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Fakten zur Aufführung 

DER FLIEGENDE HOLLÄNDER
(Richard Wagner)
2. Oktober 2011
(Premiere)

Oper Dortmund


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Macht Neues!

Richard Wagner forderte „Kinder, macht Neues!“ Zur ersten Premiere des Dortmunder Intendanten Jens-Daniel Herzog geschieht einiges „Neues“: Da wird der Holländer zeitkritisch präsentiert; da stellt sich ein spektakuläres neues Ensemble vor - und da ist das Dortmunder Opernhaus bis auf den letzten Platz gefüllt mit einem „neuen“ Publikum!

In Dortmund ist es offenbar gelungen, sich von den ständig quengelnden „Bildungsbürgern“ zu befreien, und das so renommiert-unbefangene Publikum der Kulturmetropole „Ruhrstadt“  in die „Oper“ zu locken! Entsprechend die Spannung über zweieinhalb Stunden ohne Pause, die gespannte Aufmerksamkeit lässt nicht nach, Bewunderung der Solisten herrscht vor, Herzogs außergewöhnliche Deutung wird protestfrei zu verstehen versucht.

Dabei biedert Jens-Daniel Herzog sich den „Traditionalisten“ nicht an: Es geht nicht um ein mystisches Erlösungsdrama, sondern um die Wirtschaftskrise in ihren Auswirkungen auf scheiternde Unternehmer, mysteriöse Spekulanten, kollektiv reagierende  Menschen – und um die Focussierung auf das Erleben der tragenden Figuren!

Dalands Reederei steht vor dem Konkurs, der „Holländer“ taucht als Investor auf, die Seeleute sind existenziell Bedrohte, die Spinnerinnen hoffen auf glamouröse Chancen, Erik ist der aggressive „Durchblicker“, Senta das verblendete Groupie eines unbegriffenen „Stars“  - sie stirbt im Handgemenge mit Erik, der Holländer geht ins wartende Fjord-Gewässer.

Das ist in sich schlüssig konstruiert, beweist das inszenatorische Können des Regisseurs vor allem in spektakulären Massenszenen!

Doch:  Die Verlegung der Handlung in die existenzielle Welt-Krise um 1930 nach Norwegen ist historisch schlicht falsch – im damaligen Norwegen gab es keine gnadenlose Ausbeutung à la USA; die übertriebenen Verweise durch norwegische Flaggen-Girlanden denunzieren den falschen Feind.

Und sich im Programmheft prominent auf Carl Schmitt („Das Meer ist frei.“) zu berufen,  ist nicht nur geschmacklos, sondern ignoriert die schändliche Rolle Schmitts als intellektuellem Steigbügelhalter des Nationalsozialismus .

Da fehlt entweder das nötige historische Grundwissen, oder es wird überflüssigerweise provoziert – oder es wird um Ecken herum an das besser-wissende Publikum appelliert.

Das Dilemma liegt offenbar in dem Versuch, individuelle Empfindungen authentisch zu präsentieren, diese aus Wagners Mythologie abzuleiten – und beides historisch-konkret zu  belegen: Das scheitert an mangelndem historisch-analytischen Durchblick und fehlender politischer Orientierung!

Mathis Neidhardt stellt intime Handlungsräume auf die großformatige Bühne – ein Reederei-Büro, einen Salong Lengsel („Sehnsuchts-Salon“), eine Hafenbar, offene Szene mit Ausgang zum Fjord: Handlungsräume von hoher Authentizität, die sich sich mit Hilfe der opulenten Bühnentechnik verschieben wie Überblendungen im alten Film – ohne die technischen Möglichkeiten überzustrapazieren.

Jac van Steen leitet die ungemein variabel aufspielenden Dortmunder Philharmoniker zu einem hoch bemerkenswerten Klang: Geschmeidig im Duktus, transparent in den Tutti,  sensibel begleitend – mit atemberaubend-stimulierenden Pausen-Effekten!

Das neue Dortmunder Ensemble – es gab keine Nörgeleien über die Verabschiedung der geschätzten Sänger aus den letzten Spielzeiten – erfüllt alle Erwartungen:

Andreas Macco ist ein zweifelnder Holländer mit interpretationssicherem Bariton, klar in der Intonation, variabel in der Phrasierung. Wen Wei Zhang verleiht dem insolventen Daland  variationsreiche Stimme, beeindruckt mit hörbarer Substanz und ist überzeugend in allen Lagen. Mit Mikhail Vekua  steht ein vielversprechender heldisch strahlender Tenor als Erik auf der Bühne; zugleich ein Darsteller von bewundernswerter Spiel-Kompetenz. Christiane Kohl gibt der Senta die gesamte Skala von Gefühlen von Leidenschaft, Aggressivität, Sehnsucht und Trauer - beeindruckend vor allem in den souverän gestalteten so kritischen Höhen. Lucian Krasznec spielt und singt den Steuermann mit überzeugend-stimmvariablem Tenor; Andrea Rieche bleibt als Mary regiebedingt eine eher unbeachtete Randfigur. Nachgerade formidabel: Chor, Extrachor in der Einstudierung von Granville Walker und Statisterie - kollektiv brausend, darstellerisch explosiv!

Neu-Anfang in Dortmund: Ein prima Ensemble, eine diskussionswerte Inszenierung, das Orchester in Hochform – aber vor allem: viele Neue im Auditorium - man wird sehen, „Wie das wird!“

Franz R. Stuke






 
Fotos: Thomas M. Jauk/Stage Picture