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Fakten zur Aufführung 

LE NOZZE DI FIGARO
(Wolfgang Amadeus Mozart)
3. März 2013
(Premiere am 23. Februar 2013)

Theater Dortmund


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Ein Tag im Schloss

Es scheint fast so, als hätten nahezu alle Opernhäuser in NRW zur Zeit zwei Dinge gemeinsam: Mozarts Figaro und die Grippewelle. Kaum ein Theater kommt am Abend ohne Umbesetzung aus. In Dortmund muss der Cherubino ersetzt werden. Katharina Peetz, die ursprüngliche Marcellina, springt als Page ein, Andrea Rieche singt dafür Marcellina. Beide sind in diesen Rollen erprobt, da sie für spätere Vorstellungen eingeplant waren. Das ist auch gut so, denn in Dortmund gibt es ein Regiekonzept, das für spontane Einspringer fast unmöglich zu bewältigen wäre. Mariame Clément hat sich zuerst erlaubt, die Oper deutlich in der Zeit zu lassen, wo sie hingehört, was auch die Diskussion um das jus primae noctis verständlich macht. Sie ist eine der wenigen Regisseure, die Mozarts Handlung wirklich glaubhaft erzählen kann und das bis in den schwierigen vierten Akt hinein. Kongeniale Arbeit zum optischen Vergnügen leistet Julia Hansen mit sehr schönen Kostümen und einem variablen Bühnenbild: Da sind im ersten Akt nur der Grundriss der gräflichen Räume und ein paar Requisiten zu sehen. Was sonst nur in einem Zimmer spielt, das springt in dieser Inszenierung von Raum zu Raum, der freilich immer vorne an der Rampe ist. Speisekammer, Wäschezimmer, Schulzimmer, Waffenkammer und so weiter drehen sich gegen den Uhrzeigersinn um das Zimmer der Gräfin herum. Auch die stimmige Lichtregie von Ralph Jürgens hilft bei dieser Umsetzung. Das ganze Personal spielt den gräflichen Alltag mit, öffnet und schließt imaginäre Türen, drängt sich an den Wänden der Gänge entlang. Räumlich konkret wird Hansen nur im zweiten Akt, wenn sich aus dem Bühnenhimmel die Rückwand von Rosinas Zimmer herabsenkt.

In diesem reduzierten wie einfallsreichen Bühnenbild erzählt Clément die Oper temporeich, liebevoll, witzig und mit tragischem Unterboden. Der Blick auf die handelnden Personen ist geschärft, die Einfälle gehen immer in Einklang mit dem Text und der Musik. Ein paar Beispiele: Wenn Cherubino im zweiten Akt verkleidet wird, zieht sich mit ihm auch die Gräfin ihre Kleider und Strümpfe an, was den armen Pagen natürlich ganz verrückt macht. Der innere Gefühlsausbruch des Grafen im dritten Akt, wenn er beschließt, dass Figaro den Prozess verlieren soll, bekommt royale Arroganz, wenn Figaro ihm in diesem Moment die Schuhe anziehen muss. In der folgenden Gerichtsszene sieht man im Hintergrund, wie sich Susanna Geld von den anderen Bediensteten leiht, um Figaros Schulden zu bezahlen. Es sind viele kleine Episoden aus dem gräflichen Schloss, die sich zu einem großen tollen Tag zusammen fügen, an dessen Ende die Erkenntnis bleibt, dass es mit der Ehe der Almaviva nicht mehr zum Besten steht. Die Gräfin zielt vor aller Augen mit dem Gewehr auf ihren gefoppten Mann, sein Kniefall nach einem vergeblich hilfesuchenden Blick in die Runde ist nur Situationsbeschwichtigung. Am Ende bleibt er allein auf der Schaukel im Garten zurück.

Allerdings ist die lebendige Bewegungsregie auch gefährlich, denn Fehler oder Verzögerungen erkennt man hier sofort. Und an diesem Sonntagabend ist es die verflixte zweite Vorstellung, wo eine ganze Menge an Kleinigkeiten schief geht. Selbst ganz normale Handgriffe wollen einfach nicht klappen, der Bühnenaufbau zum zweiten Akt sieht alles andere als sicher aus und auch bei der Verwandlung im dritten Akt, als sich Holzrahmen des Grafenzimmer partout nicht voneinander lösen wollen, sieht man die hilfesuchenden Blicke der Bühnenarbeiter. Auch musikalisch läuft es alles andere als rund. Die Souffleuse hat einiges zu tun, um kleinere Textunsicherheiten auszubügeln. Trotzdem kann man nicht behaupten, dass die Leistung der Musiker schlecht wäre. Immerhin besetzt Dortmund diese Oper aus den eigenen Reihen und in jeder Hinsicht stimmig: Der starke Hannes Brock zeigt Rampensau-Qualitäten als Basilio, auch Christian Sists Bartolo nimmt vokalen und darstellerischen Raum ein. Einspringerin Andrea Rieche klingt als Marcellina selbst etwas angeschlagen. Katharina Peetz gibt einen spielfreudigen, frechen Cherubino. Der sympathische Morgan Moody singt den Figaro sehr pointiert, seine Stimme bräuchte allerdings etwas mehr Glanz in der stumpfen Höhe. Gerardo Garciacanos verzweifelter Versuch, als Graf die Kontrolle zu behalten, geht glaubhaft einher mit seinem auch in den großen Ausbrüchen stets kultivierten Bariton. Etwas stärker freilich sind die beiden Damen: Julia Amos ist als Susanna nicht nur in den Ensembles ein vokaler Aktivposten, die an diesem Abend aber ein paar Intonationsprobleme hat. Eleonore Marguerre erinnert im Aussehen etwas an Romy Schneider in den Sissi-Filmen, singt und spielt die Gräfin sehr berührend mit einem schön schlank geführten Sopran. Etwas uninspiriert und zuweilen unsicher singt der Opernchor des Theaters Dortmund in der Einstudierung von Granville Walker.

Generell ist die Koordination zwischen Bühne und Graben an diesem Abend nicht immer ideal. Vielleicht liegt es daran, dass der zweite Kapellmeister Motonori Kobayashi in dieser Vorstellung am Pult steht, doch sieht man seinen Arm immer aus dem hochgefahrenen Graben herausschnellen, um einzugreifen oder um deutlich Takt und Einsätze vorzugeben. Die Dortmunder Philharmoniker spielen Mozart mit einem schönen, warmen Klang und werden dabei nie zu schwerfällig. Auch bei ihnen hat sich der Fehlerteufel in hörbaren beziehungsweise eben nicht hörbaren Details versteckt.

Aber wenn man die Qualität eines Abends trotz nicht ganz glücklicher Umstände erkennt, dann kann man sehr gut erahnen, wie das Idealergebnis aussieht. Dieser Dortmunder Figaro ist auf jeden Fall eine Reise wert. Das sieht auch das internationale, alle Altersklassen umfassende und schön mitfiebernde Publikum so. Allerdings sind doch noch viele Plätze im Theater freigeblieben. Auch die sehr freien Übertitel provozieren mit Aussagen wie „So ein Mist“ einige Lacher. Diese Umgangssprache geht in Ordnung, denn für den genialen Wortwitz eines Da Ponte reicht die Zeit zum Lesen nicht, weil man sonst Gefahr läuft, auf der Bühne etwas zu verpassen. So macht Oper Spaß.

Christoph Broermann

 

Fotos: Thomas Jauk