Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

CARMEN
(George Bizet)
1. Februar 2014
(Premiere)

Theater Dortmund

Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Unter der Sonne Sevillas

Sevilla, spanische Opernstadt ohnegleichen. Figaro und Don Giovanni sind dort umtriebig und eigentlich auch Carmen. Bei Regisseurin Katharina Thoma, Kostümbildnerin Irina Bartles und Bühnenbildnerin Julia Müller scheint es sich – wenn überhaupt Sevilla – nur um die äußerste Peripherie der Stadt zu handeln. Dort, wo die andalusische Wüste schon anfängt, wo sich ein einsames Windrad dreht, wo die Männer wirklich keine andere Ablenkung als die Damen aus der Tabakfabrik haben, dort spielt in Dortmund Carmen. Dort, wo nichts ist, außer schäbigem Wellblech und ausgrenzendem Maschendrahtzaun, kochen die Emotionen in sonnig-schwüler Atmosphäre hoch, weil jeder versucht, sich ein Stückchen Liebe und Individualität zu erobern.

Wenn es darum geht, das Umfeld, die Situation zu beschreiben, dann gelingen dem Regieteam nicht unbedingt schöne, aber doch treffende Bilder. Auf dem an sich fast leeren Platz vor der Zigarettenfabrik können die Soldaten die seltsamen Leute noch besser beobachten. Die alte Obdachlose ist nicht nur hier vertreten, sondern durchschreitet die Akte wie ein Symbol des Scheiterns. Carmen verdreht dem pflichtbesessenen Don José nicht einfach nur den Kopf, sondern gibt ihm ein Gefühl, dass ihm seine liebe Micaela nicht geben kann. Von der freien, ungebundenen Liebe können alle anderen nur träumen: Wenn Carmen ihre Habanera singt, klammern sich Arbeiterinnen, Soldaten und Besucher tanzend aneinander. Im vierten Akt ist es Carmen, die für ihren Escamillo schon wieder fast abgeschrieben ist. Sie muss zusehen, wie er in die Kamera lächelt und sich ein sehr, sehr viel jüngeres Modell angelt. Und ganz kurz steht sie für einen kurzen Moment zwischen dem jungen Mädchen und der alten Obdachlosen, zwischen Vergangenheit und möglicher Aussicht. Ihre Entscheidung für Don José zu treffen, wird somit sehr plausibel erklärt.

Doch wenn es darum geht, diese Bilder mit sinnvollen Bewegungen zu füllen, dann gerät die Regie an ihre Grenzen. Oftmals laufen die Aufritte so mechanisiert und wie nach der Stoppuhr ab, dass es schon fast komisch wirkt. Auch die Verlegung in die Gegenwart hilft da nicht weiter. Weder Micaelas Erinnerungsfoto vor der Soldaten-Baracke, noch der Grenzzaun für die Schmuggler, die hier als Schieber auftreten. Dazu kommen noch viel zu plakative Einfälle: Wenn Carmen sich mit den Karten selbst den Tod vorhersagt, steht eine Gestalt mit Totenkopfmaske zwischen den schlafenden Einwanderern. Der Effekt geht gegen null. Sterben muss aber vor Carmen noch Micaela. Sie wird versehentlich von einem Warnschuss getroffen.

Eine also nicht ganz in sich geschlossene Regie trifft auf eine sehr gute musikalische Umsetzung. Einen Ausfall gibt es nicht zu beklagen. Ausgefallen ist aber kurz vor der Premiere Katharina Peetz und somit muss Zweitbesetzung Ileana Mateescu schon zur Premiere ran. Sie ist sicher keine femme fatale, dafür fehlt es ihr derzeit noch an stimmlicher und körperlicher Ausstrahlung. Doch ansonsten lässt ihre sehr kultiviert und konzentriert gesungene Carmen keine Wünsche offen – auch wegen ihrer sehr angenehmen Stimmfarbe und ihrer attraktiven Erscheinung. Den Rest wird die Erfahrung mit sich bringen. Christoph Strehl hat die Zweifel des Don José leicht auf der Stimme liegen. Beeindruckend aber, mit welcher Intensität Strehl diese Rolle verkörpert und auch noch im vierten Akt, wenn seine Stimme etwas abbaut, mit sehr viel Gefühl und aufgestauter Wut aufwarten kann. Christine Kohl als Micaela ist vor allem im ersten Akt purer, lieblicher Wohlklang. Morgan Moodys Escamillo stellt sich mit kräftigem Bariton und smarter Gestalt spielend einfach in den Mittelpunkt – ein ganz cooler Typ.

Eindrucksvoll, dass dieses stimmliche Niveau auch in den Nebenrollen gehalten wird: Gerado Garciacano und Christian Sist mimen die Macho-Polizisten Moralès und Zuniga mit Bravour. Anke Briegel und Aglaja Camphausen steuern als Frasquita und Mercedes ganz viel Schwung bei. Stephen Boving und besonders Fritz Steinbacher zeigen, wie wichtig die Zwischenstimmen von Dancaϊre und Remendado in den Ensembles sind, wenn man sie so schön und deutlich hören kann. Granville Walker hat bei der Chor-Einstudierung wie üblich ganze Arbeit geleistet, wenngleich man im ersten Akt noch Unsicherheiten in der Intonation und im Zusammenspiel mit dem Orchester hören kann. Doch der Chor steigert sich immer mehr in die Aufführung hinein. Und die Kleinen präsentieren sich als die ganz Großen: Der Opern-Kinderchor der Chorakademie Dortmund ist sowohl im Klang als auch im Engagement nicht zu schlagen. Zeljo Davutovic kann mit der Leistung seiner Schützlinge hoch zufrieden sein.

Die Maßstäbe des Abends werden aber im Graben gesetzt, wo Gabriel Feltz mit den Dortmunder Philharmonikern nicht auf pseudo-spanische Untermalung setzt, sondern das Geschehen buchstäblich in Töne und Akzente umsetzt. Die Ouvertüre rattert in rekordverdächtigem Tempo los. Auch in einigen Chören klappert es noch verdächtig, weil Feltz vielleicht etwas zu sehr auf das Gaspedal drückt. Viel wichtiger sind aber die vielen Feinheiten in einem Klangbild, wo jede Instrumentengruppe ihren Anteil zum Erfolg beisteuert. Diese Carmen überzeugt sowohl als dramatischer Schocker als auch als spritzige, volksnahe Musik.

Und das Publikum ist begeistert. Ausgerechnet in der Oper Dortmund, die eine ganze Zeit lang als Wüste unter den Zuschauerräumen bekannt war, ist nun wieder das blühende Leben ausgebrochen. Der begeisterte Applaus des ausverkauften Hauses ist vollauf gerechtfertigt. Nur beim Regieteam hält sich das Publikum etwas zurück. Man hört es am differenzierten Beifall: Die Oper in Dortmund lebt!

Christoph Broermann

 





Fotos: Thomas M. Jauk