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Fakten zur Aufführung 

THE BEGGAR'S OPERA
(Johann Christoph Pepusch)
22. Februar 2014
(Premiere)

22. Kurt-Weill-Fest,
Anhaltisches Theater Dessau


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

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Macheath und die Gefahr der Strukturanpassung

Auch wenn die Anhalter inzwischen mehr als sauer sind, ins Boxhorn jagen lassen sie sich nicht, und den Kopf in den Sand zu stecken oder ihn einzuziehen ist nicht ihre Sache. Und die des André Bücker, dem Intendanten des gebeulten Theaters am Friedensplatz, erst recht nicht. Mit selten erlebter Kreativität, Frechheit und Unerschrockenheit haben er, sein Theater und die Dessauer seit Bekanntwerden des Strukturplanes für die Restrukturierung der Theaterlandschaft in Sachsen Anhalt für ihr Theater gekämpft, haben mutig, öffentlich und phantasievoll ihr Theater fest gebunden, den Bürgermeister die Streitaxt schwingen lassen, Koalitionen mit anderen Häusern gesucht – und setzen jetzt noch eins drauf.

Wer sich unter den Besuchern des Kurt-Weill-Fests auf eine spannende Gegenüberstellung der Beggar´s Opera von John Gay und Johann C. Pepusch von 1728 mit der von Kurt Weill und Bertolt Brecht 1928 in Berlin uraufgeführten Fassung der Dreigroschenoper gefreut hat, wird sehr überrascht, vielleicht auch enttäuscht sein. Christoph Reuter und Cristin Claas haben die Vorlage musikalisch gründlich bearbeitet, und André Bücker hat dem Stück eine Inszenierung verpasst, die so aktuell und so schmerzend ist, dass einem häufig das Lachen im Halse stecken bleibt. Dieses Soho liegt in Sachsen-Anhalt, und diese beggars, so vermuten viele, wird man bald in Dessau und Umgebung treffen – eine fatale Parallelität.

Unter Leitung von Daniel Carlberg beginnt das kleine Orchester eine wunderschöne Ouvertüre leichter barocker Tanzmusik. Der Zuhörer macht es sich in seinem Sessel bequem und freut sich auf einen entspannten Abend. Doch die Handlung der Balladenoper kommt nicht so recht in Gang, weil sich – vor geschlossenem Vorhang – eine scharf-laute Stimme aus dem Publikum meldet und ungefragt ihre Kommentare zur Notwendigkeit, zur Nützlichkeit und vor allem zur Kosteneffizienz dieser Einrichtung Theater abgibt. Es dürfte reiner Zufall sein, dass diese Figur große Ähnlichkeit mit dem gestern anwesenden Herrn aus Magdeburg hat, dessen Name eine Protestkampagne inzwischen mit „HaselOFF“ buchstabiert.

Reuter und Claas mischen altenglische Originaltexte mit neuen Passagen, in denen sie wortwitzig und scharf die Kultursituation in Sachsen-Anhalt und besonders die des Theaters Dessau skizzieren und karikieren. Sie setzen neue Songs neben barocke Klänge, wenn sie in dem neuen Protestsong Wenige von vielen drohen „Noch lacht Ihr. Doch der Bettler lacht zuletzt.“ Der Bezug zum Original darf dabei durchaus in den Hintergrund treten. Zwar bleiben die Originalfiguren erhalten, aber eigentlich mischt sich immer wieder der aalglatte und zynische Mr Hopeman, der mit dem H vorne, in das Geschehen ein, so dass eine fortlaufende Handlung nicht zustande kommen kann. Der Spielbetrieb ist eben gestört. Auch die Beiträge von Mr und Ms Peachum, Polly und Macheath tragen kaum zur Entwicklung der Handlung bei. Immer wieder treten sie aus ihren Rollen und Gesangspartien heraus und fügen Songs im Weill-Stil ein, sie skizzieren unmissverständlich, scharf und mit viel Ironie die Kulturpolitik in Sachsen-Anhalt. Sie meistern die barock verzierten Lieder ebenso wie die flotten, eher harten Songs aus der Bettlerwelt. Gerald Fiedlers Mr Peachum führt baritonal klar durch die springende Handlung. Natalie Hünings Mrs Peachum merkt man die Bühnenerfahrung an. Mario Klischies, Bariton, als Macheath gibt seiner Figur das nötige aggressive Gewicht. Jenny Langner, Mezzosopran, präsentiert eine oft überdreht komische Polly mit gelegentlich quietschiger Tönung. Mr Hopeman, der Mann mit dem H, wird von Sebastian Müller-Stahl gespielt, als hätte er sein Rollenstudium in Magdeburg geprobt. Das eingeweihte Publikum klatscht und johlt, wenn eine bitterböse Pointe die nächste jagt. Hier nimmt sich das Theater alle Freiheit, die es beanspruchen muss, hier tobt der Narr durch die Kulissen. Dass dabei mancher auswärtiger Besucher etwas ratlos auf die Bühne schaut, ist unvermeidlich.

Jan Steigert hat eine Bühne gebaut, auf der mit wenigen Möbelstücken das Freudenhaus, die weite Prärie der Indianer, das Deck des Piratenschiffes oder eine Häuserfront der alten Plattenbauten angedeutet sind, Suse Tobisch stattet vorrangig die Darstellerinnen mit bunten Barockkostümen aus und macht aus dem Herrn mit dem H einen steifen Aktentaschen-Bürokraten, den wenigstens sein Anzug aufrecht hält. Die Ballettgruppe, vor allem für die vielen Damenrollen zuständig, wird, der Wirklichkeit knapp vorgreifend, von der Bühne in den Zuschauerraum und aus dem Theater komplimentiert, nicht ohne dass ihr ein zynisches „Good bye“ hinterher geworfen wird. Daniel Carlberg gefällt sich in roter Glitzerrobe als barocker Hofmusiker oder Barkeeper, der mit der Anhaltischen Philharmonie leichte, harmonische Barockklänge erklingen lässt und mit der Band L‘Arc Six Erinnerungen an die Dreigroschenoper-Songs wachruft. So tobt diese Beggar‘s Opera zwischen dem alten Soho und neuen Spielorten vor allem in Sachsen-Anhalt hin und her und zeigt die oft überraschenden Ähnlichkeiten, spießt Formen und Floskeln der angeblich Mächtigen auf und karikiert die Beteiligten, bis hin zum Herrn mit dem H.

Der größte Teil des Publikums ist köstlich amüsiert und applaudiert heftig für diese unerwartete, frech-bösartige und mutige Inszenierung, die völlig respektlos den „Mächtigen“ die Leviten liest. Gleichwohl muss erwähnt werden, dass einige Besucher durchaus enttäuscht sind von dieser Umdrehung der Vorlage zu aktuellen Zwecken, sie hatten sich darauf gefreut, die Gay/Pepusch-Vorlage der Dreigroschenoper kennen zu lernen. Einige ausländische Besucher sind, bei den englischen Passagen noch durch Übertitel unterstützt, bei vielen Textpassagen sprachlich und mit den internen Details schlicht überfordert, ihnen fehlt der Zugang komplett.

Die Dessauer nutzen ihre Bühne, wozu sie da ist: Gesellschaftliche Fragen und Phänomene aufzugreifen, sie kreativ und bildreich auf die Bühne zu bringen und trotzdem die Zuschauer zu unterhalten. „Wir wollen gar nicht betteln, sondern spielen“. Man braucht sie nur zu lassen und die Ampel auf Grün zu schalten.

Horst Dichanz

Fotos: Claudia Heysel