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Fakten zur Aufführung 

L'ELISIR D'AMORE
(Gaetano Donizetti)
7. April 2013
(Premiere)

Theater Dortmund

Points of Honor                      

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Zum Glück reich geworden

Vielleicht liegt es am ersten sonnigen Sonntag, dass zur Premiere des Liebestranks teilweise ganze Reihen im hinteren Parkett fast leer bleiben. Es ist ein trister Anblick. Vielleicht sind die Dortmunder eine ebensolche Arbeitergesellschaft, wie sie Regisseur Christian Tschirner im Liebestrank als Grundlage sieht. Der legt Donizettis Oper nur auf den zweiten Blick als Romanze an. Wenn sich der eiserne Vorhang ein Stück weit hebt, blendet den Zuschauer als erstes der sonnenartige Scheinwerfer. Ein ganzer Haufen Landarbeiter drängt sich unter dem Vorhang her nach vorne in den Schatten, so wie es auch vom Libretto vorgesehen ist. Der zweite Blick der Zuschauer fällt auf die riesigen Türme aus Holzpaletten, die Aljoscha Begrich auf die Bühne gewuchtet hat. Von italienischer Ländlichkeit keine Spur, stattdessen triste Arbeitnehmer-Tristesse im untersten Niedriglohnsektor. Dass Adina hier die Chefin ist, kann man höchstens daran erkennen, dass Nemorino ihr wie ein lieber Hund hinterher dackelt. Auch die Kostüme von Esther Krapiwnikow übernehmen gesellschaftliche Abgrenzung. Dienstliche Autorität strahlt Belcore samt Polizei-Einheit aus, die Adinas Arbeiter mit Schlagstöcken auf illegale Einwanderer und Schwarzarbeiter untersucht. Die Palettenstadt verliert ihre Reize allerdings in den ersten 20 Minuten, auch wenn die Darsteller in schwindelerregender Höhe zu singen haben. Daran ändert auch der unermüdliche, fast nervige Einsatz der Drehbühne im zweiten Akt nichts. Im ersten Akt hat die Bühne immerhin den Vorteil, die Sänger von allen Seiten im Klang zu stützen, während beim relativ offenen zweiten Akt gleich eine Spur weniger kommt. Bei Tschirner kommt zunächst das Gefühl auf, dass nach 20 Minuten sein Konzept Geld gegen Liebe schon ausgespielt hat, so traditionell harmlos spult er die Komödie um den verliebten Nemorino ab. Doch im zweiten Akt findet er seine Linie wieder. Selten hat man so deutlich gesehen, dass es das reiche Erbe seines verstorbenen Onkels ist, das Nemorino, der eben noch der Klassenclown war, zu einem attraktiven Mann macht. Die Chordamen laufen ihm mit Schildern nach, auf denen recht eindeutige Angebote stehen. Auch für Adina ist das der Punkt, wo sie ihn als vollwertigen Mann anerkennt. An der Stelle lässt Tschirner es rote Rosen regnen und bricht den pseudokitschigen Moment sofort wieder: Nach den Blättern schlagen ganze Bündel der Blumen wie Bomben neben dem Liebespaar ein, das sich schnellstens in Sicherheit bringt. Sterile Arbeiter beginnen die Rosen in Kisten zu packen – das Geschäft mit der Romantik boomt. Nemorino, der weiß, wem er sein Glück zu verdanken hat, schaut nun im Anzug der Arbeit zu. Dulcamara preist zwar noch die Vorzüge seiner Tränke, sieht aber eher wie der Gewerkschaftsgründer der näheren Zukunft aus. Und Belcore versucht sein Brautkleid schon an die nächste Frau zu bringen. Der Traum von bedingungsloser Liebe geht hier nicht auf. Tschirner zeigt das ohne moralischen Zeigefinger, dafür aber mit einer schönen Prise Humor, was ja auch dem Geist der Musik entspricht.

Die Solisten präsentieren sich Belcanto-würdig, aber auf verschiedenen Spezialgebieten: Lucian Krasznec empfiehlt sich mit einem strahlenden Timbre für den verliebten Bauern Nemorino. Optisch hat man das Gefühl, er wolle Rolando Villazón nacheifern. Wie bei ihm zu erwarten, ist die berühmte Arie Una furtiva lacrima ein Höhepunkt. Technisch sollte er die Rolle noch durchgängiger gestalten und für die Höhe etwas mehr Selbstvertrauen gewinnen. Julia Amos tritt sehr glaubhaft als kecke Adina auf. Auch ihre große Arie gerät zu einem Triumph. Zunächst völlig zurückgenommen gesteht sie zum Schluss in einem Koloraturjubel Nemorino ihre Liebe. Danach wirkt sie allerdings recht atemlos. Gerardo Garciacano spielt den Belcore mit Macho-Attitüde und Belcanto-Qualitäten. Christian Sists Bass wirkt zuweilen etwas flach. Sein ausgefuchster Dulcamara ist aber nie um ein gewitztes Parlando und um Bühnenpräsenz verlegen. Allein wie sich der lange Bass bei seiner Auftrittsarie aus dem kleinen Ape-Kastenwagen schält, ist den Besuch der Aufführung wert. Tamara Weimerich steigert sich nach einem etwas vorsichtigen ersten Akt zu einer sehr guten Gianetta. Das Solisten-Ensemble wird grandios bereichert durch einen herrlich klangvollen wie auch agilen Opernchor, der die Szene vokal und körperlich nochmals aufwertet. Granville Walker hat bei der Einstudierung – wieder einmal – ganze Arbeit geleistet.

Dirigent Motonori Kobayashi verfolgt sein musikalisches Konzept einer schlanken, flinken Auslegung der Partitur sehr deutlich, doch muss er und das recht homogene Ensemble noch weiter daran feilen. In der Premiere gibt es schon viel Erfreuliches, aber auch einige nicht zu überhörende Hänger in Text und Einsätzen. Bei letzterem müsste auch etwas mehr Hilfe vom Pult kommen. Im hochgefahrenen Orchestergraben sieht man schön, wie Kobayashi die sehr aufmerksam spielenden Dortmunder Philharmoniker mit deutlichem Schlag zu einem blitzenden Spiel anfeuert. Die Partitur funkelt in vielen Details, die Tempi sind nie vorsichtig – das kann sich hören lassen und verbreitet gute Laune. Die Qualität des Orchesters misst sich an den hervorragenden Soloauftritten von Daniel Hufnagl und Mitsugu Hotta auf dem Kornett sowie Louis-Pierre Janquin und Roland Krebs am Schlagzeug.

Dieser Liebestrank hat das Zeug, zum Renner der Saison zu werden – wenn nur das Publikum käme. Die Premieren-Besucher aber immerhin geben ihr Bestes, die Sänger entsprechend zu feiern. Das gesamte Ensemble, Dirigent und Orchester wird bejubelt – mit Schwerpunkten bei Sist, Krasznec und Amos. Auch das Regieteam bekommt einen sehr positiven, wenngleich auch schwächeren Applaus. Beschwerden hört man nur über die warmen Temperaturen im Theater, die Herren entledigen sich schnell ihrer Jacketts. Das hat man seit Monaten nicht mehr erlebt.

Christoph Broermann

 





Fotos: Thomas M. Jauk