Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

ELEKTRA
(Richard Strauss)
19. Januar 2014
(Premiere)

Semperoper Dresden


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort



 

zurück       Leserbrief

Auf der Suche nach Gerechtigkeit

„Justitia Fundamentum Regnorum“ – In großen Lettern prangt diese Überschrift über dem Bühnenaufbau – „Die Gerechtigkeit ist das Fundament der Staaten“. Was als Wahlspruch dem Kaiser Franz I von Österreich zugeordnet wird, scheint auch Elektras Wahlspruch und Bestimmung zu sein: Die Suche nach Gerechtigkeit. Elektra ist besessen von ihrem abgrundtiefen Hass auf Aegisth und Klytämnestra, die einst ihren Vater Agamemnon töteten und ihren geliebten Bruder Orest vertrieben. Sie will Rache, und nur in ihren wüsten und autoaggressiven Phantasien, die den Tod ihrer Mutter Klytämnestra und deren Geliebten Aegisth zur Konsequenz hat, kann sie Gerechtigkeit, ja, Erlösung finden.

Zu Beginn des Richard-Strauss-Jahres 2014 steht in Dresden die Neuinszenierung der Elektra auf dem Programm, jenes Werk, das 1909 in Dresden zur Uraufführung kam und mit seinen Klängen die Zeitgenossen schockierte. Von „kakophonem Krach“ war nach der skandalumwitterten Dresdner Uraufführung die Rede. Strauss selbst bekannte, dass er in Elektra die Musik „bis an äußerste Grenzen psychischer Polyphonie“ getrieben habe. Und diese psychische Polyphonie ist es, die die Einzigartigkeit des Werkes ausmacht und von Orchester und Sängern, insbesondere der Partie der Elektra ein Höchstmaß an klanglicher, sängerischer und schauspielerischer Darbietung fordert. Und für Regisseure ist das Werk immer ein Grenzgang zwischen Wahnsinn und Realität. Es ist eine Familientragödie von stets wiederkehrenden Heimsuchungen, der Gewalt und Monstrosität, die Richard Strauss nach dem Libretto von Hugo von Hofmannsthal in Musik gefasst hat. Auf der Bühne ein psychologisches Kammerspiel, im Orchester ein Klangteppich wie ein Titan, entspinnt sich in diesem von Vernichtungsfantasien beherrschten Stück ein Psychogramm um Schuld und Sühne, Vergebung und Rache und die Frage nach Gerechtigkeit.

Barbara Frey hat sich in der Dresdner Neuinszenierung dieser Thematik in eindrucksvoller und sensibler Manier genähert. Ihre Elektra ist keine wahnsinnige, gefühlskalte, von Rachegelüsten zerfressene Furie, sondern eine zutiefst traumatisierte Frau, die in wenigen Momenten sogar Gefühle wie Zuneigung oder Liebe zulässt, um dann wieder in ihre Bestimmung abzutauchen, Gerechtigkeit zu üben. In der Erkennungsszene mit ihrem Bruder Orest scheint diese kindliche Geschwisterliebe wieder aufzuflammen, für einen kurzen Moment meint man Siegmund und Sieglinde zu erkennen, insbesondere wenn im Hintergrund zwei kleine Kinder die Erinnerung an die schöne Kindheit zurückrufen. Doch es ist nur ein kurzer, lichter Moment des süßen Traumes, dann fällt die harte Realität zurück, die da heißt: Rache, Gerechtigkeit, Tod! Es schüttelt sie körperlich durch, bis hin zum zerreißenden Veitstanz durchleidet sie diese höllischen Qualen.

Elektra ist jedoch nicht die einzige traumatisierte Frau in diesem Geschehen. Ihre Mutter Klytämnestra musste als junge Frau mit ansehen, wie ihr Mann Agamemnon die gemeinsame Tochter Iphigenie opferte, um den Sieg im Trojanischen Krieg zu erringen. Auch Klytämnestra suchte Rache und Gerechtigkeit und glaubte sie in der Ermordung Agamemnons zu finden. Doch sie fand weder Seelenfrieden noch Ruhe, sie ist eine Getriebene, eine lebende Leiche. Auch hier charakterisiert Barbara Frey einen besonderen Frauentypus. Keine cholerische Alkoholikerin, die sich im Stadium des Deliriums befindet, sondern eine ängstliche, psychisch labile Frau auf der Suche nach Seelenfrieden. Und die dritte im Bunde, Elektras jüngere Schwester Chrysothemis, will das alles verdrängen, hofft auf eine Zukunft und ein glückliches Leben, das für sie mit dem Tod ihrer Mutter und des verhassten Aegisth beginnen kann. Am Schluss erscheint sie im weißen, unschuldigen Hochzeitskleid, während Elektra stirbt. Sie hat ihre Gerechtigkeit bekommen, Klytämnestra und Aegisth wurden getötet. Frey verzichtet auf eine martialische und blutrünstige Darstellung der Ermordung, lediglich Klytämnestras gellende Schreie und Aegisths Hilferufe weisen auf die Tat hin. Frey konzentriert sich in ihrem Regieansatz ganz auf die psychologischen Verflechtungen der Protagonisten und zentriert alles auf die Person Elektras. Doch das ist so gebündelt, dass es dem Zuschauer fast den Atem nimmt. Der Bühnenaufbau von Muriel Gerstner hat das Ambiente eines Gerichtsgebäudes aus den 1950-er Jahren, das saniert wird. In einem Verschlag haust Elektra, in den sie sich auch immer wieder zurückzieht. Die Kostüme von Bettina Walter passen ebenfalls in diese Zeit. Dieses etwas angestaubte, strenge Ambiente bietet den wunderbaren optischen Kontrast zu dem subtilen Spiel auf der Bühne. Gérard Cleven sorgt mit seinem Lichtdesign dafür, dass Elektra mal in grelles Licht getaucht, dann wieder diffus, wie ihre jeweilige Stimmung, ausgeleuchtet wird.

Doch dieses Konzept verlangt eine totale Hingabe an die Rolle. Evelyn Herlitzius in der Partie der Elektra steigt an diesem Abend auf in den Olymp Strauss‘schen Gesangs. Ihre Darbietung dieser zerrissenen Persönlichkeit, ihre Rolleninterpretation, ihre Ausdruckskraft und physische Präsenz sind an diesem Abend nicht von dieser Welt. Ihre großen Ausbrüche, aber auch ihre wundervollen Piano-Töne, all das mit strahlenden, sicheren Höhen, mit großen Bögen und Phrasierungen, mit einer fundierten Mittellage und das alles noch mit großer Textverständlichkeit; Evelyn Herlitzius ist Elektra, wie man sie kaum ein zweites Mal erleben kann. 100 Minuten höchstes Niveau schauspielerischer und sängerischer Darbietung. Im Moment des Todes schleppt sie sich noch an den Orchestergraben, der leblose Arm baumelt herunter, ein grandioser Abgang. Als das Licht wieder angeht und Evelyn Herlitzius alleine auf der Bühne steht, bricht ein Orkan im Publikum los, die Zuschauer auf den Rängen springen fast von den Sitzen auf, überwältigt und begeistert von dem gerade Erlebten.

Auch Waltraud Meier in der Partie der Klytämnestra begeistert. Keine hochdramatische Interpretation à la Isolde, sondern sie ist zu ihren Wurzeln zurückgekehrt, mit einem tiefen, warmen und tragenden Mezzosopran. Meier verleiht dieser Figur sogar Glanz und Noblesse, und man spürt Mitleid mit dieser tragischen Person. Großartig die Interaktion mit Herlitzius, und es gibt wohl kaum einen besseren Kontrast als diese beiden Stimmen. Anne Schwanewilms bleibt im Vergleich zu Herlitzius und Meier eher blass. Obwohl sie die Partie sehr lyrisch und auch mit schönen Obertönen gestaltet, fällt sie doch in ihrem Gesamtausdruck etwas zurück.

René Pape ist ein Orest mit intelligenter Darstellung und markantem wie profundem Bass. Wunderbar die Erkennungsszene mit Herlitzius, hier kann Pape alle Register seines großen Könnens ziehen. Frank van Aken als Aegisth hat nur einen kurzen Auftritt, aber sein Heldentenor ist kräftig und strahlend und sofort präsent. Unter den vielen Nebenrollen, alle vorzüglich besetzt, ragen Nadine Secunde als Aufseherin und Peter Lobert als Pfleger des Orest hervor. Auch der kurze Choreinsatz aus der Höhe ist prägnant und fügt sich nahtlos ein in ein spektakuläres Sängerensemble.

Christian Thielemann ist endgültig in Dresden angekommen. Dieses Dirigat ist der Ritterschlag in der Tradition der Pflege des Strauss´schen Werkes. Was er aus der Sächsischen Staatskapelle an Klängen hervorholt, das ist ganz große Klasse. Das Orchester in Großformat spielt filigran, wuchtig, berauschend orgiastisch und dann wieder sensibel wie ein Kammerorchester. Thielemann dirigiert völlig unprätentiös, die Einsätze sind präzise, da ist keine überflüssige, auf Show getrimmte Geste, sondern ein dem Werk dienende Interpretation von höchster Konzentration und Sängerfreundlichkeit. Da hört man auch die Anklänge an Rosenkavalier und Arabella, aber auch Reminiszenzen an Wagner mag man vernehmen. Kein kakophoner Krach, sondern ein wogender Klangteppich mit großen Bögen, mit viel Atem und irisierender Schönheit. So muss, so darf Strauss klingen.

Der Jubel am Schluss ist grenzenlos, besonders Evelyn Herlitzius, Christian Thielemann und die Sächsische Staatskapelle werden gefeiert. Ein paar vereinzelte Buhs fürs Regieteam sind zu vernachlässigen. Ein ganz großer Abend für Dresden geht zu Ende, und die Vorfreude auf die weiteren Aufführungen der Werke von Richard Strauss anlässlich seines 150. Geburtstages ist groß.

Andreas H. Hölscher

 

Fotos: Matthias Creutziger