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Fakten zur Aufführung 

GÖTTERDÄMMERUNG
(Richard Wagner)
16. Oktober 2011
(Premiere)

Staatstheater Darmstadt


Points of Honor                      

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Schockierend schön

Am Ende explodiert der Urknall, aber er symbolisiert den Neuanfang. Das mag – astrophysikalisch betrachtet – umstritten sein, aber es ist ein griffiges, wunderschönes Hintergrund-Video, wenn John Dew am Hessischen Staatstheater Darmstadt seine Götterdämmerung  zum Höhepunkt treibt. Denn die Welt versinkt, aber diskret am Seitenportal steht in Kreideschrift Einsteins Energie-Masse-Formel geschrieben, die in ihrer ästhetischen Kurzgestalt jedes naturwissenschaftlich empfängliche Herz höher schlagen lässt. Sie vermittelt, dass Hoffnung bleibt und die Welt sich neu definieren kann, auch wenn die Menschen fehlbar sind und die Götter nur Halbgötter, weswegen auch sie dem Schicksal ausgeliefert bleiben.

Zentraler Punkt in dieser Götterdämmerung scheint der zweite Aufzug, wenn die Handlung von der Regie extrem zugespitzt wird und griffige Bilder entstehen. Brünnhilde – Katrin Gerstenberger singt sie wie zuvor schon im Siegfried überragend – steht, eingekleidet wie Lady Di, an der Rampe. Hinter ihr die Menschenmenge, die von Hagen in Militäruniform zum Applaudieren gefordert wird, denn die Doppelhochzeit von Gunther-Brünnhilde und Gutrune-Siegfried soll gefeiert werden. Doch der Jubel ist eingebremst, weil eruptive Spannung in der Luft liegt. Brünnhilde, das Opfer einer Intrige, schreit ihr Unglück heraus, denn Siegfried wurde schuldig an ihr. Zorn und Zweifel, Wut und Wähnen mischen sich perfekt.

Doch der, ein tumber Tor, merkt von alledem nichts. Auch er ein Opfer der Intrige, aber John Dew zeigt ihn als deshalb mitschuldig, weil Erwachsensein auch Verantwortung bedeutet. Zaubertrunk hin oder her, auch die zweite Chance bleibt ungenutzt, der eitle Bursche will unbedingt seinen glühend-leuchtenden Ring behalten, auch wenn ihn die zauberischen Rheintöchter vor dem Schicksal warnen. Aber wer sich für unverwundbar hält, bekommt den Speer in den Rücken. Das Meucheln hinterrücks wird als zeitloses menschliches Movens gezeigt, denn Hagen will was werden, und im heutigen Berufsleben gilt leider allzu oft die Ellenbogenmentalität. Auch nicht liebenswerter als ein Speer!

Die Bühne hat Heinz Balthes hergerichtet, das Tableau ist beeindruckend und korrespondiert ideal zu den Vorstellungen von John Dew, zumal José-Manuel Vázquez die Kostüme in cooler Heutigkeit hält. Da entstehen einprägsame Szenen, optisch und mental, die auf zeitlos zu deutende Inhalte in Wagners Ring hinweisen. 

Als Siegfried gibt der Amerikaner Craig Bermingham sein Partiedebüt. Ein interessanter Mann, der als Jurist schon Karriere machte, und jetzt sofort im Wagner-Fach angekommen ist. Für seinen Siegfried-Erstling fehlt noch Routine, so sind im ersten Aufzug seine Gesangsphrasen zu sehr an Silben orientiert, und Ökonomie wird er lernen, damit auch alle Spitzen sitzen. Aber er hat riesiges Potenzial, das jetzt schon zu großem Glanz und stabilem Gloria fähig ist. Den Bösewicht Hagen gibt Thomas Mehnert als selbstsüchtigen Karrieremann, sein Bass ist rund und tragfähig, sein Spiel voller Hintergründigkeit. Susanne Serfling, auch „dritte Norn“, behauptet als Gutrune ihre Eigenständigkeit neben der Brünnhilde; Oleksandr Prytolyuk gibt mit seinem Bariton-Timbre der Gunther-Figur Persönlichkeit, während Olafur Sigurdarson dem Alberich abgründigen Charakter beimischt. Anja Jung singt die Waltraute mit dramatischem, ja schmerzlichem Zuschnitt, und als liebreizende Rheintöchter räkeln sich Margaret Rose Koenn, Erica Brookhyser, auch zweite Norn, und Gae-Hwa Yang unter den leichten Wellen-Bändern. Norn Elisabeth Hornung, sowie zugeordnet Wotan Ralf Lukas und Loge Frank Koch, komplettieren das Personal. Der Chor, einstudiert von André Weiss, ist prägend-gut aufgelegt.

Constantin Trinks am Pult treibt sein Staatsorchester Darmstadt zu animierter und attraktiver A-fresco-Malerei an; dabei wollen einige Pointierungen und Stimmverläufe nicht ganz so deutlich ankommen, wie wünschenswert. – Alles in allem: Eine Götterdämmerung in schockierender Schönheit.

Das Premierenpublikum ist mit dieser Götterdämmerung sehr einverstanden, und wertet damit auch John Dews Ring. Dirigent Constantin Trinks, Orchester und Chor stoßen auf große Zustimmung, der Jubel für die Solisten aber gilt besonders der Brünnhilde-Darstellerin Katrin Gerstenberger.

Eckhard Britsch






 
Fotos: Barbara Aumüller