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Fakten zur Aufführung 

BRUNDIBÀR
(Hans Krása)
23. September 2013
(Premiere)

Chorakademie Dortmund, Reinoldisaal


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

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Beispielhafte Erinnerungsarbeit

Das so genannte Konzentrationslager Theresienstadt nahm unter dem Regime der Nationalsozialisten eine Sonderstellung ein, es galt für Propagandazwecke als „Alterslager“, andererseits wurde es für einige Monate als „Vorzeigelager“ missbraucht, um auf Druck der internationalen Öffentlichkeit über die Funktion der Konzentrationslager zu täuschen. Für einen Besuch des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz 1944 wurde von der SS eine durch die Häftlinge zu tragende „Verschönerungsaktion“ veranlasst, zu der unter anderem Cafés eröffnet, ein „Kinderpavillon“ und auch kulturelle Aktivitäten wie die Kinderoper Brundibár des inhaftierten Komponisten Hans Krasá präsentiert wurden. Das Komitee hinterfragte nichts, sprach nicht alleine mit Häftlingen – erst 1945 erwirkte es die Ausreise von 1200 Menschen in die Schweiz. Die Tatsache, dass Theresienstadt für 88.800 Menschen als Durchgangslager in die wirklichen Vernichtungslager diente und 33.000 inhaftierte Menschen bereits in Theresienstadt aufgrund der katastrophalen Lebensumstände umkamen oder ermordet wurden, wurde „übersehen“. In Theresienstadt gab es 15.000 Kinder. 150 überlebten.

Für die inhaftierten Menschen, darunter viele berühmte Maler, Komponisten, Intellektuelle, Musiker, Autoren, war das kulturelle Schaffen im Lager überlebenswichtig, denn es stellte eine Zuflucht vor der grausamen Wirklichkeit dar. Zunächst illegal, später für Propagandazwecke geduldet, entstanden so trotz der widrigen Umstände bedeutende Werke aller Sparten. Gleich zwei Opern erlangten durch Theresienstadt erst spät traurige Berühmtheit: Neben der Kinderoper Brundibár kennt man heute die von der Lagerleitung im letzten Moment verbotene Oper Viktor Ullmanns Der Kaiser von Atlantis, in der die Anspielungen auf Hitler in Form des verrückten Kaisers zu gewagt waren. Doch auch in der Kinderoper Brundibár, 1941 in einem Kinderheim in Prag uraufgeführt, und von Hans Krasá im Lager erneut aus dem Gedächtnis aufgeschrieben, gibt es den Konflikt zwischen Gut und Böse: die Halbwaisen Pepíček und Aninka brauchen dringend frische Milch für ihre kranke Mutter, doch ohne Geld will ihnen der Milchmann keine geben. Sie beobachten, dass der Leierkastenmann Brundibár Geld verdient und beschließen, ebenfalls Musik zu machen. Doch ihr Gesang ist zu leise, und Brundibár, der keine Konkurrenten duldet, vertreibt die Geschwister. In der folgenden Nacht kommen ein Hund, eine Katze und ein Spatz zu Hilfe und hecken einen Plan aus: Zusammen mit ganz vielen Kindern wollen sie Brundibár übertönen und so das benötigte Geld sammeln, denn nur gemeinsam ist man stärker. Und tatsächlich, ein wunderschönes Lied überzeugt das Publikum, doch der böse Brundibár versucht, das Geld zu stehlen, wird aber von den Tieren und Kindern daran gehindert. Zusammen singt man das triumphierende Lied Ihr müsst auf Freundschaft bau‘n.

In Dortmund will die Chorakademie heute an die Kinder erinnern, die mehr als 55 Aufführungen in Theresienstadt gesungen haben, und die fast alle in Ausschwitz ermordet wurden. An die Kinder, denen dieses Werk Freude und Hoffnung gegeben hat, die in die Phantasiewelt der Oper eintauchen durften, in der man gegen das Böse etwas unternehmen kann, wenn man nur zusammenhält, in der es Milch, Eis und Brot gibt. Nach einer kurzen Ansprache von Hartmut Anders-Hoepgen, Sonderbeauftragter des Dortmunder Oberbürgermeisters für Vielfalt, Toleranz und Demokratie, wird das Publikum, darunter als besondere Gäste eine israelische Jugendgruppe, in den Saal gelassen, aus dem man bereits vorher aufgeregtes Schnattern hören kann. Für die Kinder des Opernchores ist es offensichtlich sehr aufregend, bei diesem Projekt mitzuwirken.

Regisseurin Corinna Preisberg hat sich etwas Besonders einfallen lassen, um an das Werk und seine schwierige Geschichte heranzuführen. Ein Vorspiel zeigt auf der Bühne ein Museum mit Ausstellungsstücken aus Theresienstadt und der Kinderoper. Da liegen Erinnerungssteine, Requisiten wie die Masken der Tiere und Mützen von Aninka und Pepíček und der Leierkasten. Auf zwei Leinwänden werden Bilder, Sprüche und Videosequenzen eingeblendet. Dabei wird auch eine Sequenz aus dem Dokumentarfilm Mut zum Leben gezeigt, in der die Überlebende Greta Klingsberg, die in Theresienstadt mehr als 50 Mal die Rolle der Aninka sang, über ihre Erfahrung spricht. Der Hausmeister des Museums erklärt einigen anwesenden Kindern, was es mit diesen Erinnerungen auf sich hat. Er wird sauer, als einige Kinder es wagen, die kostbaren Dinge anzufassen. Brüllend jagt er sie von der Bühne, nur ein Mädchen kann sich verstecken und schlendert nun alleine neugierig durch die Ausstellung, in der sie nach und nach Ausstellungstexte vorliest. Die Besucherin übernimmt nun die Rolle des Erzählers und fragt auch schon mal mittendrin, wie es denn jetzt weiter gehe. Helena Beyer macht da wirklich einen tollen Job, sie spielt frei und spricht deutlich und klar.

Der eigentlichen Oper wird zusätzlich eine musikalische Einführung in Form eines Liedes von Ilse Weber vorangestellt. Weber war Kinderkrankenschwester in Theresienstadt. Sie selber und ihr jüngster Sohn wurden zusammen mit „ihren“ Kindern, denen sie freiwillig in die Deportation folgte, in Auschwitz ermordet. Augenzeugen berichten, sie habe noch in der Gaskammer den Kindern ein Lied vorgesungen. Die a capella und im Solo vorgetragenen ersten Strophen erwischen den Zuhörer kalt, denn der Text liegt ohne Begleitung zunächst unbarmherzig offen: Ich wand’re durch Theresienstadt, das Herz so schwer wie Blei […] Nach Haus! – du wunderschönes Wort, du machst das Herz mir schwer, man nahm mir mein Zuhause fort, nun hab ich keines mehr. […] Theresienstadt, Theresienstadt – wann wohl das Leid ein Ende hat und endet im sanft vorgetragenen Chorsatz mit der Frage Wann sind wir wieder frei? Nach diesem beklemmenden, aber thematisch passenden Einstieg darf die Oper starten. Die Kinder legen mit viel Enthusiasmus los und singen mit klaren Stimmen die nicht immer einfachen Melodien Krasás. Ob nun Mary Cialkowski als strenger Polizist mit warmer Stimme, Carolin Schumann als überzeugend kaltherziger Milchmann oder Anna Maier als verlockender Eisverkäufer, alle Rollen werden mit viel Spielfreude, ausgesprochen guter Textverständlichkeit und großem Gesangstalent vorgetragen. Auch die Tiere sind konzentriert bei der Sache, da schmeichelt Emily Jüngling als Katze, Laura Weber hüpft als Spatz und Nils Hilberseimer steht als einziger Junge wacker seinen Hund. Gina Alter spielt und singt die Aninka ebenso wie Nora Lemjimer als ihr Bruder mit Elan und sich glänzend ergänzenden Stimmen. Carlo Schmidt in der Rolle des Hausmeisters und später als Brundibár kann herrlich brüllen und schimpfen, wirkt aber schon fast zu sympathisch als Bösewicht. Auch der Komponist Hans Krasá tritt auf, Ulrich Pakusch erklärt an seiner statt, was für eine Bedeutung die Oper den Kindern in Theresienstadt hat.

Das Bochumer Salonorchester spielt hinter der Bühne und wird erst zum Schlussapplaus „freigelegt“. Ein Monitor vor der Bühne überträgt die Einsätze des Dirigenten für die Kinder. Die Musiker nehmen sich unter der Leitung von Zeljo Davutovic mit oft langsamen Tempi und Feingefühl der außergewöhnlichen Musik Krasás an, während die Kinder– vielleicht vor Aufregung – häufig etwas voranpreschen.

Das Publikum ist begeistert und applaudiert für die erleichterten Kindern heftig. Auch wenn einem beim hoffnungsvollen Finallied wieder das schreckliche Schicksal der Kinder Theresienstadts bewusst wird, deren Sehnsucht niemals wahr werden durfte: Mutter, es ist so weit, aus ist die Kinderzeit, denkst du daran, wie rasch sich alles ändern kann? Leer steht unser Kinderbett, wir geh’n fort aus dem Haus, in die Welt zieh’n hinaus, tun, was uns gefällt. […] Doch neues Glück beginnt, auch wenn die Zeit verrinnt, in meiner Wiege träumt schon bald dein Enkelkind.

Nach der Aufführung hört man erleichtertes Jubeln der Kinder hinter der Bühne – Brundibár schafft es also noch immer, unter dem Motto „Ihr müsst auf Freundschaft bau’n“ Kinder zu begeistern und zu vereinen und sie für das Schicksal ihrer Vorgänger zu sensibilisieren.

Miriam Rosenbohm

Fotos: Opernnetz