Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

PARSIFAL
(Richard Wagner)
1. Juni 2013
(Premiere)

Theater Chemnitz


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Der Kern der Religion

Nach dem umjubelten Tannhäuser werden nun die kleinen Richard-Wagner-Festspiele in Chemnitz mit einer Neuinszenierung des Parsifal fortgeführt. Das Werk erlebte unmittelbar nach Ablauf der 30-jährigen Schutzfrist 1914 seine sächsische Erstaufführung im 1909 eingeweihten Chemnitzer Opernhaus, was der Stadt den ehrenvollen Beinamen Sächsisches Bayreuth einbrachte. Mit Parsifal wurde dieses Haus auch 1992 nach der Rekonstruktion wiedereröffnet. Nun steht das Bühnenweihfestspiel in der Inszenierung von John Dew im Mittelpunkt der Chemnitzer Wagner-Ehrung 2013. Und wer sich mit der Vita von John Dew beschäftigt, weiß, dass eine Neuinszenierung des Parsifal von ihm nicht ohne religionskritische Untertöne über die Bühne gehen wird. Die spannende Frage ist: Aus welcher Perspektive betrachtet Dew das Werk? Und die Antwort ist so verblüffend wie einfach: Aus Wagners Perspektive.

Der Kernsatz dieser Inszenierung, am Schluss als Projektion eingeblendet, ist Wagners These: Da, wo die Religion künstlich wird, ist es der Kunst vorbehalten, den Kern der Religion zu retten. Dew folgt in seiner Inszenierung dem Prinzip von These und Antithese. Gemeinsam mit dem Regisseur Marcelo Buscaino, der Dews Konzept mit großer Intensität in Chemnitz umsetzt, werden durch die ausdrucksstarken und oft mystisch erhöhten und überdimensionalen Bühnenbilder von Heinz Balthes sowie den teilweise abstrakten Kostümen von José Manuel Vázquez und einer subtilen Lichtregie von Matthias Klemm Momente großer dramatischer Dichte erzeugt. Dazu zählt auch ein riesiges, langsam nach oben schwenkendes Weihrauchfass sowie der Aufzug der Gralsritter mit gut 20 in blau und später rot leuchtenden Lanzen, die die Überreste des Gralstempels symbolisieren.

Der erste und dritte Akt zeigen aus Wagners Perspektive die christliche Religion, der zweite Akt mit Klingsor als Antipoden die Religionskritik. Im ersten Aufzug sieht man zu Beginn eine große Inschrift, wie ein Tisch geformt, der bei genauem Hinsehen die Namen von vier großen Kirchenlehrern der Spätantike beinhaltet: Augustinus, Hieronymus, Gregorius und Ambrosius. Eine wie ein dreiflügliger Wandaltar wirkende große Schultafel, auf der die Gralsgeschichte aufgemalt ist, dient Gurnemanz als Hintergrund für seine lange Erzählung im ersten Aufzug. Amfortas erscheint als Kirchenfürst in großer Robe, während Gurnemanz und die Gralsritter in Mess- beziehungsweise Mönchsgewändern den christlichen Bezug der Gralssage symbolisieren. Das überdimensionale, über den Gralsrittern schwebende Crucifix, einer Dali-Darstellung des Gekreuzigten nachempfunden, symbolisiert die Last und die Qual, die Amfortas mit sich trägt.

Die Antithese folgt im zweiten Aufzug. Die große Inschrift enthält jetzt die Namen von vier Philosophen der Neuzeit: Voltaire, Nietzsche, Marx und Spinoza, die die Religion kritisiert, entlarvt oder zerstört haben. Klingsor steht als Friedrich Nietzsche, der anfangs ein glühender Verehrer von Richard Wagner war, auf den überdimensionalen Seiten seines Buches Die fröhliche Wissenschaft von 1882, dem Jahr der Parsifal-Uraufführung. Kundry entsteht im wahrsten Sinne des Wortes aus den Blättern dieses Buches. Sie trägt wie die Blumenmädchen ein Gewand, bedruckt mit Nietzsche-Texten mit der These Gott ist tot aus dem dritten Buch von Die fröhliche Wissenschaft, welches das Thema Religion und Moral behandelt. Über der Szene hat eine überdimensionierte Schlange als Symbol der Versuchung im Paradies statt Christus das Kreuz fest umschlungen.

Im dritten Aufzug ist die Bühne zunächst öde, verwandelt sich dann aber im Karfreitagszauber durch eine großflächige bewegte Spiegelung der heiligen Quelle, bis nach der Verwandlung bei geschlossenem Vorhang wieder die Gralsszene aus dem ersten Aufzug erscheint. Doch jetzt ist das große Kreuz verhüllt, und erst mit der Übernahme des Amtes von Parsifal und der Enthüllung des Grals fällt das Tuch vom Kreuz, und Dews kritische Sichtweise auf die Religion bei Wagner endet mit der schon eingangs erwähnten Projektion: Da, wo die Religion künstlich wird, ist es der Kunst vorbehalten, den Kern der Religion zu retten.

Mit großartigen Sängerdarstellern gelingt es der Oper Chemnitz, diese symbolträchtige Inszenierung auch musikalisch und spielerisch auf hohem Niveau umzusetzen. Mati Turi singt die Partie des Parsifal mit intelligenter Krafteinteilung. Sein strahlkräftiger Tenor mit baritonalem Timbre meistert die Höhen ohne Probleme, sein Amfortas, die Wunde.. ist prägnant. Lediglich in den lyrischen Passagen, die er sehr leicht ansetzt, macht die Stimme nicht ganz auf. Sami Luttinen gibt einen manchmal zornigen Gurnemanz mit klarem Bass und beeindruckender Textverständlichkeit. Seine große Erzählung im ersten Aufzug singt er balsamisch und mit deutlichen Phrasierungen und Bögen, die eine große Spannung aufbauen. Besonders eindrucksvoll gelingt ihm das im dritten Aufzug in der Salbungs- und Krönungsszene sowie dem anschließenden Karfreitagszauber.

Heiko Trinsinger beeindruckt als Amfortas mit kultiviertem, wohlklingenden Bariton und ausdrucksstarker Leidensfähigkeit. Seine Erbarmen-Rufe erschüttern, und der Piano-Ansatz der letzten Szene ist von großer Emotionalität. Susanne Schimmack gibt die Kundry mit warmem und vollklingendem Mezzosopran sowie dramatischen Höhen und meistert darstellerisch beeindruckend den szenischen Wechsel von der gejagten Furie zur Verführerin bis hin zur liebenden Dienerin.

Hannu Niemelä legt mit großer Intensität und Leidenschaft die Rolle des Klingsor an, sein kraftvoller und ausdrucksstarker Bariton sind ideal für die Besetzung dieser Partie. Thomas Mäthger gibt den Titurel mit wohltönendem Bass, und das Altsolo von Kathleen Glose aus der Höhe passt stimmlich gut zur Atmosphäre auf der Bühne. Gralsritter, Knappen und Blumenmädchen fügen sich stimmlich ohne Abstriche in das Gesamtensemble ein.

Großartig der von Simon Zimmermann einstudierte Chor und Extrachor, der besonders die Liebesmahlszene im ersten Aufzug und die Schlussszene im dritten Aufzug mit großer Intensität umsetzt und dabei vor der großen Herausforderung steht, einige Chorszenen unsichtbar hinter der Bühne zu gestalten.

Frank Beermann leitet die Robert-Schumann-Philharmonie mit ruhigem Gestus und lässt durch sein unprätentiöses Dirigat wunderbare Phrasierungen und Akzentuierungen zu. Das Vorspiel hat sakralen Charakter, das Tempo ist ruhig, aber niemals langsam. Beeindruckend seine präzisen Einsätze, die das Gesamtensemble aus Musikern, Solisten und Chor zu einer homogenen Gestaltung führt. Dabei hat er immer den Blick für den Sänger, der für ihn im Vordergrund steht und dem er das Orchester unterordnet.

Am Schluss reagiert das Publikum, das ein sensibles Gespür für das Geschehen auf der Bühne entwickelt hat, mit großer Begeisterung für das gesamte Ensemble. Wohltuend die Stille nach dem ersten und dritten Aufzug, bevor zunächst verhaltener Applaus einsetzt, der sich aber zum Schluss in frenetischen Jubel verwandelt. Mit dieser Parsifal-Premiere hat Chemnitz nach dem Tannhäuser erneut aufhorchen lassen. Abschluss der kleinen Festspiele wird die Wiederaufnahme von Tristan und Isolde sein.

Andreas H. Hölscher





Fotos: Dieter Wuschanski