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Fakten zur Aufführung 

DER WILDSCHÜTZ
(Albert Lortzing)
16. Juni 2012
(Premiere am 15. Juni 2012)

Landestheater Detmold

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Unmut in Detmold

Mir Beifall zu erzielen, will heute Abend ich mal den Soliden spielen behauptet der Graf von Eberbach mit Blick auf seine Frau und ihre griechische Lesung am Abend. Doch während der Lesung ändert der Graf spontan seine Absicht und zieht mit zwei Zofen von dannen. Am Landestheater Detmold verpasst Regisseur Christian Jerome Timme dem Lustspiel von Lortzing eine gehörige Portion Pessimismus. Wo Lortzing in seiner Oper Witz und Parodie auf den Biedermeier versteckt hat, da kann man in Detmold die Missstände offen entdecken. Selbst der Wald ist auf der grau-schwarzen Bühne von Susanne Ellinghaus kompromittiert. Trockenes Geäst am Rande und großer Baumstamm in der Mitte der Bühne – vermutlich aus dem nahen Teutoburger Wald – sind der einzige Verweis darauf, dass das Jagdrevier des Grafen überhaupt existiert. Denn dort fällt ja der fatale Schuss in der Ouvertüre, der das Geschehen in Gang bringt. Auf der Bühne, auf der sich das Personal für das Verkleidungsspiel vorbereitet, stürzt in diesem Augenblick der Graf zu Boden – ein Hinweis auf den nahen Vormärz in der Komposition.

Timme entwickelt in einer starken Personenführung im ersten Akt von unten nach oben den sozialen Anstieg und damit einhergehend den sozialen Abstieg. Das trostlose Völkchen, das seinen Grafen sichtlich verabscheut und sich ihm doch anbiedert, hat seinen kleinen Vorgesetzen im leicht arroganten Schulmeister Baculus, der von seinem garstigen Gretchen ordentlich Paroli bekommt, was ihr wiederum Prügel einbringt. Dirk Aleschus singt die Prachtpartie des Baculus mit enormer Stimmkraft, stellenweise etwas ungehobelt, trifft aber genau den Nerv dieser Rolle. Larissa Neudert aus dem Opernstudio liefert eine gelungene Interpretation des Gretchen, das hier nicht nur das einfache Blondchen des Dorfes ist.

Doch mit dem Auftritt des Grafen Eberbach gerät die Inszenierung stellenweise an Abgründe. Schon beim Jagdlied nimmt sich der Graf stolz seine weibliche Beute in einer Vergewaltigung und im Laufe des Abends nimmt dieser sexuelle Trieb noch zu. Unrühmlicher, aber in dieser Sicht konsequenter Höhepunkt ist die Arie Heiterkeit und Fröhlichkeit, wo Timme den Subtext der Sympathiepolka gnadenlos aufzeigt. Der Graf vergeht sich in Anwesenheit seiner geschundenen Gräfin an zwei halbnackten Dienstmädchen und das Publikum lässt seinen Unmut freien Lauf, wobei sich einige sehr im Ton vergreifen und Schimpfworte rufen. Dabei hat James Tolksdorf diese Reaktion nicht verdient. Sein Bariton strotzt nur so von männlicher Potenz, er kann charmant schnurren, dann herablassend knurren – und das alles mit einer sehr geschmackvollen Stimmführung und einer intensiven Umsetzung des Regiekonzeptes. Seine Gräfin klingt bei Evelyn Krahe alles andere als wehleidig, und ihr starker Alt deutet das Ende der Ehe, das sich zum Finale der Oper vollzieht, immer an.

Nicht ganz konsequent ist das Regiekonzept in Bezug auf den Baron Kronthal, der beim Jagdlied noch ordentlich mitmischt, aber sich dann schnell zum verliebten Gockel wandelt. Das passt auch besser zu dem schön-feinfühligen Tenor von Peter Diebschlag. Die schönste Stimme des Abends gehört aber Catalina Bertucci. Selbst in den größten Ensembles hört man deutlich ihre herrliche Kunst der Koloraturen und das einmalige Timbre ihres Soprans. Ihre Baronin hat ein keckes Auftreten und dazu in Britta Strege eine hervorragende Anspielpartnerin. Die Mezzosopranistin hat zwar leider nur wenige Töne zu singen, wertet die kleine Rolle der Nanette aber mit großem Spielwitz auf. Alle, auch der von Marbod Kaiser einstudierte, souverän aufsingende Chor, präsentieren sich in dieser nicht einfachen Inszenierung mit großem szenischen Engagement. Dabei ist zu erwarten, dass Timmes Regiekonzept Ablehnung mit sich bringen wird, die nicht nur in einigen platten Sexszenen begründet ist. Doch das sehr konservativ erscheinende Publikum lacht eh am lautesten, wenn in den nahezu ungekürzten Dialogen der Biedermeier vorgeführt wird, und ist dann empört, wenn das Lustspiel in bitteren Zynismus umschlägt.

Doch es gibt ja noch das Orchester unter der Leitung von Matthias Wegele, wo man viel von allem hört. Die Musiker musizieren mit Leichtigkeit und Leidenschaft, zeigen Witz und dunkle Zwischentöne, sind unter Wegele sichere Begleiter und ein gut frisierter Motor des Geschehens. Wer die szenische Umsetzung ablehnt, dürfte durch die musikalische Darbietung entschädigt werden.

Christoph Broermann



Fotos: Michael Hörnschemeyer