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Fakten zur Aufführung 

ELIAS
(Felix Mendelssohn Bartholdy)
3. März 2012
(Premiere)

Oper Dortmund


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

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Nach der Premiere




Erst verwirrt, dann begeistert Jens-Daniel Herzog das Publikum in der Dortmunder Oper mit seiner Operninszenierung des Oratoriums Elias (3'28).

 

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Das Kollektiv entscheidet

Oratorium ist, wenn ein Haufen Menschen in Abendgarderobe in einer Kirche steht und Musik mit religiösen Themen aufführt. Zumindest in Dortmund stimmt das ab sofort nicht mehr. Dafür sorgt Jens-Daniel Herzog, Intendant der Oper Dortmund, der das Oratorium Elias als bewegte Oper auf die Bühne bringt. Er versteht den Elias nicht als alttestamentarischen Helden, sondern als modernen, erfolgreichen, smarten Politiker, der es versteht, das Volk für sich einzunehmen. Sein Staatsoberhaupt ist seiner Zeit voraus und möchte mit den Nachbarstaaten kooperieren, auch wenn das für sein eigenes Volk Religionsfreiheit bedeutet. Elias steigt aus, bringt das Volk auf seine Seite und verteidigt so den „einzig wahren Glauben“. Als er seine Aufgabe erfolgreich zu Ende gebracht hat, wird er gefeiert und weggelobt. Der Held ist schon bei Mendelssohn keiner, sondern vielmehr ein Verhinderer – und so lässt Herzog ihn denn auch letztlich wie einen geprügelten Hund von der Bühne schleichen, statt dass er mit Pomp und Glorie in den Himmel fährt. Eine interessante Interpretation. Nach einer offenen Probe hat es dazu böse Leserbriefe gegeben, die hinter der Aufführung Blasphemie vermuteten. Oft sind ja Blasphemie und Bigotterie enge Freunde. Die Bühne von Mathis Neidhardt jedenfalls ist eher konventionell. Eine Art Wartesaal, in dessen Mitte eine kreisrunde Hebebühne bei Bedarf für wechselnde Bilder sorgt. Dieser Raum wird von Ralph Jürgens meistens zurückhaltend, aber wirkungs- und stimmungsvoll ausgeleuchtet. Darin tummeln sich Chor und Extrachor sowie die Statisterie in eindrucksvoller Choreografie von Adriana Nadolni. Verena Polkowski hat sich bemüht, die Choristen so zu kleiden, dass ein Bevölkerungsquerschnitt entsteht: Da gibt es die Krankenschwester ebenso wie den Müllmann und den Gewerkschaftsfunktionär, Otto Normalverbraucher und Freudenmädchen. Die Solisten sind entweder als „Eingreiftruppe“ der Engel kenntlich gemacht oder tragen eine Art Uniform. Weniger originell ist der Auftritt der Königin Isebel im prüden Latex-Look. Solcherlei Ideen gibt es viele in Herzogs Inszenierung. Feuerwerkskörper und Konfetti-Schlangen, Menschen, die vom „Himmel“ herabsteigen und das Blut, das den Choristen auf Stirn und Wange geschmiert wird, haben wir alles schon gesehen. Und auch die Idee, die „Abschlussrede“ des Elias als amerikanische Wahlkampfpartie anzudeuten, um noch sechs Cheerleaders auf die Bühne zu schicken, ist nicht wirklich ganz neu. Immerhin werden die Effekte meist stimmig eingesetzt und stören kaum. Und irgendwann wird auch in Dortmund die Kunde erklingen, dass es nicht dramatisch, sondern außerordentlich störend ist, wenn das Publikum mit Scheinwerfern oder gar Blendkörpern geblendet wird. Ebenso störend, wenn im mitreißenden Schlusschor das Saallicht eingeschaltet wird.

Im Vordergrund des Geschehens aber bleiben, wie es sich gehört, Sänger und Chöre. Der Star des Abends ist ein Junge, der im Besetzungszettel leider nur mit „Solist des Knabenchors der Chorakademie“ genannt wird. Da hat jemand nicht nachgedacht. Der junge Mann läuft allen den Rang ab. Sein Schauspiel ist das eines Alten, über den gesamten Zeitraum hochkonzentriert und fehlerfrei, intensiv und glaubwürdig. Als er auf einer Leiter steht, mit größtem Selbstverständnis, ohne altklug zu wirken, und seinen Knabensopran erklingen lässt, greift der eine oder andere Zuschauer doch unwillkürlich zum Taschentuch. Der Brillant unter den Diamanten, die an diesem Abend zu erleben sind. Herzog hat ausschließlich aus dem Ensemble besetzt und Recht daran getan. Begeisternd Christian Sist, der als Elias seinen Bass auch fehlerfrei und mit Hingabe in tenorale Höhen treibt, ohne an irgendeiner Stelle durch Unverständlichkeit zu trüben.  Dabei verleiht er seiner Rolle Ausdruck, wirkt unglaublich echt und nicht einen Moment theatralisch. Mezzosopranistin Katharina Peetz und Anke Briegel begeistern ebenfalls als Engel in der Natürlichkeit ihres Ausdrucks, mehr noch aber mit ihren Stimmen, die sicher, warm und weich durch den Abend geleiten. John Zuckerman als lyrischem Tenor fehlt das Volumen, das für den Obadja notwendig wäre, und tut sich mit der Aussprache schwer, so dass das Publikum sich an den Übertiteln orientieren muss, die die Inhalte mitunter sehr frei wiedergeben. Julia Amos bringt als Witwe eine ordentliche stimmliche Leistung, erreicht aber bei der Israel-Arie als ihrem eigentlichen Glanzstück nicht den Glanz, den man von ihr hätte erwarten dürfen. Martin Müller-Görgner spielt und singt den Ahab sehr ordentlich, und Diane Blais, Hyun Seung Oh sowie Karl Heinz Lehner unterstützen das Geschehen als Engel überzeugend. Ileana Mateescu spielt in ihrem unglücklichen Aufzug im Bühnenhintergrund als Königin wenig überzeugend und kaum verständlich.

Hochgradig verständlich bleiben die Chöre des Theaters in der Einstudierung von Altmeister Granville Walker. Ein Genuss, sie zu erleben und zu hören. Selbst in den Bewegungsphasen bleiben sie präzise, nuancieren und nutzen alle großartigen Möglichkeiten, die ein Elias einem Chor bietet.

Dabei werden sie von den Dortmunder Philharmonikern brillant unterstützt. Motonori Kobayashi leitet mit großer und ruhiger Geste. Keine Sekunde lässt er die Chöre allein, ohne das Orchester zu vergessen. Das spielt perlend, dramatisch und immer bestens temperiert, bevor im Schlusschor alles ausgepackt wird, was geht. Das nennt man dann finale furioso!

Die allfällige Diskussion über „Darf man das?“ ertönt schon in der Pause eher halbherzig, ist nach dem Schlussakkord kein Thema mehr. Stattdessen sind plötzlich massenweise „Buh!“-Rufe zu hören, in die sich frenetischer Applaus, Fußstampfen und bravi mischen. Die Sitznachbarin klärt auf: Es sei in Dortmund üblich, „Gut!“ zu rufen. Immer wieder schön, regionale Besonderheiten kennenzulernen, wenn sie auch den Ungeübten irritieren mögen. Darüber nachzudenken, bleibt keine Zeit mehr, weil das Publikum sich in tumultartigem, stehendem Beifall ergeht, der selbst dann nicht nachlässt, als das Regie-Team auf die Bühne tritt. Und nach diesem Abend fühlt man sich wie nach einem Kirchgang: Irgendwie ein Stückchen besser.

Michael S. Zerban

 

 







Fotos: Thomas M. Jauk