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Fakten zur Aufführung 

SCHAF
(Sophie Kassies)
15. Oktober 2011
(Premiere)

Theater Dortmund, Junge Oper

Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

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Schaf in der Kiste

Kinder kennen Schafe auf der Weide, rund um einen Bauernhof, aus einem Streichelzoo, vielleicht auch von einem Viehtransport… Kinder nennen Schafe Dolly, Christel oder Peter… Ein Schaf, das aus einer Kiste kommt, keinen Namen hat,  ist zumindest ungewöhnlich, überraschend. In der Jungen Oper Dortmund kriecht es, dargestellt von Sandra Doll, nett und kuschelig kostümiert und mit einem wolligen Struwwelkopf geschmückt, laut blökend aus einer Kiste und schaut sich unsicher um, es ist allein… Hin und wieder gesellen sich andere Schafe hinzu, die die Autoren Sophie Kassies und Flora Verbrügge auf die Bühne zaubern, indem sie alle Beteiligten mit Schafskopf-Stockmasken ausstatten, eine einfache und wirksame Idee.

Während Michael Hönes auf seinem Cembalo fremd klingende Töne zaubert, grummelt und unterstreicht Markus Beul mit seinem Cello die eher dunklen Passagen und Stimmungen. Dabei stellen sie den Kindern, ganz nebenbei, Werke von Purcell, Händel und Monteverdi vor.

Vera Koch hat die Bühne mit großen Frachtkisten vollgestopft, die sie multifunktional nutzt und für die Kinder spannend macht. Auch das kurze Schattenspiel auf der hinteren Leinwand mit einem „Schattenchor“, die mit glitzerndem Tuch geschickt gelegte Wasserbahn fesseln die Aufmerksamkeit der Kinder und zeigen ihnen ein wenig von dem, wie Theater arbeitet, verraten einige „Geheimnisse“. Regisseur Ronny Jakubaschk lässt ein flottes, fröhliches und mit manchen Überraschungen gespicktes Spiel ablaufen, an dem die Kinder ihre Freude haben.

Die beiden Frauenstimmen, der klangvolle Sopran von Julia Amos und der ebenfalls wohl tönende Alt von Hasti Molavian führen die Kinder geschickt und ansprechend an den Beitrag des Gesangs in einer Oper heran und machen mit ihren gemäßigten Koloraturen vielen Kindern offensichtlich Spaß. Die an und für sich nützliche Idee, den Text der Arien  auf Schrifttafeln mit „Subtiteln“ zu versehen, könnte noch verbessert werden, für die letzten Reihen ist die Schrift wahrscheinlich zu klein, und, wie ein kurzer Test ergab, selbst Kinder aus dem 3. Schuljahr brauchen Zeit, um ihn  zu entziffern.

Als Prinz Lorenzo alias Bastian Thurner in die Szene stolpert, ist es vorbei mit der „Schäfchen-Ruhe“. Sein lautes Auftreten und Wehklagen über die Last des Königseins, die er auf sich zukommen sieht, macht ihn zunächst wenig empfänglich für die eher introvertierten Sorgen des Schafes, das er schließlich zu seinem Freund ernennt. Ein Freund muss einen Namen haben! Nun beginnt das Schaf, bisher eines von vielen – namenlosen - Schafen, einen Namen zu suchen, denn „Freunde muss man rufen können“. Die sich anschließenden Szenen, an denen  das Schaf, der  Prinz und der Torwächter beteiligt sind, drehen sich darum, wozu ein Name gut ist, warum jeder einen Namen braucht oder ob das „Namensgesetz“ vom Prinzen abgeschafft werden soll. Sie wirken szenisch wie textlich angestrengt, theoretisch und wenig altersgemäß. Dies gilt auch für die Szene am Grab „Erich II.“, an dem das Schaf philosophiert, ob man einen Namen stehlen kann… Passagen, in denen die Handlung vorwiegend in Monologen und Dialogen „fortschreitet“. Nach seinen Ausflügen und Erfahrungen kehrt das Schaf wieder vor seine Kiste zurück und erkennt, dass das Leben auch ohne Namen, „wenn man nichts Besonderes ist“, schön sein kann. Zufrieden rollt es sich in seine Kiste zurück…

Nach Schluss der Vorstellung gibt es für das junge Publikum als Premierenschmaus Muffins in vielen Variationen. Auf zahlreiche Kinder wirkt die offene Bühne einladend, und sie nutzen die Frachtkisten fantasievoll und ohne Scheu für ihre eigenen Spielideen, ein schönes Zeichen. Die  kleinen und großen Zuschauer, etwa die Hälfte von ihnen Eltern und Großeltern, bedanken sich mit herzlichem Applaus für einen fröhlichen und musikalisch einladenden Nachmittag, an dem die Figuren und die Ausstattung Kinder auf Theater neugierig machen und ihnen einiges „verraten“.

Ob allerdings die philosophisch-psychologisch außerordentlich bedeutsame Frage nach den Bedingungen der Selbstwerdung - und des Namens - in irgendeiner Weise die Kinder erreicht, lässt sich nicht beantworten. Aber vielleicht ist die Frage, ob die Idee des Stückes, die um die Bedeutung des Namens kreist, irgendwie bei den Kindern  ankommt, nicht so wichtig. Entscheidend ist viel mehr, dass sie Freude an dem Stück gefunden und ein wenig Appetit auf mehr Theater und mehr Musik bekommen haben. Beides ist offenkundig gelungen, prima.

Horst Dichanz


 
Fotos: Björn Hickmann/Stage Pictures