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Fakten zur Aufführung 

BORIS GODUNOV
(Modest Mussorgsky)
30. September 2012
(Premiere)

Oper Dortmund


Points of Honor                      

Musik

Gesang

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Macbeth auf Russisch

Modest Mussorgsky vollendete lediglich eine seiner Opern. Das wäre Grund genug, dieses Werk in seiner Gesamtheit zu zelebrieren. Doch es kommt anders: Mussorgsky selber sieht sich durch die unter anderem politisch motivierte Ablehnung seiner ersten Fassung gezwungen, eine bisher fehlende Liebesszene einzufügen. Zudem fertigten die Kollegen Rimski-Korsakow und Schostakowitsch Neuinstrumentierungen an, da die eigenwillige Klangfarbe des Komponisten teilweise selbst noch in unseren Ohren modern klingt. Das Nebeneinander verschiedener Fassungen einer Oper ist nicht selten, und der Trend geht dahin, sich auf diejenige Fassung zu besinnen, die der Intention des Komponisten am ehesten gerecht wird. Die Dortmunder Oper jedenfalls entscheidet sich für Mussorgsky pur – und zwar ohne Liebe. Das kann man durchaus als mutig bezeichnen, denn diese Oper ist kein leichter Stoff. Dazu kommen die komplexe, bisweilen massige Musik und der deklamatorische Gesangsstil.

Besonders ist diese Oper auf jeden Fall, was mit Sicherheit auch an der tragischen Titelfigur Boris Godunov liegt, der ähnlich wie der Shakespearesche König Macbeth an seinem Machthunger scheitert. Boris wird Zar, da er seinen Nebenbuhler, den rechtmäßigen Zarewitsch Dmitri als Kind ermorden ließ. Obwohl er sein Ziel, Zar zu werden, erreicht hat, verfolgt ihn seine Tat. Der Mönch Grigoriij behauptet nämlich, er sei der auferstandene Dmitri und beansprucht den Thron. Vor lauter Schuldbewusstsein hat Boris Halluzinationen, die ihn – von seinen Gegnern gefördert – in Wahnsinn und Tod treiben. Sein Sohn Fjodor soll ihn beerben und frei von Sünde den Thron besteigen, doch der falsche Dmitri triumphiert, vom Volk gefeiert. Die Handlung aus Blut, Gewalt und Machthunger verlegt Katharina Thoma aus dem 16. Jahrhundert ins frühe 20. Jahrhundert. Sie bleibt aber historisch unbestimmt, spielt mit den Assoziationen des Publikums, was durchaus verwirrend sein kann. Zwar arbeitet sie mit nachvollziehbarer Symbolik, wie Pappmodellen von russischen Monumenten oder der Zarenkrone als Spielzeug, kann sich aber damit nicht recht durchsetzen. Das liegt mit Sicherheit auch daran, dass Massen von Choristen und Statisten positioniert und inszeniert sein wollen. Da kann man es kaum übel nehmen, wenn gerade die Massenszenen etwas statisch geraten und auf der anderen Seite Affekte wie Feuer am Bühnenrand und gehängte Puppen lasch scheinen. Die Stärke Thomas liegt darin, die Emotionen der Protagonisten herauszukitzeln und kleine Geschichten in der Geschichte zu erzählen, wie die feinfühlige Darstellung des Gottesnarren und des verzweifelten Herrschers. Platt gerät die Darstellung der nymphomanen Wirtin in der sonst lebhaften Wirtshausszene, ebenso wie die des Sohnes Fjodor im klischeehaften Matrosenanzug. Obwohl die meisten Kostüme den Erwartungen entsprechen – Anzug für den Zaren, üppiger Krönungsmantel als Herrschaftsinsignie, sozialistische Soldatenuniformen und herrlich schmierige Kutten, sehen der alte Chronist, Fjodor als Hosenrolle und die Amme mit Riesen-Dutt verkleidet aus. Gelungen ist Irina Bartels Entwurf für den Gottesnarren, dessen verkommenes Gewand aus grobem Tuch mit überlangen Ärmeln dessen Elend und Ausdruck verstärkt. Das Bühnenbild von Stefan Hageneier ist schlicht und dennoch eindrucksvoll. Es spiegelt die triste, kalte Atmosphäre der grausigen Handlung wider. Rohe wie unverputzte Wände werden nur in der Wirtshausszene hinten durch einen tristen Birkenwald aufgelockert. Diese schlichte Gestaltung ist schlau, denn die platzsparende Konzeption bietet die Möglichkeit, das enorme Personenaufgebot von drei Chören, Sängern und Statisten auf der Bühne unterzubringen. Demgegenüber lässt das Bühnenbild die Darsteller in Einzelszenen passenderweise trist und verloren aussehen. Die entsprechende Lichtgestaltung von Ralph Jürgens und Stefan Schmidt macht die marginale Bühne bisweilen noch kälter.

Musikalisch ist es ein runder Abend, der nur begeistern kann: Chor und Extrachor, einstudiert von Granville Walker, beeindrucken durch starke Gesangsleistung und sorgen für frische, wenn auch nicht immer ganz beherrschte Spielfreude. Ein besonderes Highlight ist der Knabenchor der Chorakademie Dortmund unter der Leitung von Jost Salm, der mit klaren Stimmen und Ausdruckskraft auftritt. Die Kinder sind mit bemerkenswerter Professionalität dabei – da glaubt man gerne an die eine oder andere Zukunft als Sänger.

Jac van Steen dirigiert die Dortmunder Philharmoniker mit Energie, er fängt das Orchester sowie die Sänger immer wieder auf, die ihren Dirigenten bei der anspruchsvollen Musik genau im Auge haben.

Boris Godunow ist Dimitry Ivashchenko: Sowohl darstellerisch als mal ruhiger, mal rasender Despot, als auch stimmlich mit souveränem und dabei weichem, feinfühligem Bass bestreitet er die Titelpartie mit Bravour, was auch den Gefallen des Publikums findet. Seinen Sohn Fjodor spielt Ileana Mateescu, wegen einer Indisposition aber von der Seite aus von der akkuraten Hanna Larissa Naujoks gesungen. Den Thronräuber Grigorij singt Tenor Sergey Drobyshevskiy mit lyrischem Spinto so, dass man sich die fehlende Liebesszene wünscht, allein um ihm noch ein bisschen länger zuzuhören. Katharina Peetz darf gleich zwei kleine Partien singen und überzeugt als Schankwirtin und viel zu junge Amme. Christian Sist wirkt ebenfalls zu jung für die Rolle des altersschwachen Chronisten Pimen, doch sein heller, natürlicher Bass lässt das vergessen. Den intriganten Schuiskji gibt Hannes Brock geradezu unverschämt frisch. Sein 40-jähriges Bühnenjubiläum, 20 Jahre davon in Dortmund, sieht oder hört man ihm in keinster Weise an. Überraschung des Abends und neu erkorener Publikumsliebling ist Wen Wie Zhang, der den betrunkenen, entlaufenen Mönch mit genialem Schwung spielt und seinen Bass ganz den russischen Weisen leiht. Sein Bühnenpartner ist Blazej Grek mit kraftvollem Tenor. Sopran Tamara Weimerich gefällt als Tochter Xenia und mit wunderschönem Kleid. Das letzte, mit klarer Stimme gesungene Wort hat Philippe Clark Hall als Gottesnarr, den er überaus ausdrucksstark und agil spielt. Bis in die Nebenpartien kann das Dortmunder Ensemble mit tollen Stimmen aufwarten, die den Abend zu einem musikalischen Erlebnis werden lassen.

Das Publikum ist dementsprechend angetan und steht sogar teilweise auf, um Musikern und Regieteam seinen Tribut zu zollen.

Miriam Rosenbohm

Fotos: Thomas M. Jauk/Stage Picture