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Fakten zur Aufführung 

TRISTAN UND ISOLDE
(Richard Wagner)
2. Juni 2013
(Premiere am 19. Juni 2004)

Theater Chemnitz


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Doppelter Tristan in Villa Wahnfried

In Chemnitz ist aufgrund des Hochwassers Katastrophenalarm ausgelöst, doch das Publikum, teils überregional, teils international, trotzt den widrigen Bedingungen und strömt ins Opernhaus. Es ist die dritte Wagner-Aufführung innerhalb von vier Abenden, und zum Abschluss der kleinen Richard-Wagner-Festspiele steht der Tristan auf dem Programm, genau wie der Tannhäuser eine einmalige Wiederaufnahme von Chefregisseur Michael Heinicke. Und der erscheint höchstpersönlich vor dem Vorhang und kündigt John Treleaven, der den Tristan singen soll, als stark erkältet und indisponiert an. Die Aussage, vor zwei Tagen hätte er noch wie König Marke geklungen, erzeugt zwar Heiterkeit im Publikum, doch es stellt sich zwangsläufig die Frage, ob ein derartig gesundheitlich angeschlagener Tenor diese Partie überhaupt durchstehen kann. Der Abend wird zeigen, dass so etwas nicht gut gehen kann.

Es ist typisch für Heinicke, das sich der Vorhang schon vor dem Vorspiel öffnet, so geschehen auch bei seinem Tannhäuser. Zu den leicht aufbrausenden Klängen des Tristan-Akkordes sieht man die Außenfassade einer alten Villa. Wagnerianer und erfahrene Bayreuth-Besucher erkennen es sofort: Es ist Wagners Wohnhaus in Bayreuth, die Villa Wahnfried. Und tatsächlich, Heinicke lässt den kompletten Tristan in der Villa Wahnfried spielen. Im ersten Aufzug befindet man sich in Wagners Musikzimmer, Brangäne sitzt am Flügel, und Isolde beklagt ihr Los, während Tristan und Kurwenal draußen im Garten warten. Die Bühne ist drehbar, und so wandelt sich die Perspektive zwischen Musikzimmer und Garten. Zu Beginn des zweiten Aufzuges ist eine Fackel an der Außenfassade angebracht, die später als Zeichen für Tristan von Isolde gelöscht wird. Das große Liebesduett im zweiten Aufzug spielt dann auf einer kreisrunden Scheibe, die Hausfassade ist verschwunden. Diese Szene erinnert sehr stark an Wieland Wagner und seine Inszenierungen Anfang der 1950-er Jahre, dem Neu-Bayreuth. Im dritten Aufzug liegt Tristan auf einem Bett in der Bibliothek der Villa Wahnfried, jetzt sitz Kurwenal am verhängten Flügel und wacht über den Sterbenden. Der Hirte sitzt auf dem Dach der Villa Wahnfried, und blickt wohl sehnsüchtig hinauf zum Festspielhaus auf dem Grünen Hügel. Die Schlussszene ist wieder wie im zweiten Aufzug. Tristan stirbt auf der halbrunden Scheibe, ohne Isolde noch einmal berührt zu haben.

Heinicke hat zusammen mit dem leider vor zwei Jahren verstorbenen Bühnenbildner Reinhart Zimmermann und den Kostümen von Joachim Herzog so etwas wie Wagners Bayreuth zu seiner Zeit nach Chemnitz gebracht. Die Kostüme sind der damaligen Zeit sehr gut nachempfunden, und das Bühnenbild zeigt eine große Liebe zum Detail. Doch diese Bilder reichen nicht aus als Erklärstück für den Tristan. Wagner hatte 1874 die Villa Wahnfried bezogen, da war der Tristan schon lange aufgeführt. Die Entstehungsgeschichte des Werkes, die bis heute nicht ganz geklärte Beziehung zu Mathilde Wesendonck, das alles liegt aus Wagners Sicht über 16 Jahre zurück. Insofern ist diese Inszenierung mit der Entstehungsgeschichte des Werkes nicht zu erklären, und die Reminiszenz zu Wieland Wagner ist auch nicht wirklich neu. Dennoch ist das Inszenierungsbild von großer Ästhetik geprägt, während die Personenregie äußerst sparsam ist. Unterm Strich eine biedere, eher langweilige Inszenierung in einem nett anzuschauenden Bild.

Gerade beim Tristan sind Bühnenbild und Regie eher nebensächlich. Die Musik, die Worte, die Stimmung, die Gefühle, das macht den Tristan aus. Doch hierzu bedarf es großartiger und vor allem physisch belastbarer Sänger, die diese Partien gestalten können. Und das ist an diesem Abend das Hauptproblem. John Treleaven ist sicht- und hörbar schwer angeschlagen. Er kämpft gegen den Hustenreiz, die Stimme ist belegt und brüchig, und schon im Laufe des ersten Aufzuges, bei den ersten dramatischen Passagen, muss man sich ernste Sorgen um ihn machen. Treleaven versucht es noch einmal im zweiten Akt, dann ist Schluss, die Stimme versagt.

Zu Beginn des dritten Aufzuges kommt wieder Heinicke vor den Vorhang, erklärt flugs, dass er das ja geahnt habe und vorsichtshalber am Abend zuvor den Tenor Ivar Gilhuus aus Oslo einfliegen lassen hat. Der würde jetzt einen Kaltstart hinlegen, hätte nicht die Zeit gehabt, sich richtig einzusingen. Was als Scherz des Regisseurs klingen soll, entpuppt sich aber als bittere Realität. Gilhuus ist den sängerischen Anforderungen des dritten Tristan-Aktes in keinster Weise gewachsen. Seine Stimme ist noch brüchiger als die des wirklich kranken Treleaven. Zudem ist er sehr textunsicher, mehrfach hört er einfach auf zu singen. Gilhuus quält sich förmlich durch den dritten Akt, seine Sehnen, sehnen-Rufe brüllt er förmlich hinaus. Bei allem Verständnis für Erkrankung und Einspringer: Das hätte nicht passieren dürfen. Treleaven hätte in dieser gesundheitlichen Verfassung gar nicht singen dürfen, und er hat mit dem sicher honorigen Versuch, die Vorstellung zu retten, sich und dem Publikum keinen Gefallen getan. Und sollte sich Gilhuus wirklich nicht für den fordernden dritten Akt eingesungen haben, dann ist das unprofessionell und nicht akzeptabel.

Sabine Hogrefe als Isolde ist die Leidtragende dieser Situation. Ihr sonst so klarer, fester hochdramatischer Sopran klingt in den dramatischen Ausbrüchen manchmal etwas zu scharf, in den lyrischen Passagen fehlt die Geschmeidigkeit. Das ist aber auch der Tatsache geschuldet, dass sie sich besonders in den Duetten mit Treleaven kollegial zurückgehalten hat, was aber ihrer wunderbaren Stimme nicht gut tut. Ihr Liebestod am Schluss gerät zu dramatisch, es fehlt das Strömen, was gerade diesen musikalischen Höhepunkt des Werkes so einzigartig macht.

Großartig Heiko Trinsinger als Kurwenal. Es ist seine dritte Vorstellung innerhalb von vier Abenden. Erst Wolfram, dann Amfortas, jetzt Kurwenal. Und erneut besticht er durch kraftvollen, aber kultivierten Gesang mit großem Ausdruck, in diesen Partien eine absolute Idealbesetzung. Tuija Knihtilä gibt die Brangäne mit warmem Mezzo-Sopran und sicheren und leuchtenden Höhen und harmoniert stimmtechnisch brillant mit Hogrefes dramatischem Sopran.

James Moellenhoff als König Marke überzeugt mit markantem und sehr textverständlichem Bass. Die Rolle des Melot ist mit Andreas Kindschuh stark besetzt, und André Riemer überzeugt sowohl als Hirte wie auch mit dem Klagelied des jungen Seemanns mit ausdrucksstarkem Tenor.

Die Chöre im Hintergrund sind von Simon Zimmermann gut eingestimmt. Musikalisch entschädigt die Vorstellung für die sängerischen Defizite. Auch für Frank Beermann am Pult der Robert-Schumann-Philharmonie ist es die dritte Vorstellung innerhalb von vier Abenden. Und mit welcher Souveränität er den Wechsel des musikalischen Ausdrucks, der Spannung und der Phrasierung vom Tannhäuser über Parsifal zum Tristan gestaltet, das ist schon aller Ehren wert. Auch wenn sich bei den Musikern hier und da kleine Flüchtigkeitsfehler einschleichen, die Gesamtleistung der drei Abende nötigt großen Respekt ab.

Das Publikum honoriert die Bemühungen der beiden Tristan-Darsteller mit großem Applaus und vereinzelten Bravo-Rufen. Frenetisch umjubelt werden Sabine Hogrefe und Frank Beermann und seine Musiker.

Die kleinen Richard-Wagner-Festspiele sind am Schluss mit einem Wermutstropfen zu Ende gegangen. Hier muss man hinterfragen, ob die Politik Vorhang auf um jeden Preis auf die Gesundheit der Sänger gehen darf, aber auch die Sänger müssen bei allem Verständnis für ihr Engagement und auch für die Loyalität gegenüber den Opernhäusern ihre Grenzen rechtzeitig erkennen können, denn der Schaden, der bleibt, kann immens sein. In der Gesamtschau der drei Abende bleibt als Fazit:

Das sächsische Bayreuth hat mit seinen Festtagen zur Ehrung von Richard Wagners 200. Geburtstag nicht nur seine geographische Nähe zur oberfränkischen Weltstadt auf Zeit eindrucksvoll demonstriert.

Andreas H. Hölscher







Fotos: Dieter Wuschanski