, die schwer nachvollziehbar sind. Diese Zäsur kann auch der durchaus interessante dritte Aufzug nicht mehr retten. Das Bühnenbild von Martine Segna hat seine stärksten Momente im ersten Aufzug, allerdings stark unterstützt durch die mystische Lichtregie von Bernd Purkrabek und surreale Videoproduktion von Bastian Trieb. Die Kostüme von Anna Sofie Tuma sind gut auf die jeweilige Szene abgestimmt. Besonders die öligen Fischeroutfits beeindrucken, während der Aufzug der Spinnerinnen eher an einen Hollywoodstreifen aus den frühen 1950-er Jahren erinnert.

Markus Marquardt in der Titelrolle des Fliegenden Holländers verleiht durch Ausdruck und Gestus der Figur das Schwarze, Mystische. Er scheint mehr Wotan zu sein als eine zerstörte, nach Erlösung suchende Seele. Sein Auftrittsmonolog Die Frist ist um im ersten Aufzug besticht durch ein kräftiges Fundament in der Tiefe und starken Höhen in den dramatischen Ausbrüchen. Sein Ausdruck und sein Gestus bei seiner ersten Begegnung mit Senta sind von großer Intensität. Das Duett mit Senta im zweiten Aufzug ist der sängerische Höhepunkt der Aufführung und lässt die etwas verquaste Szenerie in diesem Moment vergessen. In Marjorie Owens hat Markus Marquardt die ideale Senta an seiner Seite. Ihr jugendlich-dramatischer Sopran ist von einer beeindruckenden Leuchtkraft, ihre klare Stimmführung ist überzeugend und ohne Brüche, und ihre Ballade im zweiten Aufzug gelingt ihr mit fundierter Mittellage und einwandfreien Höhen.

Georg Zeppenfeld gibt den Daland mit fundiertem Bass und großer Textverständlichkeit. Will Hartmann, kurzfristig eingesprungen, begeistert in der Partie des Eric mit lyrischem Schmelz und tenoraler Strahlkraft. Seine Cavatine im dritten Aufzug klingt fast wie eine italienische Kantilene. Simeon Esper überzeugt als Steuermann mit kultiviertem Tenor. Tichina Vaughn gibt die Mary mit tief angelegtem Mezzosopran. Ein Sonderlob hat sich Lena Küchler in der stummen Rolle der kleinen Senta durch ihr kindlich-emotionales Spiel verdient.

Der sächsische Staatsopernchor Dresden ist von Pablo Assante hervorragend eingestimmt und begeistert durch klaren Ausdruck und Intensität, aus dem besonders die Damenstimmen prägnant hervorstechen. Die sächsische Staatskapelle Dresden begeistert durch schon eine naturalistisch anmutende Klangmalerei, in der das schwere Blech stark akzentuiert ist. Die Ouvertüre kommt dramatisch kraftvoll und wuchtig, es ist insgesamt ein musikalisch ausdrucksstarker und akzentuierter Wagner. Constantin Trinks leitet die sächsische Staatskapelle mit großem Engagement und Mut zum Forte, ohne die Sänger dabei zu überdeckeln.

Am Schluss gibt es frenetischen Jubel für Sänger, Chor und Orchester aus dem Publikum, und besonders Markus Marquardt und Marjorie Owens dürfen die Ovationen entgegen nehmen. In der Bewertung des Regieteams ist sich das Publikum genauso einig. Ein Buh-Sturm signalisiert einhellige Ablehnung. Diese Geschlossenheit des Publikums ist sicher zu einem großen Teil dem wirren und nicht mehr nachvollziehbaren zweiten Aufzug geschuldet. Das ist umso bedauerlicher, als das Konzept zu Beginn stark begann, aber leider nicht konsequent weitergeführt wurde.

Andreas H. Hölscher







Fotos: Matthias Creutziger