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Fakten zur Aufführung 

BEATRICE CENCI
(Berthold Goldschmidt)
9. Juni 2012
(Premiere am 26. Mai 2012)

Theater Dortmund

Points of Honor                      

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Die Opfer der Oper

Trotz des Wissens, dass der Großteil der Deutschen lieber 22 Sportlern beim Kicken zuschaut, als sich an einer wiederentdeckten Oper zu erfreuen, ist der erste Eindruck des Abends erschreckend. Der Zuschauerraum ist so gut wie leer, rund 60 Opernfreunde haben sich eingefunden. An der Leistung der Beteiligten kann es keinesfalls liegen, denn die lassen sich nichts anmerken und musizieren und singen so, als wäre der Saal voll. Nicht nur deswegen wäre Goldschmidts erst 1986 konzertant uraufgeführte Oper einen Besucherandrang wert.

Goldschmidt gehört zu den Komponisten, die mit dem schwierigen Begriff „doppelt verfemt“ bezeichnet werden. Nach einem überaus vielversprechenden Karrierestart im Deutschland der Weimarer Republik, emigriert er 1935 aufgrund des Nazi-Regimes nach England, wo er sich bald als erfolgreicher Dirigent beweisen kann. Seine kompositorischen Arbeiten aber geraten in Vergessenheit, verstärkt durch die Ablehnung seiner zeitgenössischen Kollegen, die seine der Spätromantik verpflichteten Musik als altmodisch abtun.

Beatrice Cenci ist eine Verarbeitung des Schreckens-Regimes auf sehr subtile Art. Verpackt in die Geschichte der römischen Heldin kann man erahnen, was Goldschmidt bewegt hat, als er sich 1949 diesen Stoff aussucht. Dabei ist die Geschichte von Beatrice, die unter ihrem gewalttätigen und geizigen Vater leiden muss, wie gemacht für einen Opernstoff. Graf Cenci ist ein brutaler Despot, der am Töten und Quälen Lust empfindet. Er erfreut sich sogar am von ihm inszenierten Tod seiner älteren Söhne, während die katholische Kirche, gefüttert mit Geld und Gütern, die Hände über ihn hält. Der Gipfel der Grausamkeiten ist erreicht, als er seine Tochter Beatrice vergewaltigt. Gemeinsam mit ihrer hilflosen Stiefmutter Lucrezia plant sie, Vater und Ehemann zu töten. Die Auftragsmörder werden jedoch gefasst und Beatrice und Lucrezia zum Tode verurteilt. Der Papst bleibt hart: Vatermord bleibt Vatermord, auch wenn die Angeklagten eigentlich selber die Opfer sind. Natürlich würden die Besitztümer des Grafen an die Kirche fallen. Die beiden Frauen werden enthauptet, und Beatrice wird zur Heldin des Volkes Roms.

Johannes Schmid schlägt bei seiner Regie einen gefühlt richtigen Weg ein. Er versucht nicht, den Zuschauern eine übergestülpte Interpretation zu präsentieren, sondern bleibt ebenso subtil wie Goldschmidt bei seiner Stoffwahl. Verstärkt durch das großartige abstrakte Bühnenbild von Roland Aeschlimann, lässt er der Geschichte ihren natürlichen Lauf und überzeugt mit einer dezenten Personenführung. Die Bühne wird von senkrecht fahrbaren plastisch-eckigen Röhren dominiert, die in einer sprechenden und pointierten Lichtgestaltung von Stefan Schmidt den letzten Schliff bekommen. Es gefällt, dass die Bühne so abstrakt bleibt und trotzdem eine breite Interpretationsfläche bietet. Die Kostüme von Andrea Schmidt-Futterer verweisen auf das Rom der Spätrenaissance, lassen aber vor allem bei den männlichen Darstellern Fantasie mitspielen. So sind beispielsweise die eigentlich purpurfarbenen Kardinalstalare schmutzig-ausgewaschen und zeigen damit dezent die dreckige Rolle der katholischen Kirchenmänner auf.

Insgesamt wird an diesem Abend eine großartige musikalische Leistung geboten. Allen voran die Dortmunder Philharmoniker unter der Leitung von Philip Armbruster, die den überraschenden Farbenreichtum der dramatisch aufgeladenen Musik Goldschmidts nur so aus dem Graben perlen lassen. Der Chor, einstudiert von Granville Walker, schafft es sowohl schallend als auch sanft zu überzeugen. Leider leiden die Stimmen der Sänger unter der schwierigen Akustik der zu offenen Bühne, was sich bewahrheitet, als der Kerker im dritten Akt durch seinen geschlossenen Raum ganz andere Klangqualitäten bietet. Aber auch die schwierig komponierten langen Phrasen sind eine Herausforderung für das Ensemble.

Besonders die Sängerinnen schaffen es zu überzeugen. Die Partie der Beatrice bietet für den dramatischen Sopran eine Chance zu glänzen, was Christiane Kohl mehr als gelingt. Auch darstellerisch mimt sie überzeugend die standhafte junge Frau. Der warme Mezzo von Katharina Peetz als hilflose Stiefmutter gefällt, geht aber leider hin und wieder unter. Der jüngste Bruder Bernardo ist eine Hosenrolle, die der Mezzosopranistin Ileana Mateescu vorzüglich steht. Bedauerlicherweise fehlt ein passender tenoraler Widerpart zu Kohl. Christoph Strehl als Orsino, der ihren priesterlichen Liebhaber singt, fehlt es an Durchsetzungsvermögen gegen die widrigen akustischen Verhältnisse. Andreas Macco als Graf Cenci zeigt einen sehr agilen Bass und gutes, also böses Spiel. Kardinal Camillo wird von Bass Christian Sist ansprechend gesungen und passt mit seiner riesigen Statur gut in die Rolle des unheilvollen Kirchenvertreters. Auch die Nebenpartien sind sehr gut besetzt, Lichtblicke sind Tenor Lucian Krasznec als Sänger beim Fest/Arbeiter und Bass Karl Heinz Lehner als Mörder Marzio.

Die wenigen Anwesenden versuchen das fehlende Publikum wett zu machen, applaudieren laut und bedanken sich damit für einen in vielerlei Hinsicht emotionalen Opernabend.

Miriam Rosenbohm



Fotos: Thomas M. Jauk