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Fakten zur Aufführung 

TANNHÄUSER UND DER SÄNGERKRIEG AUF DER WARTBURG
(Richard Wagner)
30. Mai 2013
(Premiere am 28. November 2009)

Theater Chemnitz


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Doppelte Identität in einer Frauengestalt

Nachdem die Festlichkeiten zu Richard Wagners 200. Geburtstag in Leipzig und Dresden mit großem Erfolg zu Ende gegangen sind, ist es nun die Oper Chemnitz, die mit einer kleinen Festspiel-Serie das Jubiläumsjahr des sächsischen Komponisten würdigt. Tannhäuser und Tristan als Wiederaufnahmen, dazwischen die mit Spannung erwartete Premiere Parsifal. In Chemnitz gehörten Wagners Werke von Anfang an zum Standardrepertoire. So war der Tannhäuser beispielsweise schon 1864 erstmalig hier zu sehen. Gespielt wird heute die Pariser Fassung von 1861. Im Mittelpunkt der Inszenierung von Michael Heinicke steht der gesellschaftliche Konflikt zwischen Eros und Minne. Auf der einen Seite die höfische Konvention von der reinen, keusche, Liebe, von den Sängern im Wettstreit im Minnelied gepriesen, und auf der anderen Seite lustvolle Ausschweifungen im Venusberg als Ausdruck der absoluten Freiheit, wie sie von Heinrich von Ofterdingen, dem Tannhäuser propagiert wird. So rebelliert Tannhäuser gegen die Zwänge der Welt, die ihn umgeben, und geht in den Venusberg, um sich ungezügelt und bis zum Überdruss in den Armen der Liebesgöttin sexuellem Genuss hinzugeben. Er versucht sich dadurch zu befreien, indem er der mythischen Venuswelt entflieht, um endlich zu erlangen, wonach er sich tief in seinem Innersten sehnt, nämlich die Freiheit. Dennoch gerät er, kaum der Venuswelt entronnen, wieder in die Zwänge höfischer Unfreiheit. Da er sich ihr nicht beugt, wird er unerbittlich verbannt und ausgestoßen. Zwischen diesen Polen wandert Tannhäuser, und sein Sehnen liegt zwischen zwei Frauengestalten, Elisabeth und Venus, Heilige und Hure. Heinicke lässt in seiner Inszenierung keinen Zweifel aufkommen, dass diese beiden Extreme in einer Frau vereint sind. So sind Elisabeth und Venus identisch, und sinnigerweise werden diese beiden Partien auch von einer Sängerin gesungen. Das ist nicht neu, aber bei Heinicke ist diese doppelte Identität ohne wenn und aber gezeichnet.

Schon vor der Ouvertüre öffnet sich der Vorhang, und Tannhäuser verabschiedet sich etwas überhastet von Elisabeth, oder ist es doch Venus? Das Bacchanal, charakteristisch für die Pariser Fassung, zeigt ein Dutzend junger Frauen, in langen, weißen durchsichtigen Kleidern mit einer einheitlichen Maske und einer Rose in der Hand. Ein Hinweis auf die Beliebigkeit und Austauschbarkeit der Objekte sexueller Begierde? Doch hier ist Heinicke nicht konsequent genug, und das Bacchanal ähnelt mehr einer steifen Blumenmädchenszene im Parsifal und weniger einer ausschweifenden Orgie in der Lustgrotte der Venus. Venus ist zwar attraktiv, aber sie ist keine klassische Verführerin. Tannhäuser entzieht sich ihr, doch sein Leiden, den Venusberg zu verlassen, kommt nicht wirklich rüber. Ansonsten ist die Inszenierung eher brav und konventionell. Die Pilger machen sich im dunklen Büßergewand auf den Weg nach Rom und kehren im weißen, unschuldigen Kleid zurück. Nur Tannhäuser, der keine Vergebung gefunden hat, kehrt im dunklen Büßergewand zurück. Szenisch gut angelegt mit intelligenter Personenregie der Sängerkrieg im zweiten Aufzug. Die polarisierenden Auftritte der höfischen Minnesänger versus dem Rebell Tannhäuser, das ist auch für Elisabeth zu viel.

Peter Sykora hat die Bühne als Einheitsbild gestaltet. Mittelpunkt ist eine dreiteilige Ruine aus gotischen Kirchenfenstern, die im zweiten Aufzug den Mittelpunkt bildet und im ersten Aufzug nach links und im dritten nach rechts versetzt wird. Dieses Bild gibt der Inszenierung einen soliden Rahmen und lässt Freiheiten in der Personenregie zu. Seine Kostüme orientieren sich eher an der Entstehungszeit des Werkes als an dem historischen Vorbild, was den optischen Eindruck aber nicht stört.

Jon Ketilsson singt die Titelpartie des Tannhäuser. Sein baritonal gefärbter Tenor ist kraftvoll in der Mittellage und ausdrucksstark in den Höhen und in den dramatischen Ausbrüchen. Mit großer Ausdauer bewältigt er diese Partie, seine Romerzählung ist von ergreifender Intensität.

Astrid Weber singt beide Frauenrollen, wobei ihr die Partie der Elisabeth besser liegt als die tieferliegende Venus. Die Elisabeth legt sie insgesamt sehr dramatisch an, was insbesondere bei der Hallenarie und noch mehr bei ihrem Gebet im dritten Aufzug eine für die Elisabeth so typische innige Beseeltheit vermissen lässt. Die Venus gibt sie mit warmem Timbre und klug eingesetzten dramatischen Höhen, aber es ist kein Unterschied im Ausdruck zwischen Elisabeth und Venus zu erkennen, und das ist sicher ein Manko dieser Aufführung.

Heiko Trinsinger verkörpert die Rolle des Wolfram von Eschenbach mit einem lyrischen Bariton und hochkultiviertem Liedgesang. Im Sängerstreit ist er der stimmliche Kontrapunkt zu Tannhäusers rauer Dramatik, und sein Lied an den Abendstern im dritten Aufzug ist der sängerische Höhepunkt dieser Aufführung.

Kouta Räsänen gibt den Hermann mit markantem Bass-Bariton. Matthias Winter ist ein ausdrucksstarker Biterolf, und Jana Büchner singt die Solostelle des Hirten mit glockenhellem Sopran und perfektem Stimmsitz. Edward Randall als Walther von der Vogelweide, André Riemer als Heinrich der Schreiber und Martin Gäbler als Reinmar von Zweter ergänzen stimmharmonisch ein starkes Sängerensemble.

Frank Beermann leitet die Robert-Schumann-Philharmonie mit großer Intensität. Schon im Vorspiel kommt der wunderbare, differenzierte und farbenreiche Klangkörper zur Geltung. Das Tempo ist moderat getragen, und die Sänger werden von Beermann durch präzise Einsätze und zurückgenommener Lautstärke im Orchestergraben freundlichst begleitet. Der Opernchor ist von Simon Zimmermann bestens einstudiert. Insbesondere die beiden Pilgerchöre und der Schluss werden mit tiefer Leidenschaft und großem Pathos gesungen, wobei die Männerstimmen dominant überragen.

Am Schluss gibt es großen und langanhaltenden Jubel für das gesamte Ensemble. Der Auftakt dieser kleinen Wagner-Festspiele ist gelungen, die Erwartungshaltung an die kommende Premiere des Parsifal ist groß.

Andreas H. Hölscher







Fotos: Dieter Wuschanski